Falsche Saldenbestätigung?

Wirecard-Aktie mit rund -60%: Vorlage von Jahresabschluss verschoben - Wirecard-COO suspendiert

18.06.20 22:11 Uhr

Wirecard-Aktie mit rund -60%: Vorlage von Jahresabschluss verschoben - Wirecard-COO suspendiert | finanzen.net

Der in einen Bilanzskandal verwickelte DAX-Konzern Wirecard hat seine für diesen Donnerstag geplante Präsentation der Geschäftszahlen durch den Vorstand abgesagt. Wirecard hatte am Vormittag bereits die schriftliche Veröffentlichung der Jahresbilanz 2019 auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Aktie bricht daraufhin ein.

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Die Nervosität der Aktionäre von Wirecard vor der Vorlage der mehrfach verschobenen Bilanz für 2019 war berechtigt:

Im Börsenkrimi um Wirecard hat sich die Lage am Donnerstag weiter zugespitzt: Nachdem der Zahlungsdienstleister mitgeteilt hatte, dass er wegen milliardenschwerer Unklarheiten in der Bilanz seinen Jahresabschluss erneut nicht vorlegen kann, gingen die Aktien des Unternehmens in einen spektakulären Sturzflug über. Das Vertrauen der Anleger ist nun tief erschüttert.

Die Wirecard-Papiere hatten nach mehreren Handelsunterbrechungen zunächst in der Spitze rund zwei Drittel ihres Wertes verloren und waren auf 35 Euro abgesackt. Dann erholten sich die Anteilscheine zwischenzeitlich etwas und stiegen auf rund 64 Euro, bis sie wieder unter Druck gerieten und peu a peu tiefer ins Minus rutschten. Später sackte der Kurs der Wirecard-Aktie um mehr als 71 Prozent auf 29,90 Euro in den Keller.

Bis zum Handelsschluss erholten sich die Aktien dann erneut wieder etwas, so dass letztlich ein Minus von fast 62 Prozent auf 39,90 Euro zu Buche stand. Dies ist auf Schlusskursbasis gerechnet der zweitgrößte prozentuale Tagesverlust, den je ein DAX-Wert erlitten hat. Die Marktkapitalisierung des Konzerns schmolz im Vergleich zum Schlusskurs am Mittwoch um rund 8 Milliarden auf 4,9 Milliarden Euro zusammen.

Im Tief war Wirecard an der Börse weniger als 4 Milliarden Euro wert. Das ist weniger als die Lufthansa, die gerade vom Staat vor dem Untergang gerettet werden soll und deren Abschied aus dem Dax bereits feststeht. Im vergangenen Jahr hatte Wirecard beim Börsenwert sogar die Deutsche Bank überflügelt. Jetzt liegt Deutschlands größtes Kreditinstitut mit einer Marktkapitalisierung von rund 17 Milliarden Euro bei einem Vielfachen des Zahlungsabwicklers aus Aschheim bei München. Dies ist das tiefste Niveau seit März 2016. Damit steuern die Wirecard-Aktien auf einen der größten prozentualen Tagesverluste zu, den je ein DAX-Unternehmen auf Schlusskursbasis erlitten hat. Die Marktkapitalisierung des Konzerns schmolz im Vergleich zum Schlusskurs am Mittwoch um rund 9 Milliarden auf 3,7 Milliarden Euro zusammen. Zum Handelsende belief sich das Minus auf 61,82 Prozent bei 49,90 Euro.
Sollte sich der Kurs nicht nachhaltig erholen, droht dem Konzern Experten zufolge im September sogar der Abstieg aus dem DAX.

Die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY habe das Unternehmen darüber informiert, dass über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Prüfungsnachweise vorlägen, teilte der DAX-Konzern am Donnerstag in Aschheim bei München mit.

Der Konzern muss seine bereits mehrfach - zuletzt auf diesen Donnerstag - verschobene Vorlage des Jahresabschlusses für 2019 daher erneut vertagen. Ein neues Datum steht noch nicht fest. "Der Vorstand arbeitet mit Hochdruck daran, den Sachverhalt in Abstimmung mit dem Abschlussprüfer weiter aufzuklären", hieß es. Sollte der Konzern einen testierten Abschluss bis Freitag (19. Juni) nicht vorlegen, könnten Kredite der Wirecard AG in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro gekündigt werden, warnte das Unternehmen.

Damit steigt der Druck auf CEO und Großaktionär Markus Braun massiv. Dem Konzern werden seit geraumer Zeit immer wieder Bilanztricksereien vorgeworfen. Ein vom Unternehmen selbst in Auftrag gegebenes Gutachten bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hat zwar keinen Korrekturbedarf für die Bilanzen 2016 bis 2018 gefunden, dem Konzern jedoch organisatorische Mängel vorgeworden. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen Braun und seine drei Vorstandskollegen wegen des Verdachts auf Marktmanipulation, Anfang des Monats wurden sogar die Geschäftsräume durchsucht.

