Folker Hellmeyer: "Die Jahresendrallye im DAX kommt"
Im Interview spricht Folker Hellmeyer über die schwierige Regierungs-Bildung in Berlin, die Chancen auf eine Jahresend-Rallye sowie über den Dollar, Bitcoin und Goldpreis.
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von Benjamin Summa
Herr Hellmeyer, nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche in Berlin wird es zunächst keine wirklich handlungsfähige Regierung in Berlin geben. Die Märkte zeigen sich davon nur mäßig beeindruckt. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Folker Hellmeyer: Die Reaktion der europäischen Aktienmärkte auf die schwierige Regierungsbildung in Deutschland ist meines Erachtens absolut weise: Man lässt sich nicht aus dem Konzept bringen und bewahrt Ruhe. Warum auch nicht? Die Wirtschaft in der Eurozone läuft sehr gut, auch die Weltwirtschaft nimmt Fahrt auf, gerade hat die OECD ihre Prognosen angehoben. Zudem ist die deutsche Wirtschaft oft nicht wegen der Politik in Berlin, sondern auch trotz der Politik erfolgreich gewesen. Ich sehe auf absehbare Zeit keine negativen Auswirkungen - weder für die deutsche Wirtschaft noch für die Bewertungen an den Finanzmärkten.
Besteht die Chance auf eine Jahresendrallye?
Es stehen weiterhin geopolitische Risiken im Raum: Nordkorea, Ukraine und Syrien. Diese wirken aber derzeit wie eingefroren. Weitere Risiken sehe ich bei der Umsetzung der US-Steuerreform. Wir haben in Amerika sehr viel Goodwill an den Aktienmärkten, die Bewertungen liegen oberhalb der historischen Normen. Wenn die Steuerreform nicht - wie erhofft - umgesetzt werden sollte, dann ergäbe dies ein gewisses Rückschlagpotenzial. Aber auch das wäre eher temporär, denn die US-Wirtschaft wächst mit zwei Prozent in diesem Jahr, bei einer erfolgreichen Steuerreform kann sich dies im nächsten Jahr auf 2,5 bis drei Prozent beschleunigen. Die Risiken und Chancen stehen also in einem ausgewogenen Verhältnis. Für die europäische Wirtschaft bin ich sehr zuversichtlich, die Frühindikatoren bewegen sich auf extrem hohen Niveaus, die eine weitere Beschleunigung der Wachstumsdynamik andeuten. Und wenn wir in die Emerging Markets blicken, dann können wir erkennen, dass die Rohstoff produzierenden Länder von den erhöhten Rohstoffpreisen profitieren. Das Gesamtbild sieht gut aus, meiner Meinung nach kommt eine Jahresendrally.
Der Markt rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent mit einer Zinserhöhung in den USA im Dezember. Gleichzeitig verringert die Fed Ihre Bilanz, indem Sie auslaufende Anleihen nicht mehr ersetzt, und die EZB halbiert die Anleihekäufe ab Januar 2018. Ist das ein gefährlicher Mix für die Aktienmärkte?
Nein, ich erkenne keinen gefährlichen Mix für die Aktienmärkte. Als die Verbraucherpreise in der Eurozone bei minus 0,2 Prozent lagen und die zehnjährigen Bundesanleihen bei minus 0,2 Prozent, war das Deflationsthema virulent. Der Realzins lag bei null. Derzeit liegt die Preisinflation in der Eurozone bei 1,5 Prozent und die Rendite von Zehnjährigen liegt bei 0,4. Das ist ein Realzins am Kapitalmarkt von minus 1,1. Wir haben also jetzt eine kommodere Situation als zum Hochpunkt der Preisdeflation. Wenn es jetzt zu einer leichten Anpassung am Geldmarkt käme, dann wäre das für die Gesamtwirtschaft kein Belastungsfaktor, im Gegenteil. Wenn das Nominal-Zinsniveau moderat nach oben liefe, dann hätte das positive Implikationen für den Finanzsektor - auch für Sparer. Ich kann in einer langsamen Zinserhöhung überhaupt keinen Hinderungsgrund für höhere Bewertungen an den Aktienmärkten erkennen.
