Folker Hellmeyer: Die Korrektur in DAX und Dow Jones war überfällig

Der Chefanalyst bei Solvecon Invest, Folker Hellmeyer, spricht über die Korrektur an den Aktienmärkten, über die Politik von EZB und Fed sowie über den Goldpreis.
von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, die Europaskeptiker holen in Italien zusammen wohl mehr als 50 Prozent. Was bedeutet das Wahlergebnis für die EU?
Folker Hellmeyer: Lassen sie mich mit Xavier Naidoo antworten: "Der Weg wird kein leichter sein!" Die Regierungsbildung wird schwierig und voraussichtlich langwierig werden. Die Haltung einer kommenden Regierung gegenüber Brüssel wird voraussichtlich kritischer ausfallen. Das Thema Austritt aus der EU sehe ich nicht. Dennoch: Damit werden die Bemühungen Macrons bezüglich verstärkter Integration nachhaltiger Opposition ausgesetzt sein. Das Risiko, das der EU bezüglich der faktisch notwendigen Anpassung des Organigramms Stillstand droht, ist mit dieser Wahlentscheidung hoch. Mehr noch implizieren die Parteiprogramme der für die Regierungsbildung relevanten Parteien, dass der Prozess der Strukturanpassungen unterproportional ausfallen wird. Zusammenfassend bietet die aktuelle politische Lage, in der sich Italien befindet, einen belastenden Hintergrund für die notwendigen strukturellen Anpassungen innerhalb der EU und der Eurozone als auch für das nationale italienische Konjunkturbild mit entsprechenden Wirkungen auf die Gesamtwirtschaftsleistung der Eurozone. Aus politischer Sichtweise war es kein guter Tag für Italien, die EU und die Eurozone.
An der Wall Street haben sich die großen Indizes vom Einbruch Anfang Februar halbwegs erholt, deutsche Aktien hingegen kommen nicht recht vom Fleck. Wie fällt Ihre Analyse der Märkte derzeit aus?
Insbesondere mit Blick auf den US-Markt war diese Korrektur überfällig, denn die Bewertungen dort waren zuvor sehr sportlich. Es standen verschiedene Themen im Raum: zum einen die Verunsicherung angesichts der US-Zinspolitik, zum anderen die Wahlen in Italien und die Probleme bei der Regierungsbildung in Deutschland. Der Markt war also reif. Zusätzlich kommt aktuell das Thema Handelskrieg seitens der USA auf. Vor diesem Hintergrund ist die Korrektur meines Erachtens noch nicht abgeschlossen, ich sehe aber grundsätzlich keinen Trendwechsel, es sei denn, dass der sogenannte Handelskrieg außer Kontrolle gerät. Dieses Risiko liegt derzeit bei etwa 20 Prozent.
Wie beurteilen Sie momentan die Aktien-Bewertungen dies- und jenseits des Atlantiks?
Wenn man den Standard & Poor’s 500 zugrunde legt, dann liegen die Bewertungen in den USA rund ein Drittel oberhalb der Bewertungen in Deutschland und Europa. Im DAX sehen wir ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12,5 - es liegt also deutlich unter der historischen Norm von 15, die es seit 1988 gibt. Wir haben einen unterbewerteten europäischen und deutschen Aktienmarkt und einen leicht überbewerteten US-Markt. Unter fundamentalen Gesichtspunkten hat der europäische Aktienmarkt demzufolge das bessere fundamentale Potenzial. Allerdings wird die Aktienkultur in den USA gepflegt, auch im Hintergrund durch die President’s Working Group on Financial Markets, die umgangssprachlich auch Plunge Protection Team genannt wird. Mittelfristig bleibe ich für die Aktienmärkte dies- und jenseits des Atlantiks sehr positiv gestimmt. Diese positive Grundhaltung hat eine Konfidenz von 80 Prozent. 20 Prozent Restrisiken rekrutieren sich aus den geopolitischen Risiken als auch aus den Risiken bezüglich eines Handelskriegs, mit denen wir derzeit konfrontiert sind. Wenn die eingefrorenen Konflikte im Nahen Osten, in Nordkorea und in der Ukraine heiß werden sollten, dann müssen die Prognosen hinsichtlich der Entwicklung der Weltwirtschaft, der Skaleneffekte für die Unternehmen und damit auch der Entwicklung an den Aktienmärkten revidiert werden.
Viele Investoren hatten zuletzt Sorge, dass die Fed die Zinsen deutlich schneller erhöhen könnte, als man das bislang erwartet hatte - nicht zuletzt wegen der starken US-Konjunktur und der anziehenden Inflation. Nun hat der neue Fed-Chef Jerome Powell eine Fortsetzung der Politik behutsamer Zinsanhebungen in Aussicht gestellt. Welche Fed-Politik erwarten Sie?
