AstraZeneca-Aktie letztendlich schwächer: EU-Behörde EMA stellt sich hinter AstraZeneca-Impfstoff - Stiko bleibt bei AstraZeneca-Bewertung
Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) steht im Kampf gegen die Corona-Pandemie weiter hinter dem Impfstoff von AstraZeneca.
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Es sei zwar ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Wirkstoff und sehr seltenen Thrombose-Fällen festgestellt worden, teilte die EMA am Mittwoch mit. Es gebe insgesamt aber weiter mehr Nutzen als Risiko beim Einsatz des Mittels. Eindeutige Risikofaktoren hätten bisher nicht identifiziert werden können. Deshalb schränke die EMA den Einsatz des Mittels nicht ein. Die EU-Gesundheitsminister konnten sich bei einer virtuellen Sondersitzung nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen. Damit herrschen in den Mitgliedsstaaten weiter unterschiedliche Vorgaben.
Bis zum 4. April seien in der EU 169 Fälle von seltenen Gehirn-Thrombosen bei 34 Millionen verabreichten Impfdosen gemeldet worden, sagte Sabine Straus, Vorsitzende des zuständigen EMA-Ausschusses für Risikobewertung. Die gemeldeten Blutgerinnsel seien vor allem bei Frauen im Alter von unter 60 Jahren binnen zwei Wochen nach der Impfung aufgetreten, so die EMA. Alter und Geschlecht hätten aber dennoch nicht als eindeutige Risikofaktoren ermittelt werden können.
Das AstraZeneca-Mittel sei ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Pandemie, betonte EMA-Chefin Emer Cooke. Das Risiko, an COVID-19 zu sterben, sei deutlich höher als das Risiko, an den seltenen Nebenwirkungen zu sterben. Die EMA forderte zugleich zu umfassenden Abklärungen auf, sollten Geimpfte verdächtige Symptome zeigen. Die Gerinnsel seien ein sehr seltener Nebeneffekt des AstraZeneca-Impfstoffs, der in den Beipackzetteln des Medikaments vermerkt werden solle. Dies solle auch in die Entscheidung über den weiteren Einsatz in einzelnen Ländern einfließen.
KEINE EINHEITLICHE LINIE IN DER EU
Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft hatte in der Einladung zum Treffen der Gesundheitsminister eine einheitliche Linie angemahnt. "Eine Harmonisierung auf EU-Ebene wird von wesentlicher Bedeutung sein, um die Verbreitung von Falschinformationen zu stoppen", hieß es in dem Dokument. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sagte den Ministern ihren Rede-Notizen zufolge, ein koordiniertes Vorgehen "verwirre die Bürger nicht und leiste auch nicht einer Impf-Scheu Vorschub". Aus EU-Kreisen verlautete nach dem Treffen, das Thema werde bei zukünftigen Gesprächen wieder aufgegriffen. Damit blieben in der EU verschiedene Altersgrenzen gültig: In Frankreich etwa ab 55 Jahren, in Deutschland ab 60, in Finnland ab 65. Andere Mitgliedsstaaten haben keine Grenze festgelegt.
In früheren EU-Land Großbritannien sollen dagegen unter 30-Jährige nicht mehr mit dem Mittel geimpft werden, wie der Gemeinsame Impfausschuss (JCVI) bekanntgab. Im Königreich ist die Impfkampagne stark auf das von der Universität Oxford entwickelte AstraZeneca-Mittel ausgerichtet. Neben dem Impfstoff des britisch-schwedischen Konzerns nutzt Großbritannien die Vakzine von Pfizer/Biontech und Moderna.
Das AstraZeneca-Mittel ist der billigste Corona-Impfstoff auf dem Markt und zahlreiche Länder sind für ihre Impfkampagnen auf das Mittel angewiesen. Wissenschaftler verfolgen mehrere Theorien, wie es nach Verabreichung des Mittels zu den Gerinnseln kommen kann. So wird auch einer möglichen Verbindung zur Einnahme der Anti-Baby-Pille nachgegangen. Experten betonen, dass COVID-19 selbst Thrombosen auslösen kann, wie auch viele weit verbreitete Medikamente, darunter die Anti-Baby-Pille.
AstraZeneca hatte immer wieder erklärt, Studien hätten keine erhöhte Thrombose-Gefahr gezeigt. Der Konzern hat unter anderem wegen Lieferengpässen wiederholt für Aufregung gesorgt.
Stiko bleibt bei AstraZeneca-Bewertung - Wie reagieren die EU-Länder?<7h2>
Trotz der Entscheidung der EU-Arzneimittelbehörde EMA zur uneingeschränkten Anwendung von AstraZeneca wird der Corona-Impfstoff in manchen Länder weiter nur älteren Bürgern geimpft - auch in Deutschland. Was die EMA gemacht habe, könne man mit Sicherheit rechtfertigen, sagte der Infektionsimmunologe Christian Bogdan bei einer Online-Diskussion des Science Media Centers am Mittwochabend. "Aber das, was die Stiko gemacht hat, kann man sicherlich genauso rechtfertigen", meinte Bogdan, der Mitglied in der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist.
