Nicolas Barghoorn

Privatanleger kaufen weiterhin Air Berlin-Aktien - trotz 1,4 Milliarden Euro Schulden!

25.09.17 15:45 Uhr

Privatanleger kaufen weiterhin Air Berlin-Aktien - trotz 1,4 Milliarden Euro Schulden! | finanzen.net

Eine Insolvenz ist die Unfähigkeit eines Schuldners, seinen Gläubigern fällige Zahlungsverpflichtungen zu leisten. Bereits eine sich abzeichnende Zahlungsunfähigkeit muss vor dem zuständigen Amtsgericht mit einem Insolvenzantrag gestellt werden, sonst droht den Gesellschaftern einer GmbH sogar die private Haftung.

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"Puuh, zum Glück investiere ich nur in Aktiengesellschaften", mag nun ein Privatanleger denken. "Dort hafte ich ja maximal mit meinem eingesetzten Kapital!"

Alles richtig, doch welche Konsequenzen hat diese Tatsache? Darum geht es in dieser Kolumne, denn viele Privatanleger sind sich nicht bewusst, dass sie bei der Insolvenz einer AG, in der sie investiert sind, de facto enteignet werden.

Insolvente Aktiengesellschaften werden häufig aufgespaltet, in andere GmbHs ausgegliedert, das Stammkapital auf 0 gesetzt und neue Aktien ohne Bezugsrechte für Altaktionäre ausgegeben, falls der Geschäftsbetrieb unter neuen Investoren fortgeführt wird. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Das mag man ungerecht finden, schließlich ist man als Aktionär ja bereits bei der Investition ein Risiko eingegangen. Aber wie immer schützt eben Unwissenheit nicht vor Kapitalverlust und daher möchte ich mit diesem Artikel für eine breitere Aufklärung unter Aktionären zu diesem Sachverhalt sorgen.

Aktionäre sind keine Gläubiger

Aktionäre einer AG sind keine Gläubiger dieser AG, da sie keinen zeitlich fixierten Anspruch auf Rückzahlung der Investitionen haben. Aktionäre erwerben Eigenkapitalanteile am Unternehmen und wenn Air Berlin 1.400.000.000 € Finanzschulden bei Anleihegläubigern und Kreditinstituten hat, dann sind es im Endeffekt WIR, die Aktionäre, die diese Finanzschulden haben. Wir müssen zwar (zum Glück) nicht über unseren Kapitaleinsatz hinaus Geld bei einer Insolvenz nachschießen, doch im Gegenzug verlieren wir in dem Moment des Antrags sämtliche Rechte auf Kompensation!

Das Aktiengesetz sagt dazu in § 57 "Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen":

  • Den Aktionären dürfen die Einlagen nicht zurückgewährt werden. Als Rückgewähr gilt nicht die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien.
  • Den Aktionären dürfen Zinsen weder zugesagt noch ausgezahlt werden.
  • Vor Auflösung der Gesellschaft darf unter die Aktionäre nur der Bilanzgewinn verteilt werden.

Der Fall Air Berlin

Ausgehend von dieser Information, verwundert es ein wenig, dass offenkundig immer noch eine Menge Privatanleger die Aktien der insolventen Air Berlin PLC an der Börse kaufen. Ich kann mir das nur aus zwei Gründen erklären: Entweder sie setzen auf kurzfristige und enorm risikoreiche Kursgewinne und eine schnelle Spekulation. Oder aber sie kennen den Ablauf einer Insolvenz und deren Ausgang nicht. Schauen wir uns mal an, wie realistisch es ist, dass Air Berlin-Aktionäre noch etwas von der Insolvenzmasse abbekommen.

Bei einer Insolvenz kommt es zu einer sogenannten Quotenteilung. Hier werden ganz einfach alle ausstehenden Gläubigerforderungen ins Verhältnis zur vorhandenen Insolvenzmasse gesetzt und an die Gläubiger ausgezahlt. Die Reihenfolge, nach der das übrige Vermögen verteilt wird, sieht dabei in etwa so aus:

Insolvenzverwalter & Masseverbindlichkeiten

Während eines Insolvenzverfahrens entstehen weitere Kosten: Zum Beispiel muss der Insolvenzverwalter bezahlt werden und häufig entstehen noch andere Verbindlichkeiten wie Gerichts- und Anwaltskosten. Die Gläubiger dieser Masseverbindlichkeiten würden natürlich ihre Mittel niemals bereitstellen, wenn sie erst mit allen anderen Gläubigern zusammen aus der Insolvenzmasse bedient werden würden. Klar, denn sie könnten ja ihr Geld oder ihre Arbeit auch einfach in eine andere Aktie oder eine Weltreise investieren. Diese sind also die ersten, die Anteile aus der Insolvenzmasse bekommen.

Bei allen anderen Gläubigern gilt der Grundsatz "par condicio creditorium" (Gläubigergleichbehandlung). Da wir als Aktionäre jedoch keine Gläubiger, sondern Schuldner sind, kommen wir hier nicht mal in Betracht. Wir haben nicht mal ein Stimmrecht auf der Gläubigerversammlung und dürfen nicht mal den Saal betreten, warum auch? Wir könnten eh nichts ändern.

Zunächst mal gibt es hier Mitarbeiter, die während der Insolvenz vom Arbeitsamt volle 3 Monate ihr Gehalt weitergezahlt bekommen. Dieses Gehalt wird allerdings in der Regel von einer Bank vorfinanziert, weil der Anspruch abgetreten wird und somit gibt es erneute Verbindlichkeiten gegenüber einem Kreditinstitut.

