Interview

Dirk Müller: Der DAX ist unkalkulierbar

28.01.15 17:30 Uhr

Dirk Müller: Der DAX ist unkalkulierbar | finanzen.net

Die EZB öffnet wieder einmal die Geldschleusen und hofft dadurch die Inflation in Richtung Zielmarke von zwei Prozent anzuheben und die Konjunktur zu beleben. Mit Dirk Müller alias "Mr. DAX" führte finanzen.net ein Interview über die Erfolgsaussichten des Experiments.

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finanzen.net: Was bringen die angekündigten quantitativen Lockerungsmaßnahmen der EZB?
Dirk Müller:
Das Anleihekaufprogramm zieht einige Konsequenzen nach sich. Auf der einen Seite wird die Bilanzsumme der EZB um über eine Billion auf über drei Billionen Euro aufgeblasen und somit auf das vor einem Jahr schon einmal erreichte Niveau ansteigen. Europäische Banken haben - bedingt durch die Krise - ja schon einmal EZB-Kredite im Volumen von 1.000 Milliarden Euro erhalten. Diese wurden mittlerweile zurückgezahlt, nachhaltig geholfen haben sie nicht. Nun starten die Notenbanker einen weiteren Versuch, über billiges Geld die Konjunktur anzuschieben. Das wird so aber wieder nicht funktionieren, schließlich haben wir bereits seit Längerem genügend billiges Geld. Das ist nicht unser Problem - was wir brauchen wären Investitionen. Allerdings nicht nur in Deutschland, sondern vielmehr in Südeuropa. Dort gibt es aber keine geeigneten Abnehmer für die günstigen Kredite, schließlich müssen die Banken auf die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden achten. Wer von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht ist, scheidet als Kreditnehmer aus. Selbiges trifft auf Unternehmen zu, denen das Wasser bereits heute bis zum Hals steht. Unternehmen, die noch gut kapitalisiert sind, brauchen kein Kapital, weil sie heute schon das Problem haben, ihre Waren unters Volk zu bringen. Derzeit brauchen wir nicht günstige Kredite, sondern jemand, der bereit und auch in der Lage ist, diese Kredite aufzunehmen - und daran hapert es. Die von der EZB bereitgestellte Liquidität fließt aus den zuvor genannten Gründen eher in Aktien und Immobilien und weniger in die Realwirtschaft. Ob dies dem Konsum auf die Beine hilft, darf daher bezweifelt werden.

Was bräuchte die Wirtschaft neben dem billigen Geld?
Was wir dringend bräuchten, wären Konjunkturpakete, aber gerade das verbieten wir den Südeuropäern aufgrund des auferlegten Sparzwangs. Wir brauchen also irgendeine Idee, wie wir deren Konjunktur ankurbeln und Investitionen fördern können. Und an diesem Punkt setzt der Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker mit seinem Billionen-Euro-Paket für Infrastrukturmaßnahmen an. Dieses soll als Initialzündung fungieren, private Gelder zu akquirieren, um vernünftige Konzepte zu entwickeln. Ich selbst diskutiere auf hoher politischer Ebene derzeit über solche Pläne und sehe darin eine große Chance, die Konjunktur anzukurbeln und Europa weit nach vorn zu bringen. Ich sehe allerdings auch die Gefahr, dass Draghi über den Kauf von ABS-Anleihen die Banken dazu ermutigt, auch an die nicht kreditwürdigen Firmen Gelder zu verleihen. Diese würden dann ebenfalls zu einem Boom führen - allerdings einem blasenhaften in die falsche Richtung. Das heißt: Es gibt eine Möglichkeit, es richtig zu machen und es gibt eine Möglichkeit, es falsch zu machen. Die nächsten Monate werden zeigen, in welche Richtung es geht.

Der DAX markierte in den vergangenen Tagen mehrere Allzeithochs: Logische Konsequenz oder verzerrte Realität?
Sowohl als auch. Es ist zwar eine logische Konsequenz der Geldpolitik, aber gleichzeitig auch ein verzerrtes Bild der Realität, denn die Unternehmensgewinne stehen ja in keinem Verhältnis zu der Kursentwicklung des Index. Deutsche Aktien sind momentan nicht billig, viele sind sogar massiv überbewertet und man findet einige, die fair bewertet sind. Die große Masse erscheint mir aber zu teuer. Vor allem, wenn man die Risiken in Form einer sich abkühlenden Weltwirtschaft in Betracht zieht. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir wahrscheinlich deutliche Revisionen der Unternehmensgewinne nach unten sehen. All das müsste eigentlich Druck auf die Kurse ausüben, dieser blieb bislang allerdings aus. Meiner Meinung steckt da vor allem sehr viel billiges Geld dahinter und weniger die Überzeugung, dass sich die Unternehmensgewinne besser entwickeln werden als in den vergangenen Jahren.

