Dirk Müller: "Die Crashgefahr ist eklatant"
Dirk Müller warnt im Interview vor einer massiven Gegenbewegung an den Aktienmärkten. Er spricht zudem über den Kampf zwischen China und den USA, den Dollar und den Goldpreis.
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Von Benjamin Summa
Herr Müller, die Aktienmärkte befinden sich möglicherweise in einer sehr späten Phase der Hausse. Hinzu kommt der Eindruck, dass allerorten Risiken drohen: Absturz einiger Schwellenländer-Währungen, heftige Handelsstreitigkeiten und ein unberechenbar agierender US-Präsident. Wie fällt Ihre persönliche Analyse der Märkte derzeit aus?
Dirk Müller: Vordergründig sieht die Welt ja gar nicht mal so schlecht aus, vor allem bei uns in Deutschland: Die Wirtschaft brummt, die Auftragsbücher sind voll, die Arbeitslosenquote ist auf einem Tiefstand. Aber der Blick in die Zukunft ist entscheidender als die Gegenwartsbeschreibung. Wir sind bei den Märkten schon ziemlich weit oben am Gipfel angekommen. Auf der anderen Seite muss es in absehbarer Zeit wieder nach unten gehen; diese Zyklen laufen seit Jahrhunderten ähnlich ab. Und die Zinsanpassungen der Fed und der Handelskrieg zwischen China und den USA werden bei dieser Gegenbewegung wie ein Brandbeschleuniger wirken.
Auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, also die Dachorganisation führender Notenbanken, warnt in ihrem am vergangenen Sonntag veröffentlichten Quartalsbericht vor neuen Turbulenzen an den Finanzmärkten. Früher oder später seien weitere heftige Kursbewegungen wahrscheinlich, heißt es dort. Wie groß ist Ihrer Meinung nach konkret die Crashgefahr und wie sollten sich Privatanleger darauf vorbereiten?
Die Crashgefahr ist aus meiner Sicht eklatant, ich bewerte diese so stark wie beispielsweise im Frühjahr 2008. Aber in dieser verrückten Welt können sich die Dinge natürlich auch wieder schnell drehen: Ein "Waffenstillstand" beim Zollthema zwischen China und den USA oder eine kurzzeitige Entspannung bei den Zinsen könnten die Crashgefahren wieder abflauen lassen und den Märkten für Monate oder sogar Jahre Luft verschaffen. Aber ich kann nur das mit in die Bewertung einbeziehen, was momentan auf dem Tisch liegt: Und diese Gemengelage bewerte ich als fatal. Wie können sich Privatanleger darauf vorbereiten? Auf jeden Fall sollten allzu große Risikopositionen vermieden werden, eine stärkere Konzentration auf Liquidität macht Sinn, auch wenn dabei natürlich die Gefahr der Inflationierung von Spareinlagen nicht verschwiegen werden darf. Ich persönlich bleibe Aktien treu und nehme die besten Aktien in meinen eigenen Fonds; solche Unternehmen also, die wenig Verschuldung haben und durch Krisen gut hindurchkommen. Und ich sichere den Fonds momentan zu 100 Prozent gegen Kurseinbrüche ab. Die Performance unseres Fonds und die Zuflüsse entwickeln sich sehr gut. Viele Anleger folgen mir also bei meiner Bewertung der Lage.
Sie zeichnen in Ihrem neuen Bestseller "Machtbeben" ein sehr düsteres Szenario von der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten. Was bringt Sie dazu, derart schwarz in die Zukunft zu blicken?
