Robert Halver: Auch Währungskrisen werden keinen Aktien-Crash auslösen
Der Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank, Robert Halver, spricht im Interview über Risiken und Chancen an den Aktienmärkten, den Öl- und Goldpreis sowie über Anlagestrategien für Privatanleger.
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Von Benjamin Summa
Der Kurssturz der türkischen Währung hat die Finanzmärkte in der vergangenen Woche weltweit in Unruhe versetzt. Wo sehen Sie derzeit Risiken und wo Chancen für die Aktienmärkte?
Robert Halver: Bei europäischen Banken stehen zirka 200 Milliarden Euro im türkischen Kredit-Feuer. Theoretisch ist das der Stoff, aus dem die Albträume für die Finanzindustrie sind. Praktisch wäre es aber absurd, wenn die EZB nach zehn Jahren der kontinuierlichen geldpolitischen Rettung Europas vor jeder Krise jetzt eine massive Bankenkrise zuließe, die die EU und Eurozone auch konjunkturell und sozialpolitisch so stark schwächte, dass der europäische Zusammenhalt vor der Scheidung stünde.
Selbst die Angsthasen an den westlichen Aktienmärkten zeigten sich nach anfänglicher Nervosität zuletzt weniger irritiert: Nach zahllosen Krisen aller Art seit 2008 haben sich Aktienanleger viel Hornhaut zugelegt. Auch eine Währungskrise in der Türkei wird keinen Crash auslösen.
Viele Anleger haben Angst vor einem Handelskrieg zwischen den USA und China. Wie berechtigt sind diese Sorgen?
Am 6. November 2018 finden in den USA Kongresswahlen statt. Um die republikanische Mehrheit zu bewahren, will Präsident Trump mit dem Thema "unfaire Behandlung Amerikas in Handelsfragen durch China" punkten. Tatsächlich ist festzuhalten, dass China seine starke Wirtschaftsposition auch den unfairsten Handelspraktiken der Welt zu verdanken hat. Angesichts der Tatsache, dass China exportabhängiger als Amerika ist, spricht aber viel dafür, dass sich beide Länder nach der Wahl arrangieren werden. Überhaupt: Die USA wollen auf die kostengünstigen Vorprodukte aus China und den nachhaltig prosperierenden asiatischen Absatzmarkt nicht verzichten. Man darf Trump nicht immer so ernst nehmen.
Der US-Dollar ist gegenüber dem Euro kürzlich auf den höchsten Stand seit gut einem Jahr gestiegen. Das ist das Gegenteil dessen, was Präsident Trump wollte, nämlich eine schwache Landeswährung, um die US-Wirtschaft anzukurbeln. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Amerika hat im Vergleich zu Europa eine wesentlich stärkere Wirtschaft, was ja auch zu einer restriktiveren Zinspolitik der US-Notenbank geführt hat. Gleichzeitig ist Europa zurzeit kein wirklich funktionierendes politisches Gebilde, siehe Flüchtlings-Schuldenfragen. Daher bleibt die EZB grundsätzlich bei einer sehr üppigen Geldpolitik, um jeder Krise entgegenzuwirken. Gleichzeitig sind die USA mit ihrer Weltleitwährung immer noch der sichere Hafen, wenn Finanz- oder Währungsprobleme wie im Augenblick in der Türkei auftreten. Und dennoch betreibt die US-Notenbank trotz mittlerweile sieben Zinserhöhungen eine insgesamt zahme Geldpolitik. Sie weiß, dass deutliche Zinserhöhungen wie zwischen 2004 und 2006 zu einer massiven Kapitalflucht aus den Schwellenländern nach Amerika führen und die Weltwirtschaft ins vielleicht finale Elend stürzen würden. Und dann hätten die amerikanischen Exportkonzerne nicht nur wegen des starken Dollars dramatische Absatzprobleme. Eine weitere dramatische Aufwertung des Dollars sehe ich nicht. Bis Ende des Jahres ist ein US-Dollar je Euro von 1,14 zu erwarten.