Wo sehen Sie den DAX bis Ende des Jahres?
Ganz einfach - ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Derzeit sind so viele Verrücktheiten im Markt. Meiner Meinung ist der DAX vor allem eines - unkalkulierbar.

Welche aktuellen Risiken bestehen?
Ziemlich viele, wir haben unter anderem die Ukraine-Krise, wir haben Griechenland, wir haben eine abkühlende Weltwirtschaft, wir haben die Eurokrise und den Zusammenbruch des Ölpreises mit den erheblichen Folgen für die Fracking-Industrie.

Was erwartet uns nach dem griechischen Wahlsieg der Syriza um Alexis Tsipras?
Also ich war ziemlich erschrocken über das Demokratieverständnis in der deutschen Medienlandschaft und Teilen der Politik. Zunächst einmal sollte man der Wahl eines Volkes Respekt entgegenbringen - auch, wenn einem das Ergebnis nicht gefallen sollte. Die vorherigen Regierungen waren höchstkorrupt und wenn die Griechen in ihrer Verzweiflung nun einer völlig neuen Regierung eine Chance geben, sollte man dies akzeptieren. Ob die Wahl letztendlich schlecht war, wird erst die Zukunft zeigen.
Aus meiner Sicht wird es für Griechenland drei mögliche Wege geben. Erstens: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent wird sich Tsipras mit den Europäern einigen, die Laufzeiten der Schulden auf 99 Jahre zu verlängern, die Zinsen bei null Prozent einzufrieren und einige Zusatzklauseln einzuführen, dass eine frühere Rückzahlung der Schulden erfolgt, falls sich Griechenland schneller als erwartet erholen sollte. Faktisch wäre das Land damit seine Schulden los, aber nicht offiziell. Das wäre aus Sicht der Europäischen Union wohl die wünschenswerteste Lösung. Weil im Falle einer Konjunkturerholung Europas und eines starken Euros die Griechen in zehn Jahren wahrscheinlich vor denselben Problemen stehen würden wie heute, wäre die wirtschaftlich sinnvollste Alternative aber eine andere. Die Europäer strecken wie oben erwähnt die Schulden des Landes und erlauben den Griechen einen kontrollierten und mit der EZB abgestimmten Wechsel vom Euro in die Drachme. Dieser Möglichkeit räume ich eine 20-Prozent-Wahrscheinlichkeit ein. Dies würde aber die Begehrlichkeiten der anderen Problemländer wecken und dadurch den Fortbestand des Euro gefährden. Die Gefahr, dass sich die Europäer mit den Griechen nicht einigen werden, schätze ich auf zehn Prozent ein. Sollte der Weg über den offiziellen Zahlungsausfall Griechenlands beschritten werden, dann müssten die Griechen zur Drachme zurückkehren und aus vom europäischen Binnenmarkt ausgeschlossen werden, was den Griechen das Leben zur Hölle machen würde und wohl keine Lösung wäre.

Zur Person:

Dirk Müller ist Finanzexperte, mehrfacher Spiegel-Bestseller Autor, Vortragsredner, Gründer von Cashkurs.com - und gilt als "Dolmetscher zwischen den Finanzmärkten und den Menschen außerhalb der Börse". Sein Weg an der Börse begann 1992, heute zählt er zu den bekanntesten Gesichtern des Börsenparketts. Von vielen Medien wird er daher auch gerne Mr. DAX genannt. Dirk Müllers Fähigkeit, komplexe Sachverhalte mit spielender Leichtigkeit auf das Wesentliche zusammenzufassen und für die Allgemeinheit verständlich zu erläutern, zeichnet seine einzigartige Berichterstattung aus. Hierbei ist ihm vor allem an der Aufklärung der "normalen Menschen" und der Vermittlung von unabhängigen, ehrlichen Hintergrundinformationen gelegen.

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Bildquellen: Dirk Müller

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