Gewinne in Gefahr?

BioNTech-, CureVac- und Moderna-Aktien unter Druck: USA unterstützen Aussetzung von Patenten für Corona-Impfstoffe

06.05.21 20:47 Uhr

BioNTech-, CureVac- und Moderna-Aktien unter Druck: USA unterstützen Aussetzung von Patenten für Corona-Impfstoffe | finanzen.net

Für den Kampf zur weltweiten Eindämmung der Pandemie unterstützt die US-Regierung die Aussetzung von Patenten für die Corona-Impfstoffe.

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Es ist ein Dammbruch: In der Corona-Pandemie schlägt sich die US-Regierung jetzt auf die Seite ärmerer Länder und vieler Hilfsorganisationen. Sie will, dass Pharmafirmen vorübergehend den Patentschutz auf ihre Corona-Impfstoffe verlieren. Dann könnten Hersteller in aller Welt die Impfstoffe produzieren, ohne Lizenzgebühren an BioNTech/Pfizer, Moderna und Co zahlen zu müssen. Theoretisch zumindest.

Denn erstens müssten mehr als 160 Länder zustimmen, dass internationale Copyright-Bestimmungen außer Kraft gesetzt werden. Und zweitens dürfte es ohne Unterstützung der Pharmafirmen kaum gelingen, die komplexen Rezepte der neuartigen Impfstoffe einfach nachzumachen. Die Pharmafirmen und -verbände laufen Sturm. Das "Wall Street Journal" spricht vom "Diebstahl der Impfstoff-Patente."

Die USA stünden zwar hinter dem Schutz geistigen Eigentums, die Pandemie sei aber eine globale Krise, die außerordentliche Schritte erfordere, sagte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch. Das Ziel sei, "so viele sichere und wirksame Impfungen so schnell wie möglich zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen". Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, sprach auf Twitter von einer "historischen Entscheidung". Damit könne der Ungleichheit bei der Verteilung der Impfstoffe begegnet werden.

Russland ist nicht abgeneigt von dieser Idee. Sie verdiene Beachtung, sagte Kremlchef Wladimir Putin der Agentur Interfax zufolge. "Eine Pandemie ist ein Notfall." Ein solcher Schritt stünde auch im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation. "Leider hat sich der Kampf zwischen den verschiedenen Pharmaherstellern weltweit verschärft", meinte Putin. Es dürfe nicht um Gewinnmaximierung gehen. Russland hat bereits vier eigene Corona-Impfstoffe.

WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala begrüßte den Vorstoß von Tai. "Ich begrüße ihre Bereitschaft sehr, sich mit den Verfechtern eines Patentverzichts zusammenzusetzen", teilte Ngozi mit. Sie lobte Indien und Südafrika, die ihren Textvorschlag für die Patentaussetzung gerade überarbeiteten, damit hoffentlich eine schnelle Lösung gefunden werde. "Wir können nur gemeinsam einen pragmatischen Weg nach vor finden", sagte Ngozi nach Angaben des WTO-Sprechers.

Für die Pharmafirmen ist das ein Schlag. Der in Mainz ansässige BioNTech-Gründer Ugur Sahin lehnte die Lockerung des Urheberschutzes vergangene Woche noch ab: "Das ist keine Lösung", sagte Sahin bei einer Veranstaltung des Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland. Die Herstellung des Impfstoffs sei kompliziert, und die Qualität müsse sichergestellt werden. BioNTech erwäge aber die Lizenzvergabe an kompetente Hersteller.

Die Pharmaindustrie argumentiert, dass sie auf eigenes Risiko Millionen in die Forschung investiert. Die allermeisten Projekte versanden irgendwann. Wenn aber einmal ein erfolgreiches Mittel dabei herauskomme, müsse das Unternehmen auch Rendite machen können, um die Investitionen wieder hereinzuholen und Aktionäre zu belohnen. Außerdem hätten Pharmafirmen schon mehr als 200 Technologietransfer-Abkommen abgeschlossen, um mit Partnern in ärmeren Ländern mehr Impfstoffe bereitstellen zu können - aber unter Wahrung des Patentschutzes.

Der Verband der US-Pharmaunternehmen (PhRMA) warnte gar, dass es ohne Patente zur Verbreitung gepanschter Impfungen führen könne. Und der Verband der US-Biotech-Industrie (Bio) sieht gar die Gefahr, dass andere Länder die führende US-Rolle in der Biotechnologie untergraben könnten.

Eine Sprecherin von Pfizer sagte der "New York Times", der Impfstoff habe 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern. Um das zu verarbeiten, seien komplexe Spezialanlagen und ausgebildetes Personal notwendig. In die Kerbe haut auch der Generaldirektor des Pharmaverbandes IMFPA, Thomas Cueni. Alles viel zu kompliziert: "Selbst, wenn die Patente ausgesetzt würden, würde in dieser Pandemie keine einzige zusätzliche Dosis die Menschen erreichen."

