Herbstgutachten

Konjunkturinstitute erwarten "verhaltenen Aufschwung" in Deutschland

08.10.15 14:59 Uhr

Konjunkturinstitute erwarten "verhaltenen Aufschwung" in Deutschland | finanzen.net

Die führenden deutschen Wirtschaftsforscher sehen die deutsche Konjunktur trotz schlechter Weltwirtschaft in einer stabilen Verfassung und sagen ein solides Wachstum voraus. Die Prognose für 2015 wird leicht nach unten revidiert.

Die führenden deutschen Wirtschaftsforscher sehen die deutsche Konjunktur trotz schlechter Weltwirtschaft in einer stabilen Verfassung und sagen ein solides Wachstum voraus.

   "Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem verhaltenen Aufschwung", erklärten sie in ihrem neuen Herbstgutachten, das in Berlin vorgestellt wurde. "Das Bruttoinlandsprodukt wird in diesem und im kommenden Jahr um jeweils 1,8 Prozent steigen." In ihrer letzten Prognose im April hatten die Forscher bereits 1,8 Prozent Wachstum für 2016 vorhergesagt, für 2015 aber noch mit 2,1 Prozent Wachstum gerechnet.

   In ihrer "Gemeinschaftsdiagnose", die die Ökonomen traditionell zwei Mal jährlich vorlegen, führen die Forscher aktuell den erwarteten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor allem auf den privaten Konsum zurück. Dieser profitierte von einer spürbaren Ausweitung der Beschäftigung und steigenden Reallöhnen, auch wegen des Kaufkraftgewinns aufgrund des gesunkenen Rohölpreises. Der Aufschwung werde "vor allem von den privaten Konsumausgaben getragen", erklärte der Konjunkturchef des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Timo Wollmershäuser. Die Ökonomen erwarten eine Zunahme von 1,9 Prozent in diesem und 1,8 Prozent im nächsten Jahr.

Ökonomen und Regierung liegen auf einer Linie

Erstellt wurde das Herbstgutachten außer vom ifo Institut noch von dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Kooperation mit weiteren Partnerinstituten.

   Mit ihrer neuen Wachstumsprognose liegen die Ökonomen nun genau auf einer Linie mit der Bundesregierung. Diese rechnet für dieses und kommendes Jahr ebenfalls offiziell mit einem Zuwachs des deutschen BIP um 1,8 Prozent. Deutlich pessimistischer ist hingegen der Internationale Währungsfonds (IWF), der erst am Dienstag seine Erwartung für den Zuwachs der deutschen Wirtschaftsleistung auf 1,5 Prozent in diesem und 1,6 Prozent im nächsten Jahr zurücknahm.

   Doch der Währungsfonds verwende auch eine andere Berechnungsmethode, sagte RWI-Konjunkturchef Roland Döhrn bei der Vorstellung des Gutachtens in Berlin: "Die Unterschiede zur Gemeinschaftsdiagnose erklären sich im Wesentlichen daraus, dass der IWF arbeitstäglich bereinigte Wachstumsraten veröffentlicht." In dieser Berechnung würde die Prognose der Insitute auf 1,5 Prozent für dieses und 1,7 Prozent für nächstes Jahr lauten.

Schwache Weltkonjunktur hat Bremseffekt

Viele andere deutsche Ökonomen sehen ebenfalls ein Wachstum in der Höhe wie die Regierung und Institute. Zuletzt hatte Anfang der Woche das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) für 2015 ein Plus von 1,8 Prozent, für 2016 allerdings eines von 2,0 Prozent vorhergesagt. Auch die deutschen Sparkassen halten für nächstes Jahr ein Wachstum von rund 2,0 Prozent für möglich. Die privaten Banken rechnen hingegen nur mit 1,7 Prozent.

   Auch aus der Wirtschaft wurde am Donnerstag vor einer schwächeren Entwicklung gewarnt. "Die Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigen mit ihrer Prognose die im Frühjahr bereits absehbare Wirtschaftsentwicklung", sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben. "Ob wir die 1,8 Prozent Wachstum ins nächste Jahr retten können, werden wir sehen." Nun sei es wichtig, eine bestehende Investitionslücke zu schließen und dauerhafte Wachstumsgrundlagen zu legen.

   Die Wirtschaftsforscher erklärten in ihrem Gutachten, auch die Investitionen belebten sich allmählich. Sie sagen einen Zuwachs der Anlageinvestitionen von 2,4 Prozent in diesem und 2,7 Prozent im kommenden Jahr voraus. "Ihr Expansionstempo bleibt doch deutlich hinter dem früherer Aufschwünge zurück", stellte Döhrn aber fest. Hier wirke sich aus, dass die Kapazitäten weitgehend ausgelastet seien.

Kurzfristig erhebliche Belastungen durch Flüchtlinge

Bremsend wirkt nach der Analyse der Forscher zudem die schwache Weltkonjunktur, "insbesondere die Probleme in einer Reihe von Schwellenländern", erklärte Wollmershäuser. Die Exporte sollen nach den Berechnungen der Volkswirte 2015 um 6,2 Prozent und 2016 um 4,9 Prozent steigen und die Importe um ebenfalls 6,2 Prozent in diesem und um 5,5 Prozent im nächsten Jahr. Ein Imageverlust durch den VW-Abgasskandal könne aber "gewisse Auswirkungen auf die Exporte" haben, warnte DIW-Konjunkturchef Ferdinand Fichtner.