Ich habe im neuen Buch versucht, Risiken und Chancen so zu benennen, wie ich sie derzeit sehe. Das Buch beschäftigt sich vor allem mit den Ursachen der heutigen Situation. Mit "Machtbeben" möchte ich Anleger sensibilisieren für die enormen Risiken, über die wir schon gesprochen haben. Aber ich formuliere auch ganz eindeutig, dass es nicht so schlimm kommen muss bzw. dass der drohende Crash und die nächste heftige Wirtschaftskrise zeitlich nicht konkret abschätzbar sind. Mir ist wichtig, dass die Menschen vorbereitet sind für den Ernstfall. Das Kernproblem, das ich auch im Buch beschreibe, ist der Wettkampf zwischen den USA und China um die Vorherrschaft in der Welt. Der aufkommende Hegemon China greift den Platzhirsch USA an. Viele Experten sehen es als ausgemachte Sache, dass China in den kommenden 20 Jahren an den USA vorbeiziehen wird. Die USA können das akzeptieren oder sie können mit aller Macht dagegen ankämpfen. Trump hat sich für Variante zwei entschieden - er wird also versuchen, den Chinesen wirtschaftlich den Stecker zu ziehen. In diesem Gesamtzusammenhang müssen die Zins- und Zollanhebungen gesehen werden. Dieser Wirtschaftskrieg kann sehr viele Kollateralschäden verursachen.
Kürzlich jährte sich die Lehman-Pleite zum zehnten Mal. Die Folgen der darauffolgenden Finanzkrise sind in Europa noch immer zu spüren - etwa die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Ländern der Eurozone und die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Können Sie sich künftig wirklich eine Krise vorstellen, die mit der letzten Finanzkrise vergleichbar ist?
Auslöser der Lehman- und der Finanzkrise war das Platzen der amerikanischen Immobilienblase - also ein vergleichsweise überschaubares Themenfeld, das schlimmste Konsequenzen nach sich gezogen hat. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn die chinesische Blase, also die größte Blase, die die Weltwirtschaft jemals gesehen hat, platzen wird.
Die Zinserhöhungen der Fed haben in den vergangenen Monaten auf den Finanzmärkten viel Kapital in Richtung USA gelenkt - und weg von den Emerging Markets. In der Folge ist der Dollar stark gestiegen und die Währungen zahlreicher Schwellenländer sind unter Druck geraten. Wie bewerten Sie die Zinspolitik der US-Notenbank und welche Konsequenzen werden Zinsanhebungen Ihrer Meinung nach haben?
Die Dollar-Aufwertung über das Anheben der US-Zinsen ist das Hauptmittel für die Amerikaner, sich gegenüber China zu behaupten. Diese Politik bringt die Währungen der Schwellenländer und die Unternehmen dort in große Schwierigkeiten. In Zeiten der Niedrigzinsen haben diese Unternehmen Dollar-Kredite in Milliardenhöhe aufgenommen. Jetzt sind die Schwellenländer hochverschuldet in US-Dollar und nun steigen die amerikanischen Zinsen. Die Konsequenz wird sein, dass die Refinanzierungskosten explodieren, die Wirtschaft stark abkühlt und die heimischen Währungen abschmieren. Das ist ein Teufelskreis, er wird in die Katastrophe führen. China ist hier ebenso betroffen wie andere Schwellenländer.
Gold hat in den vergangenen Monaten überraschenderweise nicht von der höheren Risiko-Aversion an den Märkten profitiert. Nicht wenige sprachen von seinem Ende als Krisenwährung. Wie bewerten Sie die Anlageklasse Gold?
Wir haben ganz ungewöhnliche Bewegungen an den Terminmärkten, die Positionen im Handel mit Gold Futures nehmen immer extremere Werte an. Die "Großen Spekulanten" haben ihre Netto-Short-Positionen in den vergangenen Wochen kräftig ausgebaut. Sollten diese Wetten nicht aufgehen, könnte es am Goldmarkt zu einem sogenannten Short Squeeze kommen. Dann würde es mit dem Goldpreis künftig womöglich schnell aufwärtsgehen. Die Goldpreisentwicklung hat derzeit also wenig mit Angebot und Nachfrage auf den realen Märkten zu tun. Den langfristigen Goldanleger, der einen Teil seines Vermögens in eine Anlageklasse investieren möchte, die nie pleitegehen kann, muss das alles überhaupt nicht kratzen. Denn eine Unze bleibt eine Unze, egal, welche Kurskapriolen die Spekulanten verursachen. Bei Gold geht es um Kaufkraftsicherung, nicht um schnelle Kursgewinne.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Dirk Müller