Wirecard kündigt wegen Bilanzunklarheiten Strafanzeige gegen unbekannt an

Im Bilanzskandal bei Wirecard stehen nach Darstellung des DAX-Konzerns zwei asiatische Banken und ein Treuhänder im Mittelpunkt. Die beiden Geldhäuser haben Wirecard darüber informiert, dass die bei ihnen geführten Kontonummern für Wirecard-Treuhandkonten "nicht zugeordnet werden konnten", wie das Unternehmen am Donnerstag in Aschheim mitteilte

"Ob betrügerische Vorgänge zum Nachteil der Wirecard AG vorliegen, ist derzeit unklar", erklärte Vorstandschef Markus Braun. "Die Wirecard AG wird Anzeige gegen unbekannt erstatten." Das Unternehmen sehe sich als mögliches Opfer eines "gigantischen Betrugs". Es gebe Hinweise, dass dem Abschlussprüfer von einem Treuhänder oder aus dem Bereich von Banken, die die Treuhandkonten führen, "unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt wurden", hieß es in der Mitteilung.

Deutsche Börse prüft Einleitung eines Sanktionsverfahrens gegen Wirecard

Dem Zahlungsabwickler Wirecard droht angesichts der erneuten Verschiebung der Bilanzvorlage ein Sanktionsverfahren der Deutschen Börse. Wie in solchen Fällen üblich wird aufgrund der nicht fristgerechten Lieferung des Jahresfinanzberichts die Einleitung eines Sanktionsverfahrens geprüft, sagte ein Sprecher der Deutschen Börse der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX.

Da Wirecard mit der erneuten Verschiebung des Jahresabschlusses allerdings erstmals gegen seine Börsenpflicht verstoßen habe, sei die Einleitung eines Sanktionsverfahrens aktuell aber eher unwahrscheinlich, hieß es von einem Insider. Sollte es doch dazu kommen, wäre der Sanktionsausschuss als unabhängiges Börsen-Organ zuständig, der auch etwaige Strafen festlegen würde. Die finanzielle Höchststrafe betrage eine Million Euro.

Bafin weitet Wirecard-Untersuchung aus

Wegen des möglichen gravierenden Betrugsfalls beim DAX-Konzern Wirecard weitet die Finanzaufsicht Bafin ihre laufende Untersuchung aus. "Selbstverständlich fließt der aktuelle Sachverhalt in unsere noch laufende Marktmanipulationsuntersuchung ein", erklärte eine Sprecherin der Behörde am Donnerstag in Bonn auf Anfrage.

Die Bafin ist seit vergangenem Jahr mit Wirecard beschäftigt. Die Finanzaufsicht prüft sowohl, ob Spekulanten den Markt zulasten von Wirecard manipuliert haben, als auch, ob der Wirecard-Vorstand Investoren mit zwei irreführenden Ad-hoc-Meldungen falsch informiert hat.

Münchner Staatsanwaltschaft prüft Fall Wirecard

Nach der Finanzaufsicht Bafin nimmt auch die Münchner Staatsanwaltschaft den Bilanzskandal beim DAX-Konzern Wirecard unter die Lupe. Die Behörde stehe mit dem Unternehmen in Kontakt und prüfe auch diesen Vorgang, erklärte eine Sprecherin der Ermittlungsbehörde am Donnerstag auf Anfrage.

Die Münchner Staatsanwaltschaft ist bereits mit Wirecard befasst, und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits wird ermittelt, ob Spekulanten das Unternehmen mit illegalen Kursmanövern attackiert haben. Andererseits wird gegen Vorstandschef Markus Braun und seine Kollegen in der Unternehmensspitze wegen des Verdachts ermittelt, zweimal für die Anleger irreführende Informationen veröffentlicht zu haben. Die jetzige Prüfung der Ungereimtheiten in der Bilanz bedeutet nicht, dass nun auch in dieser Hinsicht ein formales Ermittlungsverfahren gegen konkrete Beschuldigte eingeleitet wird.

Fondsgesellschaft DWS steigt bei Wirecard aus und prüft Klage

Nach zahlreichen Kleinaktionären will auch die Fondsgesellschaft DWS gegen Wirecard klagen.

Man analysiere die Fakten und prüfe die Einleitung rechtlicher Schritte, teilte der Fondsanbieter am Donnerstag mit. Per Marktschluss am Mittwoch habe die DWS ihre Position um circa 60 Prozent reduziert. Der Rest sei im Laufe des Tages verkauft worden. "Aktuell halten wir keine materiellen Positionen in aktiv gemanagten Fonds mehr." Die DWS hatte wie die Konkurrentin Union Investment eine Zeitlang zu den größten Wirecard-Aktionären gehört.

Union Investment hat ihre Wirecard-Anteile mittlerweile ebenfalls abgestoßen, wie ein Sprecher sagte. "Schon vor dem heutigen Tag lag er bei unter 0,1 Prozent der ausstehenden Wirecard-Aktien." Unklar blieb, ob die Union ebenfalls eine Klage anstrebt. Die Fondsgesellschaft Deka wollte sich zu Rechtsfragen nicht äußern.