Wir blicken auf eine über achtjährige Hausse zurück: Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Bewertungsniveaus dies- und jenseits des Atlantiks?
Wir haben im historischen Kontext mittlerweile faire Bewertungsniveaus in den Emerging Markets. In den USA tendieren die Kurs-Gewinn-Verhältnisse langsam in Richtung 20 beim S&P 500, dazu kommt eine niedrige Dividendenrendite von deutlich unter zwei Prozent: Dort also eher ambitionierte Bewertungen. Der DAX hingegen ist mit einem KGV von deutlich unter 15 und einer Dividendenrendite von 2,8 Prozent völlig normal bewertet.
Der US-Dollar ist jahrelang gestiegen, nach der Trump-Wahl hat er ein Hoch erreicht. Seitdem ist er deutlich schwächer geworden. Sehen Sie hier bereits eine echte Trendumkehr?
Ich sehe das schon als Trendumkehr, denn die Welt wendet sich zunehmend vom Dollar ab. Die aufstrebenden Länder haben heutzutage einen Anteil von 64 Prozent an der Weltwirtschaft, sie gehen immer mehr dazu über, mittels binationaler Abkommen in ihren eigenen Währungen zu handeln. Zudem wird die Eurozone dieses Jahr stärker wachsen als die USA, die hohe Euro-Bewertung ist vor diesem Hintergrund also gerechtfertigt. Für meinen dritten Argumentationspunkt möchte ich das qualitative vom quantitativen Wachstum abgrenzen: Während wir in den USA überwiegend einen von Krediten getriebenen Aufschwung in den vergangenen Jahren gesehen haben, haben wir in der Eurozone durch die vielen Strukturreformen, die gemacht worden sind, eine ganz andere Ausgangssituation. Wiederkehrende Einkommen stellen den maßgeblichen Hintergrund des Wachstums der Eurozone dar.
Das Einzige, das gegen eine Trendumkehr spricht, ist die unterschiedliche Zinspolitik dies- und jenseits des Atlantiks. Wir haben in den USA einen moderaten Zinsanstieg in den vergangenen zwei Jahren gehabt, der sich jetzt im Dezember und im nächsten Jahr fortsetzen wird. Die EZB hingegen scheint nach wie vor nicht bereit zu sein, von Negativzinsen und quantitativen Maßnahmen abzulassen - obwohl wir die geringste Arbeitslosigkeit in der Eurozone seit 2009 und Sentiment-Indikatoren auf Höchstniveaus haben. Das Zinsthema lastet also etwas auf dem Euro. Auch die US-Steuerreform wird sich zunächst zugunsten des Dollars auswirken. Ich erwarte in den kommenden Monaten einen Euro-Dollar-Kurs von 1,15 und im zweiten Halbjahr 2018 wieder eine Befestigung des Euros gegenüber dem US-Dollar.
Buchstäblich aus dem Nichts ist mit Bitcoin und Co. etwas völlig Neuartiges in die Welt gekommen. Wird diese Technologie die Welt verändern oder wird der Hype verpuffen?
Kryptowährungen werden uns weiter begleiten, sie werden aber mangels Rechtsrahmen nicht die klassischen Währungen ersetzen können. Die Form der Volatilität lässt zu viele Fragezeichen bezüglich der Seriosität aufkommen. Zudem ist die Markttiefe bei den derzeitigen Produkten unausgeprägt - für professionelle Anleger ist der Markt also kritisch zu bewerten. Denn man muss die Produkte nicht nur kaufen, sondern auch verkaufen können.
Wie schätzen Sie die Goldanlage derzeit ein?
Ich bleibe ein Freund des Goldes, auch wenn die Performance in diesem Jahr unspektakulär war. Ich richte mich ganz nach den smarten Zentralbanken der aufstrebenden Länder, da reden wir über China und Russland. Dort werden Goldbestände weiter erhöht. Ich habe deutlich gemacht, dass der Dollar an internationaler Statur sukzessive einbüßt. Vor diesem Hintergrund halte ich nach wie vor eine Investition in Gold in einer Mindestgröße von fünf Prozent des frei verfügbaren Vermögens für angemessen.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Chefvolkswirt der Bremer Landesbank