Geldanlage-Report Armin Brack

Interview mit Florian Schulz

10.11.10 12:24 Uhr

Interview mit Florian Schulz | finanzen.net

„Aktien sind aktuell unterbewertet!“

In unserem letzten Interview mit Florian Schulz kündigte dieser einen Bullenmarkt an und er bezeichnete die Weltfinanzkrise „als historische Chance“, die es ermöglicht insbesondere in China, der Ukraine, in Indonesien und in Polen günstig Aktien einzusammeln.

Da alle in diesem Interview geäußerten Prognosen eintraten und das Interview bei Ihnen großen Anklang gefunden hat, freuen wir uns, dass wir ein neues Interview mit Florian Schulz führen konnten.

Geldanlage-Report: Herr Schulz, im Vorfeld der Finanzkrise haben Sie im Emerging Markets Trader nicht nur ausdrücklich vor der platzenden Immobilienblase gewarnt, sondern im Musterdepot sogar durch ein Short-Zertifikat auf US-Immobilienaktien und andere Puts darauf spekuliert.
Seit März 2009 werden Sie nicht müde eine Emerging Markets Hausse anzukündigen und Ihre Musterdepots sind bis zum Rand mit Aktien und Fonds gefüllt. Ist es in ihrer antizyklischen Tradition nicht so langsam wieder an der Zeit mit den Bären zu flirten?

Florian Schulz: Nein, denn die Aktienmärkte sind weder überkauft noch überbewertet. Zwar hat der MSCI EM Index seit ich am 01. September im Emerging Markets Trader eine Herbstrallye ankündigte schon über 15% dazugewonnen, trotzdem gibt es immer noch gute Gründe dafür von einer Unterbewertung von Emerging Markets Aktien auszugehen.
Was die Stimmung angeht: So viele positive Marktkommentare wir aktuell auch hören, selten zuvor war der Pessimismus an der Börse so verbreitet wie zu Beginn dieser Herbstrallye.

Geldanlage-Report: Woran machen Sie das fest?

Florian Schulz: Anfang September wurden in den Industrieländern so wenige Aktien von Analysten mit „Kaufen“ eingestuft wie in keinem anderen Moment der vergangenen 12 Jahre und auch die durchschnittlichen Analysten-Ratings für Emerging Markets Aktien liegen deutlich unter ihrem historischen Schnitt.
Emerging Markets Fonds haben immer noch eine hohe Cash-Quote und mein Eindruck ist, dass Privatanleger seit dem Finanzkrisen-Schock noch zurückhaltender sind wie die institutionelle Kulisse. So groß die Angst vor den sogenannten „Hot Money“-Zuflüssen in den Emerging Markets mittlerweile auch ist, von einer exzessiven Hausse würde ich unter diesen Voraussetzungen noch nicht sprechen.

Geldanlage-Report: Sie erwähnten eingangs, dass Emerging Markets Aktien unterbewertet sind. Unseren Datenquellen zufolge liegt das aktuelle durchschnittliche KGV des MSCI EM Index auf Basis der vergangenen 12 Monate mit 15 im Bereich des historischen Durchschnitts. Auch die KBV-Bewertung des Marktes ist wieder weit von den Spottpreisen von Anfang 2009 entfernt.

Florian Schulz: Ja, von Spottpreisen kann man nicht mehr sprechen. Neben dem sehr ansehnlichen Gewinnwachstum von Emerging Markets Unternehmen sprechen jedoch auch die extrem niedrigen Renditen von anderen Anlageklassen für eine attraktive Bewertung von Emerging Markets Aktien. Zudem sind Aktien aktuell für mich auch „gefühlt“ billig, denn ich stoße bei meinen Recherchen wesentlich häufiger auf attraktiv bewertete Aktien wie z.B. in den Jahren 2006 und 2007.
Es ist heute absolut kein Problem in den Emerging Markets attraktiv bewertete Blue Chips mit Wachstumsperspektive zu finden. Z.B. habe ich mehrere bilanziell völlig gesunde Blue Chips mit KGVs von 4-9 und teilweise sehr hohen Dividendenrenditen in meinen Musterdepots. Wenn die Märkte überbewertet sind findet man solche Bewertungen nur in der zweiten oder dritten Reihe oder bei Großkonzernen, die in eine Schieflage geraten könnten.
In der zweiten und dritten Reihe der Emerging Markets findet man heute sogar Aktien, die werden zur Hälfte ihres Nettobarmittelwertes verschenkt!

Geldanlage-Report: Warum beurteilen Sie die Bewertung von Aktien nicht nach traditioneller Methode wie z.B. im Vergleich zu historischen Bewertungsdurchschnitten, sondern durch einen Vergleich mit der Rendite von anderen Anlageklassen?

Florian Schulz: Nichts lieben Anleger und Analysten so sehr wie langjährige Durchschnitte, denn man kann davon ausgehen, dass der Markt in einem langfristigen Prozess diese Durchschnittslinien immer wieder durchkreuzen wird.
Mich interessiert hingegen viel mehr welche zyklischen Kräfte dazu führen, dass ein Markt lange Zeit oberhalb eines Durchschnitts bewertet wird und warum Märkte für viele Jahre unterdurchschnittliche Bewertungen aufweisen. In dieser Hinsicht habe ich festgestellt, dass ein Renditevergleich mit anderen Anlageklassen – insbesondere mit Anleihen – besonders zuverlässig ist.
Ich nenne Ihnen zwei klassische Beispiele: Rund um die Jahrtausendwende waren durchschnittliche KGV-Bewertungen von unter 10 in Brasilien völlig normal, denn ausländische Anleger wurden durch die hohe Inflation und die Währungsrisiken abgeschreckt und für inländische Anleger waren Aktien völlig unattraktiv, da man schon auf normalen Konten Zinsen von weit über 10% erhielt.
In Japan waren gleichzeitig KGVs von über 30 die Normalität, denn die Zinsen lagen in Japan kaum über 0%, die Immobilienpreise verloren immer mehr an Wert. Schon eine Dividendenrendite von 1% erschien unter solchen Umständen im Vergleich zu anderen Anlagemöglichkeiten sehr attraktiv.
Da heute die Renditen von US-Treasuries und deutschen Bundesanleihen Rekordtiefs erreichen und die Renditen auf absehbare Zeit niedrig gehalten werden gehe ich daher davon aus, dass wir weltweit am Anfang einer Phase mit über dem historischen Durchschnitt liegenden Aktienbewertungen stehen.

Geldanlage-Report: Ist es nicht so, dass niedrige Renditen von US-Treasuries für hohe volkswirtschaftliche Risiken sprechen und daher ein Zeichen sind die Gefahren des Aktienmarktes besser zu meiden? Schließlich sprechen hohe Makro-Risiken immer auch für eine höhere Ergebnisunsicherheit bei Aktien und somit auch für niedrigere Bewertungsniveaus.

Florian Schulz: Das Argument ist selbstverständlich richtig, denn in Krisen flüchtet Geld in den Sicheren Hafen. Wir leben aber in Zeiten in denen die Staatsschulden der große Risikofaktor sind und die Anleihenmärkte aktiv von den Zentralbanken manipuliert werden. Im Risikovergleich schneiden Aktienmärkte gegenüber den Anleihenmärkten daher heute nicht schlechter ab wie in gefühlt sichereren Zeiten der Vergangenheit.

Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Reports. Gratis anmelden unter: www.geldanlage-report.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.