Folker Hellmeyer: Die Untergangsstimmung in DAX und Dow ist weg
Im Interview spricht der Chefvolkswirt von Solvecon Invest, Folker Hellmeyer, über die Rationalität an den Aktienmärkten, die wirtschaftliche Erholung und Gold als belastbare Währung.
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Von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, die Zutaten für einen Sturm an den Finanzmärkten wären eigentlich vorhanden: Wir befinden uns in einem "Lockdown light", diskutieren munter über eine Verlängerung bzw. Verschärfung und die Corona-Neuinfektionen befinden sich noch immer auf einem hohen Stand. Die Börsen beeindruckt das aber nicht sehr, unter dem Eindruck eines möglichen Impfstoffes haben diese sogar spürbar aufgeatmet. Wie lautet Ihre Erklärung hierfür?
Folker Hellmeyer: Die Märkte reagieren rationaler, als man das annimmt. Natürlich ist Corona nach dem guten Verlauf im Sommer wieder als Thema stark zurückgekehrt, in vielen Ländern kommen die Gesundheitssysteme erneut an ihre Grenzen. Es gibt aber große Unterschiede zum Frühjahr: Damals waren die Finanzmärkte völlig unvorbereitet mit den Auswirkungen dieses neuartigen Virus konfrontiert. Jetzt kann das Risiko sehr viel besser eingeschätzt werden. Zudem sehen wir momentan eine starke wirtschaftliche Erholung in Asien, vor allem in China. Wir reden hier immerhin über eine Region, die einen Anteil von 35 bis 40 Prozent an der Weltwirtschaft hat. Das bringt Stabilisierungseffekte - auch für andere Regionen der Welt. Des Weiteren lehnen die USA - zumindest jetzt noch unter Trump - einen harten flächendeckenden Lockdown ab. Und auch in Europa haben wir überwiegend Einschränkungen im Dienstleistungssektor, nicht aber im produzierenden Gewerbe. Auch das ist ein Unterschied zum Frühjahr. Zudem gibt es jetzt die Hoffnung, dass in absehbarer Zeit wirksame Impfstoffe kommen werden. Das Bewusstsein ist jetzt also viel stärker, dass wir es am Ende nur mit einem temporären Problem zu tun haben. Das war zu Beginn des Jahres ganz anders, damals schwebte über allem eine große Ungewissheit, ja sogar eine Untergangsstimmung.
Am Aktienmarkt kommt man also gar nicht vorbei, oder?
Ja, wir erleben gerade den größten Anlagenotstand in der Geschichte der Menschheit. Die Zentralbanken werden ihre Inflationsberechnungen verwässern. Die Anleger müssen sich darauf vorbereiten, dass vor diesem Hintergrund der reale Zinsverlust immer stärker ausfallen wird. Nun gibt es aber sehr viele Kapitalsammelstellen, die auf laufende Erträge angewiesen sind. Wenn diese mittels Zinsen nicht erzielt werden können, muss in alternative Anlageklassen investiert werden - und hier spielt der Immobilienmarkt eine große Rolle, vor allem aber auch der Aktienmarkt.
Welche Branchen favorisieren Sie mittelfristig - auch im Hinblick auf die großen Konjunkturpakete, die kommen werden?
Diesbezüglich haben die internationale Politik und beispielsweise auch das Weltwirtschaftsforum im vergangenen Jahr bereits Antworten gefunden: Die gesamten Konjunkturprogramme bekommen einen grünen Touch. Alternative Energietechnologien werden künftig also noch viel stärker gefördert werden. Wir werden aber auch Nachholeffekte in der gesamten Investitionsgüterbranche sehen. Die sogenannte Old Economy - Anlagen- und Maschinenbau und Chemie - wird sehr stark von den Konjunkturprogrammen profitieren. Und drittens werden natürlich weiterhin Hightech und IT eine große Rolle spielen, denn wir sind in einer beschleunigten Umbauphase der globalen Ökonomie. Hierbei ist dieser Sektor immens wichtig.
