Kolumne

Generative KI: Werden wir gerade Zeuge eines iPhone-Moments?

20.04.23 15:35 Uhr

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Generative KI: Werden wir gerade Zeuge eines iPhone-Moments? | finanzen.net

Christopher Gannatti, Global Head of Research, WisdomTree

Ist ChatGPT der "iPhone-Moment" für künstliche Intelligenz (KI)? Das iPhone ermöglichte zahlreiche verschiedene Dinge mit einem einzigen Gerät:

  • Eine Zeit "vor Smartphones" können wir uns kaum noch vorstellen, aber das iPhone kam erst 2007 auf den Markt. Gemessen an der Marktkapitalisierung zählt Apple inzwischen zu den größten Unternehmen der Welt - viele weitere Hersteller von Smartphones sind ebenfalls ziemlich groß.
  • Wir können uns kaum noch an die Zeit "vor Apps" erinnern, dennoch existiert heute eine sogenannte "App-Wirtschaft". Die Ausgaben für iOS- und Android-Apps des Jahres 2022 werden auf fast 130 Milliarden US-Dollar geschätzt1.

Warum hat das iPhone die Welt so erfolgreich verändert? Es vereinte Spannung mit einer unglaublichen Flexibilität an potenziellen zukünftigen Funktionen und einer Benutzerfreundlichkeit, mit der die Mitbewerber im Jahr 2007 nur schwer mithalten konnten. Heute ist das iPhone nicht einmal wirklich ein Gerät, sondern eher der Zugang zu einem Ökosystem, in dem viele verschiedene Dienste genutzt werden können.

Wird sich ChatGPT ähnlich entwickeln?

Zu behaupten, ChatGPT sei das nächste iPhone, ist eine gewagte Vorhersage. Das würde bedeuten, dass OpenAI die Chance hat, gemessen an der Marktkapitalisierung zum weltweit höchstbewerteten Unternehmen aufzusteigen und sich über viele Jahre in dieser Position zu halten, ähnlich wie es Apple geschafft hat. Apple hat sowohl Hardware als auch Software entwickelt. Hätte sich Apple nur auf Hardware oder nur auf Software konzentriert, wäre es wahrscheinlich nicht so erfolgreich gewesen.

Microsoft vs. Alphabet

Heute, im Jahr 2023, ist ChatGPT eine Software, und es ist auch klar, dass die größten Unternehmen der Welt den potenziellen Wert erkennen und Maßnahmen ergreifen, um ihre Anteile am wirtschaftlichen Kuchen auszuschöpfen. Microsoft ging am direktesten vor und investierte rund 10 Milliarden US-Dollar in OpenAI. Auch wies es darauf hin, dass die Technologien, die GPT-4 zugrunde liegen, in Programme wie Office 365 integriert werden sollen. Wenn Microsoft für das Office-365-Abo, das den Zugang zu GPT-4 umfasst, einen geringfügigen Aufpreis verlangt, könnte es jährliche Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe erzielen2.

Über seine Google-Plattform versucht Alphabet, seine eigene Version von ChatGPT zu entwickeln, aber es scheint nicht so schnell voranzukommen wie OpenAI. Möglicherweise liegt das am "Dilemma des Innovators", denn kein anderes Unternehmen hat einen Marktanteil von mehr als 90 % bei der Internetsuche, sodass es schwer vorstellbar ist, dass Google eine neue Form der Suche will3.

Microsoft-CEO Satya Nadella verstand es meisterhaft, den Eindruck eines möglichen "Kriegs der Suchmaschinen" zu erwecken, bevor sich irgendwelche Verhaltensweisen tatsächlich von der Google-Suche wegbewegten.

Beide Unternehmen werden generative KI in ihren Cloud-Diensten einsetzen und versuchen, das Wachstum in diesem wichtigen Teil ihrer Einnahmequellen anzukurbeln, nachdem 2022 geringere Zuwächse als in den Vorjahren zu verzeichnen waren. Auch das könnte jährliche Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe bringen.

Der wirtschaftliche Wert von KI

In einer aktuellen Folge des Podcasts der Lunar Society, die am 27. März 2023 veröffentlicht wurde, führte der Chief Scientist von OpenAI Ilya Sutskever an, dass KI von Jahr zu Jahr immer wertvoller werden würde und dass sich dieser Trend exponentiell fortsetzen könnte4.

Wer wird den gesamten durch KI geschaffenen Wert abschöpfen? Durch das Angebot von sowohl Software- als auch Hardware-Elementen sowie des App Stores konnte Apple viele verschiedene Teile eines Ökosystems erfassen, das durch die Einführung des iPhones in Gang gesetzt wurde, und sich auch dann noch behaupten, als sich das Umfeld weiterentwickelte. Im Fall der generativen KI - der Technologie, die Systemen wie ChatGPT zugrunde liegt - sehen wir einen Impulsgeber für die steigende Nachfrage nach Cloud-Computing. Es ist kein Zufall, dass OpenAI eine enge Beziehung zu Microsofts Azure, dem weltweit zweitgrößten Anbieter von Cloud-Computing-Infrastruktur, unterhält, wo KI-Modelle dieser Größe effizient trainiert, gespeichert und ausgeführt werden können.

