Auf Kurs im Börsengewitter
Mit seiner Familie hat Hans Henning einen Fonds für europäische Aktien aufgelegt, der selbst manchen professionellen Geldverwalter alt aussehen lässt. Das Rezept: eine klare Strategie und stoische Ruhe - auch in Zeiten schwerer Krisen.
von Alexander Sturm, Euro am Sonntag
Als der Euro wankte und die Währungsunion zu zerbrechen drohte, stand alles infrage: die gemeinsame Strategie der Familie, der Glaube an die Kraft der Börse, die Mechanismen des Kapitalismus, der das Risiko belohnt und nicht das Bedürfnis des Menschen nach Sicherheit. An diesem Tag des Jahres 2011 stand der Familienfonds der Hennings aus Ennepetal, einem Städtchen mit 30.000 Einwohnern nahe Wuppertal, auf der Kippe. "Als wir uns nach den schweren Verlusten in der Finanzkrise gerade aufgerappelt hatten, fraß die nächste Krise schon wieder einige Gewinne auf", sagt Hans-Heinrich Henning.
Der 65-Jährige sitzt im Arbeitszimmer seines Reihenhauses, draußen im Vorgarten scheint die Sonne. Von hier, einem Raum voll mit Büchern über Geldanlage, Bildern von seiner Traumstadt New York und seinem Hobby, dem Segeln, steuert er den familieneigenen Fonds. "Es hat damals viel Überzeugungsarbeit gebraucht, einige Familienmitglieder vom Aufgeben abzuhalten", sagt er. Niemand hat es bereut.
Anrufe von Flossbach
Schon in den 90er-Jahren hatte sich Henning mit Aktien beschäftigt, indes mit bescheidenem Erfolg. "Die Bilanz war nie überzeugend", sagt er. "Es war viel Glück und Zufall dabei." Henning investierte in viele Branchenfonds, etwa für Biotechnologieaktien. Und beging dann den Fehler, den viele deutsche Aktionäre zur Jahrtausendwende machten: Zu 80 Euro kaufte Henning Telekom-Aktien, kurz vor dem Platzen der Internetblase. Beim Kurs von 20 Euro stieg er aus.
Immerhin ruinierte ihn der Fehltritt nicht. 2005 ging der studierte Ingenieur in Ruhestand, er war über 15 Jahre technischer Geschäftsführer bei einem Mittelständler gewesen und besaß Anteile an der Firma. Die Auszahlung bescherte ihm eine hübsche Summe - Startkapital für sein heutiges Depot. Doch bis zum Familienfonds sollte noch Zeit vergehen.
Henning suchte einen professionellen Vermögensverwalter, sah sich altehrwürdige Privatbanken an ebenso wie den Kölner Fondsanbieter Flossbach von Storch. Henning sagte ihm ab. "Damals war mir die Firma zu klein", sagt er. "Sie haben mir eine Weile hinterhertelefoniert." Seine Wahl fiel auf die Dresdner Bank. Zu jener Zeit boomten die Börsen, es waren die fetten Jahre vor der Finanzkrise. Doch Hennings Depot lief mittelmäßig. Der Entschluss, das Geld wieder selbst in die Hand zu nehmen, fiel nicht allzu schwer.
Henning besuchte Lehrgänge bei der Deutschen Vereinigung für Finanzanalysten, grub sich ein in schwere Kost wie Bilanzanalysen und Portfoliotheorie. Den Ausschlag gab schließlich "Die Börsen-Zauberformel", ein Buch von Joel Greenblatt, einem US-Fondsmanager. Greenblatts Rezept: Er identifiziert die besten Aktien mithilfe von zwei Kennzahlen, der Rendite auf das Gesamtkapital einer Firma und des Kehrwerts des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, sprich das Ergebnis geteilt durch Marktpreis. Erstere liefert eine Aussage über die Profitabilität einer Firma, Letztere über die Rendite des Investments. "Das war die Initialzündung", sagt Henning.
Zauberformeln und Mathematik
2007 versammelt er die Familie zur Besprechung. Es geht um die Frage, wie ein Teil des gemeinsamen Vermögens investiert werden soll. Aktien, Anleihen, Immobilien, Festgeld oder eine Mischung. Nach und nach überzeugt Henning Sohn und dessen Partnerin sowie Tochter, Schwiegersohn und seine Frau von Aktien. "Ich bin überzeugter Kapitalist", sagt Henning. "Ich glaube an die Kraft des Produktivkapitals."