Welche Auswirkungen wird die Präsidentschaft Joe Bidens auf die Finanzmärkte haben?
Vor dem Hintergrund von Deregulierung und Steuersenkungen galt Donald Trump lange Zeit natürlich als Darling der Wall Street. Aber nun bekommen wir plötzlich eine zweite Erzählung, seitdem Joe Biden als nächster Präsident feststeht. Und diese geht so: Biden sei auch nicht so schlecht, denn es gebe dann zwar Steuererhöhungen, aber diese würden überkompensiert durch Konjunkturprogramme, die mit fünf Billionen US-Dollar viel größer ausfallen würden, als Trump diese geplant habe. Darüber hinaus kann man aber mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass wir mit Biden einen zusätzlichen Wachstumsimpuls bekommen werden: Der neue Präsident wird den Multilateralismus, der von Trump bekämpft worden ist, wieder stärker betonen. Dieses Konstrukt, das die globale Ökonomie trägt, ist also künftig nicht mehr solch starken Angriffen ausgesetzt. Die Potenzialwachstumskräfte in der Weltwirtschaft werden dadurch mittel- bis langfristig gestärkt.
Wie lautet Ihre Einschätzung im Hinblick auf die Erholung der Wirtschaftsräume in Europa, den USA und Asien?
Wir haben eine dreigeteilte Welt: Asien, hier insbesondere China, kommt mit seiner wirtschaftlichen Erholung sehr schnell voran. Hier werden wir ein Wachstum von zwei Prozent haben. Durch das Freihandelsabkommen, das 15 asiatische Länder jetzt ratifizieren werden, bekommt die Region noch eine zusätzliche Dynamik. Diese Länder werden Zölle senken und andere Handelsschranken beseitigen. Das ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung als sehr positiv zu bewerten.
In den USA ruckelt die wirtschaftliche Erholung, keine Frage, aber sie läuft besser als in Europa. Das hat auch mit dem etwas anderen Weltbild jenseits des Atlantiks zu tun, das dort tief in der Gesellschaft verankert ist. Menschenleben retten: ja, aber nicht um jeden Preis. Die Aufrechterhaltung der Wirtschaft hat ebenfalls einen hohen Stellenwert. Europa war in wirtschaftlicher Hinsicht durch die harten flächendeckenden Lockdowns im Vergleich härter getroffen. Aber insgesamt betrachtet kommt auch Europa wieder schneller in die konjunkturelle Spur, als man es zu Beginn des Jahres geglaubt hat.
Die Nachricht über einen möglichen Impfstoff ließ den Goldpreis am vergangenen Montag innerhalb kurzer Zeit um rund 100 Dollar einbrechen, der stärkste Verlust seit längerer Zeit. Sehen Sie einen nachhaltigen Absturz beim Gold, wenn die Pandemie einmal ihrem Ende entgegengeht?
Nein, den sehe ich nicht. Der Abverkauf beim Gold war aus meiner Sicht auf die Situation an den Futuresmärkten zurückzuführen, er spiegelte aber nicht die tatsächliche physische Nachfrage wider. Fakt ist, dass das Zentrum unseres Finanzsystems so angeschlagen ist wie nie zuvor. Das wird unweigerlich zu einer Neubewertung von Gold führen. Die smarten Zentralbanken in Russland und China bauen Goldreserven auf. Das westlich geprägte System wird in sich fragiler. Trotz perspektivisch leicht steigender Inflationsraten wird es dank des verwässerten US-Inflationsbetrachtungsansatzes keine nachhaltigen Veränderungen beim Zinsniveau geben. Meine Prognose lautet, dass diese Ansätze auch von der EZB übernommen werden. All das stärkt den Investment Case für Gold. Kurzfristig können Einbrüche beim Goldpreis immer stattfinden. Aber eine nachhaltige Trendumkehr hin zu schwächeren Edelmetallnotierungen ist vor dem skizzierten Hintergrund nicht realistisch, ganz im Gegenteil. Es gibt Gold seit 5.000 Jahren als belastbare Währung, das wird auch in Zukunft so bleiben.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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