   Die Beschäftigung werde wieder rascher ausgeweitet. Dennoch dürfte die Arbeitslosigkeit im Verlauf des kommenden Jahres leicht steigen, weil die derzeit große Zahl von Asylsuchenden nach und nach am Arbeitsmarkt ankomme. Für das kommende Jahr erwarten die Ökonomen einen Anstieg der Arbeitslosenzahl auf 2,875 Millionen von 2,80 Millionen in diesem Jahr. Damit würde die Quote nach den Berechnungen kommendes Jahr auf 6,5 von 6,4 Prozent steigen. Gleichzeitig steige aber auch die Zahl der Erwerbstätigen von 42,9 Millionen auf 43,2 Millionen Menschen.

   "Die Zuwanderung von Flüchtlingen dürfte kurzfristig zu erheblichen Belastungen für Deutschland führen", konstatierte der ifo-Konjunkturchef. Allerdings seien damit auch langfristige Chancen verbunden, "wenn mit den richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Integration der Zuwandernden gelingt".

   Die Ökonomen rechnen als Folge des Flüchtlingsstroms laut Döhrn in diesem Jahr mit 89.000 und im kommenden Jahr mit rund 300.000 zusätzlichen Erwerbspersonen. Der Prognose liege die Annahme zugrunde, "dass in diesem Jahr 900.000 und im nächsten Jahr 600.000 Asylsuchende nach Deutschland kommen". Um die Flüchtlingszuwanderung zu bewältigen, fallen nach diesen Berechnungen Mehrkosten für den Staat von rund 4 Milliarden Euro für das laufende Jahr und von 11 Milliarden Euro für das kommende Jahr an.

EZB soll Anleihekaufprogramm auslaufen lassen

Für die öffentlichen Haushalte in Deutschland zeichnet sich laut der Konjunktur-Expertise für das kommende Jahr ein Überschuss von 13 Milliarden Euro ab. Dieser dürfte damit deutlich geringer sein als ein für 2015 erwarteter Überschuss in Höhe von rund 23 Milliarden Euro. Dies wären 0,4 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung nach 0,8 Prozent in diesem Jahr. Die Forscher führten diese Entwicklung "nicht zuletzt" auf zusätzliche Ausgaben für die Bewältigung der Flüchtlingsmigration zurück. "Ein niedrigerer Finanzierungssaldo der öffentlichen Hand ist aus Sicht der Institute zu akzeptieren", hoben sie hervor.

   Der Überschuss der Leistungsbilanz gegenüber dem Ausland werde von 256 Milliarden Euro auf 260 Milliarden Euro steigen. Deren Anteil an der Jahreswirtschaftsleistung werde sich allerdings von 8,5 Prozent auf 8,3 verringern. Die Verbraucherpreise sollen im kommenden Jahr laut den Experten um 1,1 Prozent anziehen, nachdem sie in diesem Jahr nur um 0,3 Prozent angestiegen sein dürften.

   Auch vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht der Volkswirte für die Europäische Zentralbank (EZB) "derzeit kein Anlass, eine Verlängerung des Anleihekaufprogramms über den September 2016 hinaus oder eine Aufstockung der monatlichen Käufe in Erwägung zu ziehen". Sie gehen davon aus, dass die EZB ihren Leitzins bis Ende 2016 unverändert bei 0,05 Prozent lässt und ihr Wertpapierankaufprogramm bis September 2016 durchführt.

Forscher sehen Risiko in China

Alles in allem dürfte die Weltproduktion nach den Berechnungen der Ökonomen in diesem Jahr um 2,6 Prozent und im kommenden Jahr um 2,9 Prozent zunehmen. Der Welthandel werde 2015 voraussichtlich um lediglich 1,2 Prozent expandieren, was zu einem erheblichen Teil auf den deutlichen Rückgang des Handels in den ersten beiden Quartalen zurückzuführen sei. Nächstes Jahr dürfte der Welthandel mit 3,4 Prozent zwar etwas stärker, aber gemessen am Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre nur schwach zulegen.

   Auf Risiken deuten für die Forscher der weltweite Rückgang von Aktienkursen und der Anstieg von Indikatoren der Unsicherheit über die künftige Marktentwicklung hin. Insbesondere werde wohl befürchtet, dass es in China zu einem deutlichen Abschwung komme.

   Zudem sehen sie die Gefahr, dass der Fall der Rohstoffpreise zusammen mit den zu erwartenden Leitzinserhöhungen in den USA zu einem verstärkten Abzug von Kapital aus Schwellenländern führt. "Im Extremfall könnten massive Kapitalabflüsse dort zu Finanzmarktturbulenzen oder gar zu Währungskrisen führen", heißt es in dem Bericht.

   BERLIN (Dow Jones)

Bildquellen: wavebreakmedia / Shutterstock.com, Teodor Ostojic / Shutterstock.com