Anlegerkanzlei Tilp erweitert Wirecard-Klage nach Adhoc

Nach der erneuten Verschiebung des Jahresabschlusses der Wirecard AG und den Hinweisen der Prüfer auf Bilanztäuschung will die Anlegerkanzlei Tilp ihre Klage gegen den DAX-Konzern ausweiten. Eine Klage gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) strebt die Kanzlei aber nicht an. Die Tübinger Tilp Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hatte im Mai die erste deutsche Anlegerklage gegen Wirecard vor dem Landgericht München I eingereicht.

Die Adhoc-Meldung vom Vormittag untermauere die Einschätzung, dass bei Wirecard in der Vergangenheit in erheblichem Maße falsch bilanziert wurde. "Zusätzlich zu den von uns bisher schon angenommenen Verstößen halten wir die Kapitalmarktkommunikation von Wirecard daher nunmehr auch wegen falscher Bilanzierung für eklatant falsch und irreführend", sagte Rechtsanwalt Andreas W. Tilp. "Was zunächst als Compliance-Skandal begann, hat sich nach unserer Überzeugung nun endgültig zu einem handfesten Bilanzskandal ausgeweitet."

Die Wirtschaftsprüfer stehen nicht im Fokus der Kanzlei. "EY hat sich nach unserem Verständnis hier zwar nicht mit Ruhm bekleckert", so Rechtsanwalt Maximilian Weiss. "Zentral verantwortlich ist aus kapitalmarktrechtlicher Sicht aber weiterhin Wirecard."

Anlegergemeinschaft SdK überlegt Sammelklage gegen Wirecard

Die Anlegergemeinschaft SdK prüft eine Sammelklage gegen den DAX-Konzern Wirecard. Dabei geht es um Schadenersatzansprüche gegen das Unternehmen, dessen Aktien wegen Betrugsverdachts erheblich an Wert verloren haben. Die SdK organisiere hierfür "ein gemeinsames Vorgehen geschädigter Kapitalanleger", wie deren Vorstand am Donnerstag in München mitteilte.

Die SdK hat demnach bereits eine Anwaltskanzlei zurate gezogen. "Nach vorläufiger Einschätzung könnten mehrere mögliche Pflichtverletzungen durch den Vorstand der Wirecard AG und insbesondere auch den Abschlussprüfer der Gesellschaft vorliegen", hieß es in der Mitteilung.

DSW: Staatsanwaltschaft muss Fall Wirecard untersuchen

Die Anlegervereinigung DSW fordert wegen des Betrugsverdachts beim DAX-Konzern Wirecard eine Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft. "Das ist ein rabenschwarzer Tag", sagte DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler am Donnerstag auf Anfrage. "Wir sind in der Situation, dass Wirecard selbst nicht mehr für Aufklärung und Vertrauen sorgen kann." Die Vorgänge sollten nach Einschätzung der DSW von Ermittlern aufgeklärt werden: "Da muss jetzt die Staatsanwaltschaft rein", sagte Tüngler.

Morgan Stanley belässt Wirecard auf 'Equal-weight'

Die US-Investmentbank Morgan Stanley hat die Einstufung für Wirecard nach der abermaligen Bilanzverschiebung auf "Equal-weight" belassen. Ein Kursziel gibt der Analyst Adam Wood in einer am Donnerstag vorliegenden Studie für die Papiere des Zahlungsabwicklers nicht an. Sollte das Testat der Wirtschaftsprüfer von EY nicht bis zum morgigen Freitag vorliegen, könnten Kreditlinien gekündigt werden. Dies rücke die Liquidität des Konzerns in den Fokus.

Wirecard-COO suspendiert - Compliance-Vorstand kommt früher

Die abermalige Verschiebung des Jahresabschlusses der Wirecard AG und die Hinweise auf Bilanztäuschung haben personelle Konsequenzen. Wie der DAX-Konzern mitteilte, wurde der für das operative Geschäft zuständige Vorstand (COO) Jan Marsalek mit sofortiger Wirkung bis Ende Juni "widerruflich" freigestellt. Der neue Compliance-Vorstand James H. Freis nimmt seine Tätigkeit unterdessen sofort auf und damit früher als geplant.

Wirecard hatte Anfang Mai angekündigt, Freis zum 1. Juli für das neu geschaffene Vorstandsressort "Integrity, Legal and Compliance" an Bord zu holen. Die Personalie war auch eine Reaktion auf das Ergebnis des vom Unternehmen selbst in Auftrag gegebenen Gutachtens bei der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG, das dem Konzern organisatorische Mängel, unter anderem im Bereich Compliance, bescheinigte.

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/ag/zb

Veröffentlichung der Original-Studie: 18.06.2020 / 10:14 / GMT

Erstmalige Weitergabe der Original-Studie: Datum in Studie nicht angegeben / Uhrzeit in Studie nicht angegeben / Zeitzone in Studie nicht angegeben

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Redaktion finanzen.net / dpa-AFX / Dow Jones / Reuters

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Bildquellen: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images, Anton Garin / Shutterstock.com

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