Kopf der Woche

Behavioral-Finance-Experte: "Die Anleger lernen nur bedingt dazu“

aktualisiert 23.08.10 13:19 Uhr

Anleger orientieren sich an Geschichten, findet Rüdiger von Nitzsch. Geschichten wie die von den Staatsschulden, von drohender Inflation und kaputten Währungen. Die Unsicherheit sei daher groß.

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von Martin Blümel, Euro am Sonntag

Egal ob Ferienreisen oder Börseninvestments – so etwas wie einen Herdentrieb gibt es hier wie dort zu beobachten. Einer, der das Anlegerverhalten besonders gut analysieren kann, ist Rüdiger von Nitzsch. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre und Experte für Behavioral Finance, also Verhaltensökonomie, weilt derzeit im Urlaub in Südfrankreich, hat sich aber dennoch Zeit für ein Interview genommen. Vielleicht lässt es sich bei sonnigen Tagen, lauschigen Abenden und französischer Küche auch leichter über Finanzkrisen und die Unentschlossenheit der Anleger reden.

€uro am Sonntag: Es gibt einen breiten Vertrauensverlust in das Finanzsystem. Nach einer Studie glauben nur 25 Prozent der Anleger, dass die Finanzindustrie aus der Krise gelernt hat. Woher kommt das?
Rüdiger von Nitzsch: Was soll die Finanzindustrie nach Lehman denn gelernt haben? Dass große Banken nicht fallen gelassen, sondern so weit gestützt werden, dass das System nicht zusammenbricht. Oder hat man gelernt, dass es unterschiedliche Interessen der Industriestaaten unmöglich machen, durchgreifende Änderungen in der Finanzindustrie durchzusetzen? Warum sollten also Banken ihr Verhalten ändern? Daran haben sie überhaupt kein Interesse.

Sie machen auch wieder gute Gewinne, sind scheinbar fast ungeschoren davongekommen.
Die Gewinne kommen vor allem aus dem Investmentbanking, weil zum einen die institutionellen Kunden recht aktiv waren. Zum anderen wurden die Marktturbulenzen mit pfiffigen Anlagestrategien ausgenutzt. Aber: Die neuen Gewinnschätzungen fallen deutlich niedriger aus. Auch die neuen Rahmenbedingungen und Eigenkapital­anforderungen für die Banken werden die Möglichkeiten auf hohe Gewinne einschränken. Ich sehe den temporären Gewinnschub aber positiv, da er zur Stärkung der kritischen Eigenkapitalsituation beiträgt.

Die Banken sollen ja an den Folgen künftiger Krisen beteiligt werden. Eine gute Idee?
Ja, allerdings hat eine pauschale Bankenabgabe, bei der ein Teil des Gewinns an den Staat abgegeben wird, nur den Vorteil, dass sie leicht umsetzbar ist. Sie schafft aber neue Probleme, weil die Banken höhere Risiken eingehen werden, um ihre Nettogewinne zu halten. Besser wäre daher eine Finanztransaktionssteuer, die direkt die gefährlichen Geschäfte besteuert und zwar insbesondere die komplexen Deals, welche die eigentlichen Risiken für die Finanzindustrie mit sich bringen. Das macht aber nur Sinn, wenn sie international abgestimmt wird. In Europa ist man bereit, diesen Weg zu gehen, die Nordamerikaner wehren sich dagegen, weil sie sich immer noch zu sehr von den kurzfristigen Interessen der Wall Street lenken lassen.

Neue Krisen und neue Blasen sind durch diese Un­einigkeit doch programmiert?
An den Märkten wird es immer wieder Blasen und Krisen geben. Das liegt in der Natur der Märkte und der Menschen, die diese Märkte bewegen. Es kommt aber da­rauf an, das Ausmaß der Krisen zu beschränken. Die Gefahr, dass die Krisen nicht mehr zu managen sind, nimmt aber ohne durchgreifende Reformen zu. Die Volumina der komplexeren Finanztransaktionen sind so stark gestiegen, dass sie mittlerweile ein Vielfaches der Fundamen­talwirtschaft ausmachen. Man sollte also die Komplexität aus der Finanzindustrie nehmen und das System transparenter machen. Da die Banken aber hier die größten Möglichkeiten haben, Gewinne zu generieren, halten sie kräftig dagegen. €uro am Sonntag: Würde eine strikte Trennung in Geschäfts- und Investmentbanken helfen? von Nitzsch: Ich habe eine gewisse Sympathie für eine Trennung zwischen Kernbankgeschäft, das das Spar- und Kreditgeschäft betrifft, und Investmentbanking. Die klassischen Geschäftsbanken könnten mit stabilen Sicherungssystemen arbeiten, sodass nichts passieren kann. Investmentbanken müssten weniger streng reguliert werden, dafür aber auch ohne Sicherung arbeiten – Pleiten müssten also möglich sein. Wirklich umsetzbar wäre dies aber nur, wenn die Größe dieser Institute wegen der Systemrisiken beschränkt würde.

Zurück zu den Anlegern: Die wollen laut Studie jetzt vorsichtiger sein.
Das Verhalten der Anleger ist doch immer gleich. Sie werden vorsichtig, wenn sie sich die Finger verbrannt haben, und gierig, wenn die Kurse wieder gut gelaufen sind. Lerneffekte halten sich da sehr in Grenzen. Allerdings muss man den Privatanleger auch in Schutz nehmen, weil er meist die Wirkungszusammenhänge an den Börsen und bei den Produkten nicht durchschauen kann und somit auch keine Möglichkeit hat, rein nach Sachverstand und Rationalität zu entscheiden. Das Verhalten wird deswegen oft gelenkt durch Emotionen, durch Geschichten, durch kognitive Verfügbarkeiten und insbesondere auch durch zyklische Erwartungen.