Alle Anbieter von Cloud-Infrastrukturen, ob Amazon Web Services, Microsoft Azure, Google Cloud, Oracle und andere, sind sicherlich bestrebt, ein Ökosystem nach dem Vorbild von Apple zu schaffen, das den Wechsel von iOS zu Android für Nutzer nicht zu einfach macht. Je mehr Mehrwertdienste angeboten werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Kunden ihren Anbieter wechseln oder einen größeren Teil ihrer Workloads wieder im Unternehmen abwickeln. Sie wollen, dass sich Cloud-Kunden an das Cloud-Computing-Pendant zu Air-Pods, der i-Watch, Apple TV usw. gewöhnen.

Auch die größten technologieorientierten Unternehmen der Welt verstärken ihre Investitionen5:

  • 2022 gaben Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft 223 Milliarden US-Dollar für Forschung und Entwicklung (F&E) aus, 2019 waren es noch 109 Milliarden US-Dollar. Dies geschah zusätzlich zu Investitionsausgaben (CAPEX) in Höhe von 161 Milliarden US-Dollar - eine Verdreifachung innerhalb von drei Jahren.
  • Diese fünf Unternehmen gaben 2015 etwa 16 % ihres gemeinsamen Jahresumsatzes für F&E und CAPEX aus, 2022 waren es bereits 26 %.
  • Meta wies darauf hin, dass KI seine größte Investmentkategorie ist, und Alphabet plant, den Umfang seiner KI-Investitionen zum ersten Mal im Rahmen der Ergebnisbekanntgabe für das erste Quartal 2023 auszuweisen.

Es wurden auch verschiedene Partnerschaften und Integrationen mit ChatGPT angekündigt, von denen wir hier eine Auswahl aufführen:

  • Shopify ist ein interessanter Anwendungsfall, bei dem man "einen KI-gesteuerten Store erstellen" kann. Denken Sie einmal an den Kundenservice: Chatbots, die mit ChatGPT betrieben werden, müssen nicht nach "Stunden" arbeiten, sodass Shopify-Händler sofort einen Rund-um-die-Uhr-Kundensupport einrichten könnten6.
  • Salesforce hat auf eine Technologie verwiesen, die es "EinsteinGPT" nennt und bei der die eigene KI mit der von externen Partnern wie OpenAI kombiniert wird, um Unternehmen bei der Erstellung von E-Mail-Entwürfen, Kundenkontoinformationen und Computercode zu unterstützen7.
  • Coca-Cola wird die generative KI-Technologie von OpenAI für Marketing und Kundenerlebnisse nutzen. Dazu gehören personalisierte Anzeigentexte, Bilder und Botschaften8.

Kleinere Unternehmen für spezialisierte Dienste und Übernahmen

Kleinere Start-up-Unternehmen können verschiedene große Sprachmodelle als Grundlage verwenden, es ihren Nutzern dann aber leichter machen, einen Chatbot direkt in ihre Website einzubinden, um Kundendienstanfragen zu unterstützen.

In regulierten Branchen wie Finanzdienstleistungen können Unternehmen frühere Anforderungen und Fragen einspeisen, damit große Sprachmodelle die Fragen und Antworten "lesen" und daraus "lernen" und sich so auf die Zukunft vorbereiten können.

Nuance Communications wurde beispielsweise von Microsoft übernommen, weil das Unternehmen über besondere Kompetenzen bei der Verarbeitung natürlicher Sprache im Gesundheitswesen verfügt. Die medizinische Transkription ist ein enormer, aber sehr spezieller Markt.

Fazit: Man sollte sich auf eine diversifizierte Wertschöpfung in vielen verschiedenen Branchen einstellen

Wenn generative KI schließlich über die Cloud-Computing-Plattformen genutzt wird, werden die Auswirkungen nicht auf einen einzelnen Wirtschaftszweig beschränkt sein. Am 27. März 2023 zitierte das Wall Street Journal die für die Durchsetzung des Kartellrechts zuständigen US-Behörden, die es als wichtig genug erachteten, zu erwähnen, dass sie den KI-Markt vor Maßnahmen schützen wollen, die von großen etablierten Unternehmen ergriffen werden könnten, da sie eine Bedrohung ihrer Vormachtstellung in diesem Bereich befürchten . Das weist wieder einmal darauf hin, dass der Bereich eine Technologie mit weitreichenden Auswirkungen ist.

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Quellen:

1Quelle: https://www.businessofapps.com/data/app-revenues/.
2Quelle: McGee, Patrick & Madhumita Murgia. "Microsoft to add AI co-pilot to its Office software suite." Financial Times. 16. März 2023.
3Quelle: "Is Google’s 20-year dominance of search in peril?" Economist. 8. Februar 2023.
4Quelle: https://podcasts.apple.com/us/podcast/ilya-sutskever-openai-chief-scientist-building-agi/id1516093381?i=1000606122602
5Quelle: "Big tech and the pursuit of AI dominance." Economist. 26. März 2023.
6Quelle: https://community.shopify.com/c/ecommerce-marketing/chatgpt-for-shopify-store-make-ai-powered-store/td-p/1961298
7Quelle: "Salesforce to add ChatGPT to Slack as part of OpenAI partnership." Reuters. 7. März 2023.
8Quelle: Johnston, Lisa. "Coca-Cola Signs As Early Partner for OpenAI’s ChatGPT, DALL-E Generative AI." Consumer Goods Technology. 21. Februar 2023.
9Quelle: Wolfe, Jan & Dave Michaels. "FTC Chair Lina Khan Vows to Protect Competition in AI Market." Wall Street Journal. 27. März 2023.

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