Die Stiko hatte den AstraZeneca-Impfstoff zuletzt erst ab 60 Jahren empfohlen. Grund war unter anderem das Auftreten von Hirnvenenthrombosen bei 1 bis 2 unter 100 000 geimpften jüngeren Frauen in Deutschland. Es gab auch wenige Fälle bei Männern in Deutschland - jedoch wurden bisher bundesweit 2,5 Mal mehr Frauen das erste Mal mit AstraZeneca geimpft. Bogdan sagte, die EMA-Entscheidung werde sicher ein Thema in einer der nächsten Stiko-Sitzungen werden.
EU-Gesundheitskommissarin Stelle Kyriakides rief die EU-Staaten bei einer Videokonferenz der nationalen Gesundheitsminister am Mittwochabend zu einem abgestimmten Vorgehen auf, um das öffentliche Vertrauen zu stärken. "Unsere Entscheidungen sollten nun auf der wissenschaftlichen Arbeit der EMA beruhen, und einer gründlichen, fortlaufenden Bewertungen der Risiken und Vorteile." Auch der portugiesische Vorsitz der EU-Staaten forderte die Mitgliedsstaaten zu einer möglichst abgestimmten Position auf. Portugals Gesundheitsministerin Marta Temido sagte: "Das ist eine technische Entscheidung. Es ist keine politische Entscheidung." Man dürfe nicht vergessen, dass einzelne Entscheidungen sich auf alle auswirkten.
In den ersten Ländern wurden nach der EMA-Mitteilung vom Mittwochnachmittag bereits Entscheidungen zur weiteren Verwendung des AstraZeneca-Präparats getroffen. Italien änderte seine Richtlinien - AstraZeneca wird nun wie in Deutschland nur noch für über 60-Jährige empfohlen. Das gab der Präsident des obersten Gesundheitsinstituts (CTS), Franco Locatelli bekannt. In Österreich sprach sich das nationale Impfgremium dafür aus, der EMA-Empfehlung zu folgen.
Unterdessen zeigte sich der Virologe Hendrik Streeck überrascht über die Empfehlung der Stiko, Menschen in Deutschland nach einer Impfung mit AstraZeneca eine Zweitimpfung mit BioNTech (ADRs) oder Moderna anzubieten. "Da sind die klinischen Studien noch nicht gelaufen. Ich hielte es für notwendig, sich an die Regeln zu halten und abzuwarten, ob die Studien erfolgreich sind", sagte er der "Fuldaer Zeitung" (Donnerstag). Er halte es aber für eine "nachvollziehbare" Entscheidung, AstraZeneca bei Menschen unter 60 Jahren nicht mehr zu impfen - auch wenn der Impfstoff an sich gut und sicher sei.
Die Stiko hatte empfohlen, dass Menschen unter 60 Jahren, die bereits eine erste Corona-Impfung mit dem Präparat von AstraZeneca erhalten haben, bei der zweiten Impfung auf ein anderes Mittel umsteigen sollen. Experten vermuten, dass das sehr geringe Risiko einer Hirnvenenthrombose jüngere Menschen betrifft. Die Stiko riet, als zweite Dosis einen mRNA-Impfstoff zu verabreichen. In Deutschland sind die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna zugelassen.
Bereits am Mittwoch wollte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit seinen Länderkollegen eigentlich auch über die Zweitimpfungen für junge Leute beraten, die mit dem Wirkstoff von AstraZeneca geimpft wurden. Über ein Ergebnis wurde aber zunächt nichts bekannt.
Der Vorsitzende der Stiko, Thomas Mertens, sagte der "Rheinischen Post" (Donnerstag) zu der Empfehlung zur Zweitimpfung: "Der Schutz gegen COVID-19 nimmt bei einmaliger AstraZeneca-Impfung nach gewisser Zeit ab." Mertens meinte, dass es bei einer Zweitimpfung mit einem anderen Impfstoff sogar zu einer besseren Schutzwirkung kommen könne.
Die EU-Arzneimittelbehörde EMA empfahl am Mittwoch uneingeschränkt die Anwendung von AstraZeneca. Der Nutzen sei höher zu bewerten als die Risiken, erklärte die EMA in Amsterdam. Die britische Impfkommission änderte dagegen ihre Empfehlung: Das Präparat soll künftig möglichst nur noch über 30-Jährigen verabreicht werden.
Stiko-Chef Mertens sagte zudem der "Augsburger Allgemeinen" (Donnerstag), dass die Stiko und das Robert Koch-Institut Vorschläge prüfen wollten, für eine größere Anzahl an Erstimpfungen den Abstand zur Zweitimpfung bei Mitteln von BioNTech und Moderna zu verlängern. "Stiko und RKI beschäftigen sich intensiv auch mit dieser Frage und wollen zu einer wissenschaftlich begründbaren Stellungnahme kommen."