Es gibt aber eine ganze Reihe von Herstellern, die sich das zutrauen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits eine Plattform für den Technologietransfer speziell für die neuartigen mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna aufgeschaltet. Dort haben sich schon 50 Interessenten gemeldet, wie der verantwortliche Leiter bestätigt. Die meisten seien aber von Firmen, die um Technologietransfer bitten oder Einrichtungen, die sich als Trainingszentren bewerben - nur wenige hätten Interesse ausgedrückt, Wissen zu teilen.

Problematisch sind nach Darstellung der Pharmafirmen vielmehr Engpässe bei den Rohstoffen und dem Material. Die Denkfabrik Chatham House zeigte dies im März auf: Es fehlten Glasfläschchen, Bioreaktorbeutel für Zellkulturen, fötales Kälberserum als Medium für Zellkulturen und Nanopartikel, in die manche Impfstoffe eingelagert werden müssen. Warum? Weil die Industrie bis Ende 2021 rund 14 Milliarden Impfdosen in Aussicht gestellt hat, drei bis vier Mal so viel Impfstoff, wie bislang pro Jahr hergestellt wurde.

Die Pharmafirmen, die die Technologie haben, wehren sich seit Monaten gegen eine Aufweichung des Patentschutzes. Den Vorstoß haben Indien und Südafrika im Oktober 2020 in der Welthandelsorganisation (WTO) eingebracht. Dort ist das TRIPS-Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums hinterlegt, dort müssten alle 164 Mitgliedsländer zustimmen, entscheidende Passagen auszusetzen.

Bis zu dem US-Vorstoß waren die Fronten dort aber klar: keine Zustimmung zu einer Aufweichung. "Der TRIPS-Vertrag ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen wie BioNTech solche Mittel überhaupt entwickeln", sagte ein westlicher Handelsdiplomat in Genf. "Es wäre das völlig falsche Signal, den Patentschutz einfach auszuhebeln." Am Donnerstag fand eine weitere Sitzung statt.

Dass Pharmafirmen für ihre Forschungsanstrengungen belohnt werden müssen, zieht nicht bei Kate Elder, Impfstoff-Expertin bei der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". BioNTech/Pfizer, Moderna und andere hätten Milliarden aus Steuergeldern bekommen, um die Forschung an Corona-Impfstoffen voranzutreiben. "Die Früchte von daraus resultierender Forschung müssen mit kompetenten Herstellern geteilt werden", fordert sie. "Öffentliche Gelder dürfen nicht umsonst sein."

Die EU, die in der WTO für alle Länder verhandelt, zeigte sich nach dem US-Vorstoß auch kulanter als vorher: "Die Europäische Union ist bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht", sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Einen Seitenhieb auf die USA, die die US-Impfstoffproduktion zuerst gänzlich für die eigene Bevölkerung behielten, konnte sie sich nicht verkneifen. Länder mit eigener Produktion müssten exportieren. "Europa ist die einzige demokratische Region der Welt, die Exporte im großen Maßstab erlaubt", so von der Leyen. Es seien schon mehr als 200 Millionen Impfdosen in den Rest der Welt geliefert worden, fast so viel, wie in der EU verabreicht worden seien. Die EU sei die Apotheke der Welt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn blieb zunächst vage. "Die ganze Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltige Weg aus dieser Pandemie", sagte er am Donnerstag. Eine Lockerung des Patentschutzes befürwortete er nicht. Entscheidend sei vor allem der weitere Ausbau von Produktionsstätten und mehr Exporte aus Ländern, in denen produziert wird.

Impfstoff-Entwickler CureVac sieht Patentfreigabe kritisch

Das Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac hat sich kritisch zu dem Vorstoß geäußert, dass Unternehmen den Patentschutz auf Corona-Impfstoffe vorübergehend verlieren sollten. CureVac unterstütze Maßnahmen, um in der derzeitigen Coronavirus-Pandemie den globalen Zugang zu Impfstoffen zu erleichtern, teilte ein Sprecher des Unternehmens am Donnerstag auf Anfrage mit.

"Allerdings sehen wir Patente nicht als das entscheidende Kriterium in der Bereitstellung größtmöglicher Impfstoffmengen und antizipieren daher auch keine Auswirkungen auf CureVac", so der Sprecher. Vielmehr sehe man den generellen Druck auf die Lieferketten als die größte Herausforderung. Dieser ergebe sich aus dem hohen Bedarf an Ausgangsmaterialien und Geräten zur selben Zeit und in hohen Mengen.