Gemeinsam mit seinem Schwiegersohn und Sohn macht sich Henning an die Arbeit. Nach Greenblatts Methode filtert er große europäische Aktien und bringt sie in eine Rangfolge, anfangs mithilfe von Daten von Börsen-Internetseiten. Die Ränge der je 100 Besten in den beiden Kategorien addiert er und bildet eine neue Rangliste, basierend auf dem Summenwert. Monat für Monat kommen die besten zwei bis drei Aktien daraus neu ins Depot und ersetzen andere. Damals verwaltet der Fonds 24 Titel. Ohne Absicherung.
Kurz darauf erlebt die Welt die schlimmste Finanzkrise seit Jahrzehnten. Hennings Depot rauscht in die Tiefe. Doch er denkt nicht an Ausstieg, verliert 45 Prozent - und verkauft nicht. "Wir gingen durch ein tiefes Tal", sagt er, "die Zweifel waren groß."
Ab 2009 erholen sich die Kurse, Henning gewinnt langsam sein Geld zurück. Nun führt die Familie eine doppelte Absicherung ein: Jede Aktie wird mit einer Verlustbegrenzung versehen. Fallen die Papiere um mehr als 20 Prozent gemessen am höchsten Kurs, werden sie automatisch verkauft. Jeden Monat zieht Henning diese Stop-Loss-Order nach.
Fällt der Gesamtmarkt zudem klar unter die 200-Tages-Linie, eine wichtige charttechnische Unterstützung, wird das Depot umgeschichtet. Dann verkauft Henning alle Aktien und legt das Geld teils in Indexfonds an, die auf fallende Märkte setzen. Ist der Trend nicht klar, sind sowohl Long- als auch Short-ETFs im Depot. Ausschlaggebend beim Umschichten sind drei Indizes: der breite CDAX, der Euro Stoxx 50 und der S & P 500. Im Zweifelsfall entscheidet der US-Index. Erst wenn die Börse klar die 200-Tages-Linie zurückerobert, steigt Henning wieder in Einzelaktien ein. So milderte er die jüngsten Korrekturen im August und im Oktober entscheidend ab.
Über die Jahre haben Henning, sein Sohn und sein Schwiegersohn ihre Methode verbessert. Filterten sie anfangs rund 150 europäische Aktien, sind es heute 800. Zudem werden nun Profi-Daten von Reuters verwendet. Die Bilanz: Von November 2007 bis heute erreichte der Familienfonds eine Rendite von 80 Prozent nach Kosten und Steuern - trotz des Einbruchs in der Finanzkrise. Seit Januar 2009 sind es sogar 150 Prozent. Damit würde er so manchen Fondsmanager abhängen. Auch weil Henning 2011, als die Eurokrise die hart erkämpften Fortschritte seit 2007 teils auffraß, Kurs hielt.
Zehn Prozent nach Steuern
Doch auch Henning liegt nicht immer richtig. 40 Prozent der neu gekauften Papiere sortiert er früher oder später aus. Auch hier ist er konsequent: "Neue Aktien müssen sich binnen zwei bis drei Monaten bewähren", sagt er. "Ich kann nicht ewig warten, bis der Markt die Unterbewertung einer Aktie erkennt."
Ganze zehn Prozent Rendite nach Kosten und Steuern ist sein Ziel. Zu den größten Erfolgen von Henning zählen die Investments in den Medienkonzern ProSiebenSat.1 und den französischen Kunststoffspezialisten Plastic Omnium, die je rund 150 Prozent Rendite in acht Monaten brachten.
Allzu viel Zeit verbringt er aber nicht mit der Börse. Mehr als zwei bis drei Tage im Monat brauche er nicht für seine Strategie, sagt Henning. Auch habe er dank der Absicherung im Depot keine Angst vor einem Crash. Seine Familie steht bei all dem hinter ihm. Seiner Frau hat er das Filtern der Aktien beigebracht, Sohn und Schwiegersohn übernehmen die finale Auswahl. Auch formal ist der Fonds schon in der Familie verankert: Über eine eigens gegründete Gesellschaft halten er, seine Frau und seine Kinder je ein Viertel der Anteile.
Ein luxuriöses Leben gönnt sich Henning indes nicht. Die Gewinne aus dem Depot werden komplett reinvestiert. Ab und an fährt er mit seiner Frau zum Urlaub an die Ostsee. Und einmal im Jahr geht es zum Segeln aufs Mittelmeer nahe der Türkei. Auf einem Boot über dem Wasser sind die Zuckungen der Börse nur ein Schaukeln.
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