Der Virologe Klaus Überla, der ebenfalls der Stiko angehört, zeigte sich allerdings skeptisch. "Hinweise auf eine nachlassende Wirksamkeit beginnend sechs Wochen nach einer BioNTech mRNA Immunisierung sprechen aus meiner Sicht gegen diesen Vorschlag", sagte er der "Augsburger Allgemeinen". Die Stiko empfahl zuletzt einen Abstand von sechs Wochen bei BioNTech und Moderna für die Zweitimpfung. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und andere Wissenschaftler hatten am Osterwochenende einen Kurswechsel hin zu möglichst vielen kurzfristigen Erstimpfungen gefordert.
Stiko-Chef sieht keine Widersprüche unter Experten zu AstraZeneca
In der Debatte um den Corona-Impfstoff hat der Vorsitzende der deutschen Ständigen Impfkommission (Stiko) der Wahrnehmung widersprochen, es gebe Meinungsverschiedenheiten unter Experten. Es gebe keinen Widerspruch zwischen den Einschätzungen der EU-Arzneimittelbehörde EMA, dem Paul-Ehrlich-Institut und der Stiko, sagte der Virologe Thomas Mertens am Donnerstag im RBB-Inforadio. Dass der AstraZeneca-Impfstoff in seltenen Fällen zu schweren und auch lebensgefährlichen Nebenwirkungen (bestimmten Arten von Blutgerinnseln) führen könne, bestreite niemand.
Mertens betonte vielmehr die unterschiedlichen Aufgaben und Blickwinkel der Institutionen: Die EMA sei für die grundsätzliche Zulassung zuständig, machte er deutlich. Bei der Stiko gehe es vielmehr darum, den Impfstoffeinsatz zum besten Nutzen der Bevölkerung in Deutschland zu regeln.
Wenn man ganz Europa betrachte, habe die EMA mit ihrer positiven Bewertung der Impfung sicher recht, betonte Mertens: "Denn es gibt viele Länder in Europa, die auch in ihrer Impfkampagne fast völlig von AstraZeneca abhängen." In Deutschland sei das anders, auch andere Präparate stünden zur Verfügung: "Wir haben die Möglichkeit, Impfstoffe in den Altersgruppen zu verschieben und dadurch das Risiko einer schweren Nebenwirkung zu reduzieren oder ganz auszuschließen."
Mit Blick auf unterschiedliche Altersbeschränkungen in EU-Ländern erläuterte Mertens, dass jedes Land seine eigenen Daten betrachte. Die EU-Staaten hätten unterschiedliche, kaum miteinander vergleichbare Meldesysteme für Nebenwirkungen. Eine Art europäische Stiko fehle: "Es gibt derzeit keine europäische Institution, die eine gemeinsame Empfehlung für alle europäischen Länder ausarbeiten und durchsetzen könnte."
Die EMA hatte am Mittwoch trotz sehr seltener Fälle von Blutgerinnseln in Hirnvenen jüngerer Menschen weiterhin uneingeschränkt grünes Licht für die Anwendung des Impfstoffes gegeben. Die Stiko empfiehlt AstraZeneca hingegen erst für Menschen ab 60 Jahren. In Großbritannien sollen nur noch Erwachsene über 30 das Mittel bekommen.
Britischer Minister zu AstraZeneca-Beschränkung: Kein Impfstoffmangel
Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock sieht trotz der geänderten Empfehlung für den AstraZeneca>-Impfstoff in seinem Land keinen Grund für Impfstoffmangel. "Wir haben mehr als genug an Pfizer- und Moderna-Impfstoff, um ihn all denen anzubieten, die jünger sind als 30 Jahre", sagte Hancock der BBC am Donnerstag. Das werde die Geschwindigkeit der Impfkampagne nicht beeinflussen.
Die britische Impfkommission hatte ihre Empfehlung am Mittwoch für den AstraZeneca-Impfstoff nach einer Überprüfung geändert. Das Präparat soll künftig möglichst nur noch über 30-Jährigen verabreicht werden, wie die Kommission am Mittwoch mitteilte. Grund sind Berichte über seltene Fälle von Blutgerinnseln im Zusammenhang mit einer Impfung mit dem Vakzin.
In Großbritannien sind nach Angaben der Arzneimittelbehörde MHRA bislang 79 Fälle von seltenen Blutgerinnseln nach Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff aufgetreten. Dabei kam es zu 19 Todesfällen. Die meisten dieser Fälle betrafen junge Menschen. Ein direkter Zusammenhang mit dem Impfstoff konnte laut Impfkommission zwar noch nicht nachgewiesen worden. Aber angesichts des geringeren Risikos für jüngere Menschen an COVID-19 zu sterben, habe man diese Abwägung getroffen, hieß es.
In London verloren AstraZeneca-Papiere schlussendlich 1,13 Prozent auf 70,79 Pfund, nachdem sie im Tagesverlauf größtenteils im Plus tendierten.
BERLIN/BRÜSSEL/AMSTERDAM (dpa-AFX / Reuters)
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