Ich sehe in der wirtschaftlichen Entwicklung einen starken Unterschied zwischen den USA und Kontinentaleuropa. Seit 2009 haben wir in Amerika einen Aufschwung, der maßgeblich auf Pump finanziert worden ist. Das Resultat ist die höchste Konsum- und Unternehmensverschuldung und eine sportliche Staatsverschuldung in den USA. In Europa wurde ein anderer Weg eingeschlagen - und zwar der der nachhaltigen Strukturreformen. Aus diesem Grund haben wir hier eine vollkommen moderate Verschuldungskultur der privaten Haushalte und auch in der öffentlichen Verschuldung sind wir mittlerweile in Kontinentaleuropa ziemlich solide aufgestellt. Auf beiden Seiten des Atlantiks haben wir ein Wirtschaftswachstum von circa 2,5 Prozent im laufenden Jahr. Aber es gibt eben diesen soeben beschriebenen qualitativen Unterschied. Und weil der Aufschwung in den USA kreditinduziert und weniger einkommensbasiert ist, hat die Fed gar keine andere Wahl, als einen moderaten Zinserhöhungszyklus anzustreben. Wir sehen seit der Lehman-Pleite ein Wachstum der Konsumkredite von über 40 Prozent, die mittleren Einkommen sind seitdem nominal um 16 Prozent gestiegen. Die Steuerreform wird jetzt ein wesentlicher Katalysator dafür sein, dass die privaten Haushalte weiter diesem konsumbasierten Modell frönen. Aber Zinserhöhungen werden einen Teil des durch die Steuerreform frei werdenden diskretionären Einkommens auffressen. Das erlaubt keine sportliche Gangart beim Zins. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr nicht mehr als drei Zinserhöhungen sehen werden. Mehr ist nicht drin, weniger könnte sein.
Wie schätzen Sie die Chancen von Jens Weidmann ein, im kommenden Jahr EZB-Chef zu werden - und welche Hausaufgaben müsste die Europäische Zentralbank aus Ihrer Sicht dringend machen?
Ich sehe eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 60 Prozent, dass Weidmann der neue Chef der EZB werden wird, und ich hielte das auch für richtig. Die EZB ist verdammt spät im Anpassungszyklus: Dennoch wird sie nur verhalten agieren. Die Vorfestlegungen der EZB sind ernst zu nehmen. Dieses Jahr wird die EZB die Anleihekäufe meines Erachtens auslaufen lassen. Wir werden in 2018 aber keine Zinserhöhung sehen, die Zinsdifferenz zugunsten des US-Dollars baut sich also weiter auf. 2019 erwarte ich dann auch in Europa zwei Zinserhöhungen von aktuell null auf 0,50 Prozent.
Der Internationale Währungsfonds hat im Januar seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft angehoben. Von wem geht dieses Wachstum hauptsächlich aus?
Das maßgebliche Wachstum geht von den Emerging Markets aus, dieser Teil der Welt steht heute für 65 Prozent der Weltwirtschaft mit einem Wachstum von knapp fünf Prozent. Hier ist in erster Linie das chinesische Projekt zum Aufbau eines interkontinentalen Infrastruktur-Netzes zwischen China, weiteren Ländern Asiens, Europa und einigen Ländern Afrikas zu nennen. Das ist der primäre Treiber. Auch in Europa entwickelt sich das Wachstum sehr solide, es basiert maßgeblich auf wiederkehrenden Einkommen, das ist die beste Qualität. Die USA wachsen - wie gesagt - auf Kredit und vor dem Hintergrund der Steuerreform von Trump. Diese US-Reform wird dazu führen, dass die Haushaltsdefizite von jetzt gut vier auf bis zu sechs oder sieben Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Das ist alles andere als ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Insofern sehe ich in den USA und auch, wegen des Brexit, in Großbritannien die Achillesfersen der Weltwirtschaft.
Der Februar war durch heftige Kursverluste bei Aktien und Anleihen gekennzeichnet. Dem Krisenschutz Gold hat diese Entwicklung aber kaum geholfen. Warum ist das so?
Das Problem, das wir bei Gold haben, hat nicht mit der physischen Nachfrage zu tun, sondern mit den Future-Märkten. Dort wird der Preis von wenigen US-Banken mit hoher Nähe zur Zentralbankpolitik gemacht, vollkommen losgelöst von den Marktbedingungen am physischen Markt. Dort sehen wir seit einigen Jahren Anomalien - wenn es dann Ausbrüche von Gold und Silber nach oben gibt, werden die Märkte durch Flash-Crashs in sehr liquiditätsarmen Zeiten, beispielsweise zwischen dem US- und Asienhandel, wieder eingefangen. Für mich bleibt Gold dennoch ein Go-to-Asset. Wir sehen, dass die smarten Zentralbanken von China und Russland Goldreserven aufbauen; diese wissen sehr genau, was sie tun. Man sollte das Investment Gold als Marathonlauf verstehen und zwischenzeitliche Korrekturen durch Interventionen an den Future-Märkten zum Nachkauf nutzen. Ich bleibe ein Gold-Bulle.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Chefvolkswirt der Bremer Landesbank