Der Sprecher fügte hinzu, im Kontext der Pandemie seien von keiner Impfstofffirma Patente eingefordert worden. Man sehe die internationale Zusammenarbeit als Schlüssel im Kampf gegen COVID-19.

So reagieren die Aktien von BioNTech, Moderna und CureVac

Es kommt zu Gewinnmitnahmen - Vor wenigen Tagen noch waren die Aktien ein Liebling der Anleger, spätestens seit Dienstag geht es aber im freien Fall bergab. Nun trug die Meldung dazu bei, dass die US-Regierung zur weltweiten Eindämmung der Pandemie eine Initiative zur Aussetzung von Patenten unterstützt. Die BioNTech-Aktie verlor am Mittwoch an der NASDAQ 3,45 Prozent auf 170,77 US-Dollar, Pfizer-Papiere konnten an der NYSE einen marginalen Gewinn von 0,05 Prozent bei 37,97 US-Dollar in den Feierabend retten. Moderna-Aktien knickten dagegen an der NASDAQ 6,19 Prozent auf 162,84 US-Dollar ein. Die Papiere von Novavax, einem Unternehmen, das an einem Vakzin ohne mRNA-Technologie arbeitet, betrug das Minus am Vorabend in New York etwa fünf Prozent. Der Kurseinbruch traf vor allem solche Unternehmen wie die mRNA-Anbieter, deren Kurse im Zuge der Impfkampagne in den vergangenen Monaten mächtig angezogen waren. Auch bei den Aktien des ebenfalls an einem Impfstoff arbeitenden US-Unternehmens Ocugen erlitten Investoren einen herben Rückschlag.

Und auch am Donnerstag geraten die Kurse unter Druck: Die CureVac-Aktie verliert zeitweise 8,14 Prozent auf 92,96 US-Dollar. BioNTech-Aktien geben zwischenzeitlich um 1,57 Prozent auf 168,09 US-Dollar nach. Moderna-Aktien geben derweil um 2,05 Prozent auf 159,50 US-Dollar ab. Unternehmen wie Johnson & Johnson oder AstraZeneca, die auch auf andere Technologien als mRNA setzen, reagierten dagegen kaum auf die Meldung. Ihre Kurse hatten aber in den vergangenen Monaten auch kaum profitiert, da ihre Vektor-Impfstoffe wegen erhöhter Thromboserisiken umstritten sind. AstraZeneca hatte schon frühzeitig angekündigt, mit seinem Vakzin keinen Gewinn erzielen zu wollen.

Starker Lauf beendet?

Vor wenigen Tagen war noch alles rosig für die Investoren der beiden deutschen Konzerne: Die BioNTech-Anleger konnten zwischen Ende März und Anfang Mai ihren Aktienwert fast verdoppeln, bei etwa 185 Euro erreichte der Kurs des Mainzer Unternehmens am Dienstag ein Rekordhoch. BioNTech galt vor dem Jahreswechsel als Pionier mit ersten Notfallzulassungen und ist neuerdings auch in einer führenden Position, was die Perspektive für den Einsatz bei Kindern betrifft. Kanada hat das Vakzin am Vortag für 12- bis 15-Jährige zugelassen.

Die CureVac-Aktien folgten der BioNTech-Rally bis Ende April, als sie mit etwa 110 Euro ein Hoch seit Dezember erreichten. Damals war gerade die Euphorie für den bald verfügbaren Impfstoff von BioNTech und dessen US-Partner Pfizer ausgebrochen. Bei CureVac warten die Anleger derzeit noch auf eine in Kürze erhoffte EU-Zulassung des Impfstoffs. Das Tübinger Unternehmen gilt als große Hoffnung vor allem für die Impfkampagne in Europa. In den USA sind die Impfungen ohnehin schon weit fortgeschritten.

mRNA-Anbieter stärker betroffen als Moderna

Analyst Matthew Harrison von Morgan Stanley rechnet denn auch in einer Studie zur Moderna-Aktie nicht mit bedeutenden Folgen, wenngleich die Nachrichten für Investoren auf den ersten Blick sicherlich negativ seien.

Harrison glaubt, die WTO verfüge nicht über die notwendigen Mechanismen, um den notwendigen Druck auf Konzerne wie Moderna auszuüben. Außerdem dürfte es sechs bis neun Monate dauern, bis andere Firmen überhaupt dazu in der Lage sind, die Impfstoffe in größeren Mengen zu produzieren. Dies dürfte am Ende die Auswirkungen auf die Patentinhaber begrenzen, ist sich der Experte sicher.

/jbz/DP/stk

GENF/WASHINGTON (dpa-AFX)

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27.11.2024BioNTech (ADRs) BuyDeutsche Bank AG
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