Solactive-Gründer Scheuble: Der Chef-Aufmischer
Das Geschäft mit globalen Börsenindizes hatten sich jahrzehntelang ein paar Platzhirsche hübsch aufgeteilt. Jetzt mischt die Frankfurter Solactive AG kräftig mit.
von Joachim Spiering, Euro am Sonntag
Besucher im ersten Stock der eher schmucklos gehaltenen Büroetage am Rand des Frankfurter Bankenviertels stoßen direkt auf ein blau-weißes Plakat. "German Index Engineering" steht darauf. Die Besucher sollten sich davon nicht täuschen lassen. Denn was nach schwäbischer Ingenieurskunst klingt, nach Made in Germany und nach viel, viel Tradition, ist alles andere als alt oder gar verstaubt.
German Index Engineering. Das ist Inhalt und Motto einer noch jungen Firma namens Solactive, die zwar gerade erst den Kinderschuhen entwachsen ist, sich aber dennoch schon anschickt, einen sehr etablierten Zirkel der internationalen Börsenwelt aufzumischen: den Klub der großen Indexbetreiber wie MSCI, S & P oder Stoxx. Gründer und Vorstand von Solactive und somit sozusagen Chef-Aufmischer ist Steffen Scheuble, 36 Jahre alt, Schwabe, in der Frankfurter Finanzcommunity bestens verdrahtet und häufig unterwegs in der halben Welt.
Scheuble macht mit seiner Firma das, was die Finanzmärkte seit jeher benötigen: das Konzipieren und Berechnen von Börsenindizes. Wenn das Öl das Schmiermittel der Wirtschaft ist, dann sind Indizes das Schmiermittel der Börsen. Ohne sie geht nichts. Ob Anfänger oder Superprofis: Anleger verfolgen ständig Barometer wie den DAX oder die Nasdaq, Branchenindizes wie den Amex-Biotech oder superkomplexe Konstrukte, die besonders ausgefuchste Anlagestrategien abbilden.
Als Mutter aller Indizes (auch wenn er nicht der älteste ist) gilt der Dow Jones Industrial Average Index, kurz: Dow. Initiiert 1884, also vor 132 Jahren, von Edward Jones, Gründer des "Wall Street Journal", und Charles Dow, Mitgründer des Verlagshauses Dow Jones, soll er die Entwicklung des US-Aktienmarkts messen. Heute gibt es weltweit mehrere Millionen (!) Indizes, die millisekündlich neu berechnet werden - eine oft multiple und äußerst komplexe Angelegenheit. Permanent müssen die verschiedensten Parameter berücksichtigt und erfasst werden: aktuelle Kurse, Dividendenzahlungen und -abschläge, Indexgewichtungen, Aktiensplits, Kapitalerhöhungen, Fusionen, Indexauf- und -absteiger, Währungsverschiebungen und, und, und.
Eigentlich ein Business mit wenig Sex-Appeal. Oder? "Ein Index als reines Produkt ist erst mal nur die Umsetzung eines Regelwerks mit Addition, Subtraktion und Multiplikation", sagt Scheuble nüchtern. "Das ist nicht sexy. Sexy finde ich eher, wie Solactive auftritt."
Blaues Sakko, weißes Hemd, Gel
Was er damit meint, ist wohl das Erfolgsrezept seiner Company. Noch bis vor wenigen Jahren hatten sich etwa zehn namhafte Platzhirsche den globalen Markt hübsch unter sich aufgeteilt. Inzwischen mischen die Frankfurter Newcomer kräftig mit. "Ein guter Index braucht eine hohe Qualität, einen günstigen Preis und eine starke Marke. Beim Preis waren wir immer schon gut, die Qualität haben wir in den vergangenen Jahren bewiesen, und die Marke sind wir gerade dabei zu bilden", so Scheuble, der - wenn er nicht gerade in Anzug und Krawatte schlüpft, weil das die Kunden erwarten - meist den gleichen Look trägt: blaue Jeans, weißes Hemd, blaues Sakko. Das Gel in den Haaren, in Frankfurter Bankerkreisen immer noch gern gesehen, darf auch nicht fehlen."Weltweit gibt es etwa 5000 ETFs, wir berechnen 220. Das klingt nach nicht viel, sind aber immerhin mehr als vier Prozent." Und das soll erst der Anfang sein. Denn der Markt wächst. "Wir legen jeden Monat 50 bis 100 neue Indizes auf."