Was treibt die Anleger gerade in Gold? Ist das Gier, ist es Furcht, ist es Irrationalität?
Wie gesagt: Das Verhalten der Marktteilnehmer orientiert sich an Geschichten, die erzählt werden. Der Run ins Gold ist die Geschichte von den Staatsschulden und der drohenden Inflation, die die Stabilität des Euro und des Dollar zerstören werden. Jeder versteht diese Geschichte, und schnell wird das Verhalten durch die entsprechende Angst getrieben. Es ist nicht Gier, die die Goldpreise treibt, es ist die durch diese Geschichte ausgelöste Angst.

Im März 2009, als die Märkte am Tiefpunkt waren, sprachen Sie davon, dass die Anleger einen „Kontrollverlust erleben, der dazu führt, dass sie überhaupt nichts mehr machen, obwohl solche Phasen historisch betrachtet die besten Einstiegschancen sind“. Im Rückblick hatten Sie absolut recht. Aber: In was für einer Phase sind wir jetzt?
Wir sind jetzt in einer Phase, in der wir nicht so genau wissen, ob die eben erwähnte Geschichte von den Staatsschulden und der drohenden Inflation oder vielleicht Deflation sich so schlimm abspielen wird oder nicht. Man wird auch regional differenzieren müssen. Die fundamentale Situation in der deutschen Wirtschaft sieht nicht schlecht aus, Deutschland scheint ein Krisengewinner zu sein. Aus den USA droht aber Gefahr, weil der Binnenkonsum durch die zunehmende Bürgerverschuldung und hohe Arbeitslosigkeit zu versiegen droht. Zugleich engt sich der finanzielle Handlungsspielraum der Regierung zunehmend ein. Von den USA hängt aber nach wie vor viel ab. Wir befinden uns also in einer Phase mit hoher Unsicherheit, was die Nachhaltigkeit der Entwicklung betrifft. Alles in allem sehe ich aber im Wesentlichen faire Bewertungen an den Märkten.

Sind wir an einem Extrempunkt und damit potenziellen Wendepunkt angelangt?
Wir haben es gerade sicherlich nicht mit einem Extrempunkt zu tun. Zwar zeigt der Goldpreis eine hohe Unsicherheit und Risikoscheu der Investoren an, diese ist aufgrund der fundamental kritischen Situation aber auch berechtigt.


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Ihr Kollege Martin Weber von der Uni Mannheim sagt: „Wenn man weiß, wie schlecht es werden könnte, ist einem schon viel wohler.“ Wissen wir das denn?
Momentan werden verschiedene mehr oder weniger kritische Deflations- und Inflationsszenarien diskutiert. Hier gewinnt man schon einen guten Eindruck, was alles passieren kann. Ob es einem besser geht, wenn man sich damit beschäftigt, möchte ich nicht beurteilen. Allerdings werden wir Deutschen selbst bei diesen Szenarien weiterhin genügend zu essen und zu trinken haben, vielleicht hilft das.

Die Untergangs­propheten sind derzeit extrem präsent. Vom Double-Dip ist die Rede. Bei manchen gar vom Jahrhundertcrash. Wissen die Experten mehr?
Man muss sich klar­machen, dass es extrem schwierig ist, Entwicklungen in einem so verflochtenen System wie der Weltökonomie verlässlich zu prognostizieren. Zwar sind Fundamentalprognosen vergleichsweise gut möglich, aber Schwankungen an den Kapitalmärkten, die durch kaum vorhersehbare Stimmungsveränderungen und Irrationalitäten bedingt werden, können vieles durcheinanderwirbeln. Viele Experten verbreiten also nur ihre persönliche Meinung. Dass sie so präsent sind, liegt schlicht an der hohen Unsicherheit.

Also was tun? Breit streuen klingt sinnvoll. Aber: Wenn die Dinge richtig schieflaufen, dann stürzt eben doch alles ab?
Nach wie vor geht kein Weg an der Diversifikation vorbei. Aufgrund der zunehmenden Vernetzung ist es aber schwieriger, die Risiken breit zu streuen. Anleger müssen sich verstärkt nach alternativen Anlageformen umsehen und hier ­beispielsweise auch bei der Frage der liquiden Verfügbarkeit Kompromisse eingehen. Ich denke an Geschlossene Fonds, Holzinvestments, erneuerba­re Energien oder Ähnliches.

Was sollen aktivere Anleger tun?
Mir fällt es sehr schwer, Vorschläge für aktivere Anleger zu geben, weil eine hohe Aktivität an sich nicht empfehlenswert ist. Grundsätzlich bieten sich aber eher antizyklische Strategien an, gepaart mit einem nicht zu kurzfristigen Horizont, da Märkte schon mal an Trends festhalten und vorhandene Fehlbewertungen ausweiten.

Und wie sieht Ihr ganz persönliches Portfolio aus?
Das ist sehr stark diversifiziert und enthält nur einen Grundstock an Aktien, ein paar Corporate Bonds, günstig erworbene Griechenland-Anleihen, ein wenig Xetra-Gold, dafür aber mehr alternative Investments, beispielsweise Investitionen in Hedgefonds, Private Equity und ein paar Geschlossene Fonds.

Rüdiger von Nitzsch
Entscheidungs-Theoretiker
Seit 1996 leitet der 50-Jährige den Bereich Betriebswirtschaftslehre an der RWTH Aachen. Aktuell beschäftigt sich von Nitzsch hauptsächlich mit Erkenntnissen aus der Behavioral-Finance- Forschung und deren Anwendung in der Vermögensverwertung.

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