Der Ölpreis hat in den vergangenen Monaten ordentlich angezogen. Welche weitere Entwicklung erwarten Sie hier?
Selbst die im November anstehenden Exportbeschränkungen für iranisches Öl sorgen nicht für höhere Energiepreise und insofern steigende Produktionskosten in den Industrieländern, die bei Inflationsbeschleunigung auch die Notenbanken auf den Plan rufen könnten. Die OPEC und Russland werden schon aus sehr eigennützigen Motiven Lieferausfälle des Iran ausgleichen. Denn je höher der Ölpreis, umso attraktiver ist die Alternativ-Ölproduktion über Fracking in den USA. Donald Trump würde zum Beispiel Europa nicht nur mit Gas, sondern liebend gerne auch mit Öl beliefern. Zur Sicherung seiner Marktanteile wird vor allem Saudi-Arabien einen Ölpreis-Schock wirkungsvoll bekämpfen. Bis Ende des Jahres sind insofern leicht sinkende Ölpreise zu erwarten.
Es gab in diesem Jahr einige Nachrichten, die eigentlich für eine höhere Goldnachfrage hätten sorgen müssen. Doch dies blieb aus. Warum ist Gold derzeit nicht so gefragt bei Anlegern?
Gold wird in Dollar gehandelt. Daher hat der zuletzt starke US-Dollar den Goldpreis gedrückt. Hinzu kommen die mittlerweile wieder höheren US-Zinsen, die dem zinslosen Gold das Leben erschweren. Schließlich kaufen die US-Notenbanken im Moment weniger Gold auf. Jedoch sind in Amerika weiter steigenden Anlagezinsen Grenzen gesetzt. Denn die Fed muss die apokalyptische Verschuldung Amerikas im Blick haben. Die Haushaltsdefizite der USA werden in den nächsten zehn Jahren bei durchschnittlich fünf Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Während also Präsident Trump sein Amt mit 20 Billiarden US-Dollar an Staatsschulden übernommen hat, würde er es 2024 - bei unterstellter Wiederwahl - mit ca. 30 Billiarden US-Dollar abgeben. Daneben hat auch die private Verschuldung neue Höchststände erreicht. Daher kann eine zu harte Geldpolitik der Fed zu einer weltweiten Schuldenkrise führen. Und auch überall sonst nehmen die Schulden und politischen Probleme zu. Vor diesem Hintergrund ist mir um Gold nicht bange. Wer heutzutage noch denkt, dass unsere Finanzwelt stabil ist, der glaubt wohl auch an den Weihnachtsmann.
Welche Anlagestrategie empfehlen Sie momentan Privatanlegern?
Bleiben Sie Aktien treu. Grundsätzlich zeichnet sich der Aktienmarkt durch Steherqualitäten aus. Die Anleger rechnen damit, dass jede Krise, die die Weltkonjunktur und das Finanzsystem theoretisch nachhaltig schädigen könnte, von der Geldpolitik praktisch besänftigt wird. Schließlich ist es bei der Aktienzurückhaltung, die zurzeit gegeben ist, unwahrscheinlich, dass ein heftiger Ausverkauf bevorsteht. Da sich die Investitionsquote der US-Finanzprofis zuletzt deutlich zurückgebildet hat, wartet an der Seitenlinie viel Geld, das bei Aufhellungen der Großwetterlage in Aktien investiert werden kann.
Mit etwas mehr Schwankungen ist zwar zu rechnen. Aber für regelmäßige Aktiensparpläne sind sie sogar positiv. Denn in sinkenden Kursphasen erhält man für den gleichen Sparanteil mehr Aktienanteile, die bei Börsenerholung das gesamte Aktienvermögen anheben, wie Schiffe durch die Flut angehoben werden. Im Einkauf liegt auch bei Aktien der Gewinn.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Robert Halver, Simon Katzer