Doch woher kommt das Wachstum? Schließlich könnte ja irgendwann der Markt gesättigt sein, der Bedarf an neuen Indizes erschöpft. Scheuble sieht das nicht so. Zum einen würden einfach ständig neue, innovative ETFs, Zertifikate und andere Produkte auf den Markt gebracht, die einen Index benötigen. Zum anderen dürfen viele Banken aufgrund von Regulierungsvorschriften ihre Indizes nicht mehr selbst berechnen und lagern dieses Thema daher aus. Und dann wildert seine Truppe in den Gefilden der großen Wettbewerber. Das Konzept: "Bei gleicher Qualität günstiger sein als die Konkurrenz." Gerade bei ETF-Anbietern, die im permanenten Preiskampf stehen, gebe es Chancen. "Die Anbieter achten bei den Indexspezialisten zunehmend auf die Kosten. Das ist eine der wenigen Stellschrauben, an welchen sie noch drehen können."
Nicht ohne Stolz erzählt Scheuble, dass kürzlich die Bank of Montreal mit einem großen ETF, in dem immerhin eine Milliarde Dollar liegt, von S & P zu Solactive gewechselt sei. Und seit Mittwoch lässt die Deutsche Bank ihren Large-Cap-ETF auf den Schweizer Aktienmarkt, in dem 882 Millionen Euro liegen, ebenfalls von Solactive berechnen. Auch das ist für die junge Firma ein Prestigeerfolg.
"Früher haben uns die Großen belächelt. Heute merken sie, dass wir eine echte Konkurrenz sind, und weichen zunehmend in andere Märkte wie Asien aus, wo sie ihre Preise noch durchsetzen können." Wie aus Branchenkreisen zu hören ist, stöhnen die Platzhirsche inzwischen ziemlich offen über den ambitionierten Angreifer - wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Solactive ist in Asien noch nicht tätig, dafür kräftig in den USA. 150 der 220 ETFs, die Solactive berechnet, kommen von Kunden aus Übersee. Scheuble selbst jettet etwa 15-mal im Jahr über den großen Teich, um das Business anzukurbeln. Zumal sich dieses wandelt.
Einst als reiner Indexberechner und somit als Dienstleister gestartet, geht Solactive zunehmend dazu über, eigene Börsenbarometer zu entwickeln und zu vermarkten. Gegen Gebühr können dann ETFs, Derivate und andere Produkte auf die hauseigenen Indizes auflegt werden. Auch dieses Geschäft wächst ständig, ein Drittel aller 3300 von Solactive berechneten Indizes "gehören" inzwischen Scheuble und Co.
250 Kunden zählt Solactive momentan. Doch ist die Firma auch profitabel? Und wie viel Umsatz macht sie? Auf diese Fragen gibt sich Scheuble eher zugeknöpft. Nur so viel: "2015 hat sich der Umsatz verdoppelt, 2016 werden wir signifikant wachsen und unter dem Strich verdienen wir Geld."
Um dauerhaft wachsen zu können, suchen die Hessen gerade ein halbes Dutzend Spezialisten, die neue Ideen für neue Indizes entwickeln. Daneben werden gesucht: Experten für Presse und Marketing und vor allem ein Personalchef. "Wir haben eine Größe erreicht, in der wir die Personalentwicklung professionalisieren müssen." Denn das Führen der eigenen Leute, mit all ihren Vorlieben und Vorstellungen, das hat er inzwischen gemerkt, ist manchmal genauso komplex wie ein Index.
Dass der bekennende Bayern-München-Fan (der privat seine Liebe gefunden hat, doch augenzwinkernd sagt: "Ich bin aber auch verheiratet mit meiner Firma und liebe den FC Bayern") so schnell über die Herausforderungen des Wachstums nachdenken muss, überrascht freilich nicht. Der gebürtige Leonberger zeigte schon immer eine gewisse Durchsetzungskraft.
Als Scheuble nach dem Abitur im Jahr 2000 - Notendurchschnitt 1,6 - an der Hochschule Villingen-Schwenningen sein duales BWL-Studium begann, war es bis dato die Regel, dass die Studenten ein Auslandssemester absolvierten. Die Betonung liegt auf "ein". Scheuble ging für ein Praktikum zur Deutschen Bank nach Uruguay. Eine coole Zeit, die er gern länger genossen hätte. Kaum zurück, fädelte er einen zweiten Trip nach Südamerika ein. Diesmal zur "Deutschen" nach Buenos Aires. "Bis dahin ein Novum", sagt er grinsend.