Es folgt eine weitere lange Liste von Gläubigern, bestehend aus:

  • Kunden, die zum Beispiel Rückerstattungen aus nicht erbrachten Leistungen fordern.
  • Offene Forderungen von Lieferanten oder anderen Unternehmen.
  • Kreditgeber, Banken etc.
  • Anleihegläubiger und sonstige Gläubiger.

Im üblichen Fall reicht die Insolvenzmasse nicht mal zur vollständigen Deckung der Gläubigerforderungen! Das bedeutet nur in dem äußerst seltenen Fall, dass alle Gläubigerforderungen restlos bedient werden können, haben wir Aktionäre noch einen Anspruch auf Kompensation.

Da Air Berlin, wie gesagt, über 1,4 Milliarden Euro Finanzschulden hat, die Schulden ständig weiter wachsen (z.B muss auch das Darlehen an den Staat von etwa 150 Millionen € zuvor bedient werden), würde nur ein Wunder dazu führen, dass ein Aktionär noch Geld sieht. Die Fluggesellschaft hat nicht einmal Flugzeuge, die sie verkaufen könnte. Das Einzige, was wirklich zu Geld gemacht werden kann, sind die Slots, also die Start-und Landerechte. Diese werden allerdings nicht mehr als ein paar Hundert Millionen Euro einbringen.

In Anbetracht dieser Tatsachen stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvollere Möglichkeiten gibt, sein Geld zu verbrennen, z.b. im Casino oder auf einem Party-Boot auf Mallorca.

Hätte ein Anleger die Insolvenz als Aktionär prognostizieren können?

Ja! Unabhängig von der Tatsache, dass Air Berlin in den vergangenen zehn Jahren nicht ein einziges Mal einen Gewinn aus dem operativen Geschäft ausgewiesen hat (eine Ausnahme bildet das Jahr 2012, als die Fluggesellschaft dank eines Verkaufs der TopBonus Limited 184 Millionen Euro von Etihad erhielt), gab es eine Menge Anzeichen, die die Alarmglocken ordentlich geläutet haben.

Das Unternehmen war überhaupt nur wegen des Einstiegs von Etihad 2011 überlebensfähig. Schauen wir uns auf finanzen.net die Bilanz an, sehen wir ein dramatisch sinkendes Eigenkapital. Bereits 2010 und ab 2013 musste Air Berlin negatives Eigenkapital ausweisen, um nicht schon damals Insolvenz anmelden zu müssen. Bereits hier hätte man sich als Investor fragen sollen, ob es Sinn macht in ein Unternehmen zu investieren, welches ohne die ständigen Finanzspritzen eines arabischen Unternehmens nicht überleben kann.

Meine wichtigste Kennzahl für finanzielle Stabilität ist der Zinsdeckungsgrad (Interest Coverage). Dieser gibt ganz einfach an, um welchen Faktor ein Unternehmen seine Zinsaufwendungen durch das operative Ergebnis (EBIT) decken kann. Nehmen wir an, ein Unternehmen hat im 3. Quartal 2017 ein EBIT von 500 Millionen € und Zinsaufwendungen im selben Zeitraum von 35 Millionen Euro. Der Zinsdeckungsgrad liegt bei soliden 14.

Je nach Unternehmenstyp kann ein Investor unterschiedlichen Unternehmen unterschiedliche Interest Coverages gewähren (je nachdem, wie viel Risiko er eingehen möchte). Fällt allerdings das Interest Coverage unter 1, wird es sehr brenzlig - vor allem wenn die Kreditaufnahme nicht aus der Stärke der Expansion heraus erfolgt und zur Not gedrosselt werden könnte, sondern deshalb, weil das Unternehmen aus der Schwäche heraus mehr und mehr Kredite aufnehmen muss.

Fazit

Zwar gibt es bei Insolvenzen auch Ausnahmen für Aktionäre, bei denen die Aktien langfristig wieder steigen, doch sind diese Fälle extrem selten. Jeder Investor sollte die Bilanzen eines Unternehmens genau prüfen, BEVOR ein Investment getätigt wird. Und auch während der Investition sollten die Aktien regelmäßigen Überprüfungen unterzogen werden. Dann haben Anleger eine realistische Chance, die Aktien noch rechtzeitig loszuwerden und ertragreichere Investments zu suchen.

Nicolas "Kolja" Barghoorn ist Investor und YouTuber. Sein Börsenkanal "Aktien mit Kopf" wurde inzwischen mehr als zwölf Millionen Mal aufgerufen. Mit seinen kurzweiligen, lehrreichen und auch kritischen Clips erreicht der Fitnessfachwirt und studierte Animatonsfilmer Tag für Tag mehr Menschen. Schauen Sie doch mal auf seinem Kanal (Aktien mit Kopf) oder seinem Blog vorbei.


Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

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Bildquellen: Nicolas Barghoorn

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14.08.2015Air Berlin buyCommerzbank AG
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26.03.2012Air Berlin kaufenDie Actien-Börse
12.08.2011Air Berlin buyCommerzbank Corp. & Markets
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28.04.2015Air Berlin HoldHSBC
15.01.2015Air Berlin NeutralHSBC
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05.09.2014Air Berlin HoldCommerzbank AG
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