Zur Deutschen Bank zog es ihn auch nach dem Studium, bis er im Juli 2006 zur Zertifikatejournal (ZJ) AG wechselte. Die Derivatebranche brummte gerade und erlebte einen wohl einmalig bleibenden Boom. Und die ZJ AG mit ihrem Zertifikate-Newsletter und diversen Dienstleistungsgeschäften für die Derivatebranche schwamm ganz oben auf der Welle. Die beiden Gründer hatten das Konstrukt kurz zuvor an die Börse gebracht und dabei den dicken Reibach gemacht. Auch Scheuble hoffte auf das schnelle Geld.
Doch so ganz hat das nicht geklappt, der Neue und die beiden "Alten" harmonierten nicht so richtig. Womöglich prallten auch einfach ein paar Alphatiere zu viel aufeinander. Nach 15 Monaten zog Scheuble die Reißleine und stieg aus. Allerdings nicht ohne Mitgift: Er kaufte ZJ das Geschäft mit den Indizes ab, genauer gesagt einen Kooperationsvertrag mit der Börse Stuttgart. Es war die Geburtsstunde des heutigen Unternehmens.
Auf eigene Faust
"ZJ hatte damals Indizes entwickelt, vermarktet und vertrieben, die Börse Stuttgart hat sie berechnet", erinnert sich Scheuble. Mit vier Kollegen startete er das Geschäft nun auf eigene Faust, zunächst unter dem etwas sperrigen Namen Structured Solutions, zu deutsch "Strukturierte Lösungen". Die Indizes liefen unter den Namen SBOX. "Uns war relativ rasch klar, dass wir das Indexgeschäft international groß ausrollen wollen." Doch die geplante Internationalisierung stockte bereits auf dem Heimatmarkt: Die Börse Stuttgart hatte kein Interesse an einer Expansion in andere Länder.Scheuble handelte und kaufte mit seiner Structured Solutions der Börse sämtliche Rechte an den Indizes ab. Das war Ende 2009. Was folgte, waren Investitionen, Wachstum und Expansion. "Das Geschäft hat sich stark in Richtung IT entwickelt. Wir wussten, dass eine gute, schnelle und zuverlässige IT entscheidend sein wird." Ein externer Dienstleister in Berlin wurde beauftragt, eine IT-Infrastruktur aufzubauen. Heute sitzen dort 22 Mitarbeiter, die quasi nichts anders tun, als für Solactive die Technik bereitzustellen - und sie permanent zu verbessern.
Im Juli 2013 folgte die Namensänderung: Aus Structured Solutions wurde Solactive. "Der Name ist ein Mix aus ‚solution‘ und ‚active‘ und ist uns mittags beim Brainstorming gekommen", erinnert sich Scheuble. "Außerdem war die Website noch frei."
Uns was macht er, wenn morgen einer der großen Konkurrenten mit dem dicken Scheck wedelt, um Solactive zu übernehmen? Würde er verkaufen? Scheuble überlegt kurz und winkt ab. "Was soll ich denn dann machen? Ständig Urlaub geht nicht, zurück in eine Bank möchte ich auch nicht mehr." Das Einzige, was er sich vorstellen könne, wäre, ein neues Start-up zu gründen. "Es wäre vieles einfacher. Es wäre Geld da, ich würde viele Anfängerfehler vermeiden." Doch auch das interessiert ihn eigentlich nicht. "Was mich interessiert, ist, wie ich meine Firma von 50 auf 100 Mitarbeiter vergrößern kann."
Platz genug für neue Leute ist jedenfalls da. Soeben wurde eine zweite Büroetage angemietet, dazu gehört auch ein großer Raum "zum Spielen", wie Scheuble meint. Ein Kicker soll rein, eine Dartscheibe und natürlich eine große Leinwand zum Fußballgucken. So hat das Ganze dann doch noch etwas von Start-up-Atmosphäre - und so gar nichts von angestaubter Tradition.
Kurzvita
Schwäbischer Bayern-Fan
Steffen Scheuble wurde 1979 in
Leonberg bei Stuttgart geboren. Nach dem Studium verdiente er sich seine ersten Meriten in der Derivateabteilung der Deutschen Bank. Am 1. Oktober 2007 gründete er Structured Solutions, die heutige Solactive AG.
Scheuble ist begeisterter FC-Bayern-Fan - und verjubelt für eine
VIP-Reise zu einem Auswärtsspiel in der Champions League schon mal ein erhebliches Kontingent an Prämienmeilen, die
er durch seine vielen Flugreisen erhält.
Dafür darf er im
Flieger der Fußballer mitreisen und beim
Bankett nach dem Spiel den Reden
Rummenigges folgen.
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Bildquellen: Bernd Roselieb für Finanzen Verlag