Hongkong: Metropole im Abstiegskampf
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Nicht nur in den USA - auch in der chinesischen Sonderzone Hongkong durften die Bürger unlängst an die Urnen. Das Ergebnis fiel so aus, dass sich Peking bemüßigt sah zu intervenieren.
von Thomas Welte, Gastautor für Euro am Sonntag
Diese unerquickliche Präsidentschaftswahl in den USA hat viele Ereignisse aus der letzten Zeit überschattet oder ganz verdeckt. Zum Beispiel eine andere Wahl, die nur wenige Wochen zuvor stattgefunden hatte: in Hongkong. Selbst im eigenen Land wurde sie praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Zumindest nicht in der Presse. Nur eine von 300 chinesischen Zeitungen hat nach Informationen der Website Hong Kong Free Press überhaupt darüber berichtet. Wie zum Trotz richtet sich der Blick der westlichen Wirtschaft angesichts eines Präsidenten Donald Trump und seiner angekündigten Abschottung Amerikas aber gerade wieder verstärkt in Richtung China.
Nun ist die Wahl eines Stadtparlaments nicht unbedingt ein Ereignis, bei dem die Welt den Atem anhält. Doch Hongkong ist einzigartig. Die einstmals letzte britische Kronkolonie genießt nach der Rückgabe an China 1997 noch immer einen Sonderstatus nach dem Prinzip "ein Land, zwei Systeme".
Trotz Sonderstatus - Peking
regiert in Hongkong kräftig mit
Die Teilautonomie garantiert der Sieben-Millionen-Metropole für 50 Jahre eigene Zoll- und Steuergesetze sowie eine unabhängige Justiz. Es herrscht weitgehende Presse- und Meinungsfreiheit. Hongkong hat eine eigene Währung, entscheidet selbst über Ein- und Ausreisepolitik und ist eigenständiges Mitglied in internationalen Organisationen. Und noch immer herrscht hier eine der liberalsten Marktwirtschaften der Welt. Vorbehaltlos freie Wahlen allerdings gibt es nicht - 30 von 70 Sitzen im Parlament vergibt indirekt Peking.Dennoch war die Wahlbeteiligung so hoch wie seit 1991 nicht mehr. Den Einzug ins Parlament schafften auch vier Vertreter der neuen Partei Demosisto, die sich für mehr Demokratie und weniger Einfluss Pekings einsetzt, darunter ein führender Aktivist der Studentenproteste von vor zwei Jahren. "Jung, gebildet und wütend auf Peking", so titelte die "Neue Zürcher Zeitung" über die neuen Abgeordneten. Chinas Regierung hingegen ließ verlauten, sie sei mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Auf ihren Druck hin wurden zwei der Unabhängigkeitsbefürworter Anfang November wieder ausgeschlossen - weil sie ihren Amtseid nicht vorschriftsmäßig abgelegt hatten.
So handhabt man das in China mit nationalistischen Bewegungen - Peking greift durch. Sogar in Hongkong. Da darf man sich schon einige Fragen stellen: Entsteht hier ein weiterer Krisenherd mit womöglich globalen Auswirkungen? Bilden sich nun auch im Fernen Osten Autonomiebewegungen nach westlichem Vorbild? Wird Hongkong zur Speerspitze einer demokratischen Bewegung, die am Ende China ins Wanken bringen kann? Zunächst muss eine andere Frage beantwortet werden: Welche Bedeutung kommt Hongkong heute überhaupt in China zu? Unzweifelhaft ist die Sonderzone noch immer ein wichtiges Finanzzentrum, nicht zuletzt für ausländische Anleger, die an der Wirtschaft Chinas partizipieren und halbwegs transparent handeln wollen. Darüber hinaus ist die Stadt ein Brückenkopf in den Westen, aber auch in den Rest Asiens. Sie ist eine Art Ventil in die restliche Welt.
Politisch ist die Bedeutung hingegen eher kosmetisch geworden - das haben nicht zuletzt die Wahlen gezeigt. Ihr Ausgang war eine Reminiszenz eines Teils der Bürger an die Zeiten, als Hongkong noch nicht chinesisch war. Sie wollten ganz offensichtlich ein Zeichen setzen, dass die seinerzeitigen Zusagen zum Status der Stadt Bestand haben müssten und nicht ausgehöhlt werden dürften. Das Leben in Hongkong ist nach wie vor westlich geprägt, nur die wenigsten Bewohner sehen sich als Bestandteil des großen China. So gesehen ist Hongkong ein Stachel im Fleisch. Allenfalls. Eine Speerspitze ist es nicht - und wird es auch nicht werden.
Der Stellenwert Hongkongs für China ist seit 1997 stetig gesunken. Es gibt mittlerweile bedeutendere wirtschaftliche Metropolen wie Shanghai. Längst haben sich dort auch westliche Unternehmen angesiedelt, die sich vor einigen Jahrzehnten nicht weiter als bis Hongkong vorgewagt hatten - im Vertrauen auf die dortige Rechts- und Investitionssicherheit. Doch diese Zeiten sind passé.
Die schwindende Bedeutung Hongkongs drückt sich auch darin aus, mit welcher Penetranz das Regime in Peking die Vereinbarungen über den Sonderstatus zu unterwandern sucht. Zwar agiert es bedeutend zurückhaltender als etwa in Tibet, wo die Autonomiebewegung mit Waffen niedergehalten wird - und offenbart damit nicht zuletzt seine Doppelgesichtigkeit. Dennoch schafft es auch in Hongkong Tatsachen. Hätte die Metropole noch eine essenzielle Bedeutung für Chinas Wirtschaft, man wäre zweifellos vorsichtiger.
Wer die chinesische Mentalität ein bisschen versteht, begreift die Zusammenhänge: Am Ende allen Handelns geht es stets darum, Nutzen zu ziehen. Zeit ist dabei kein maßgeblicher Faktor - in China wird in Dynastien gedacht. Ein 50 Jahre währender Sonderstatus ist ein überschaubarer Zeitraum. Am Ende geht es darum, dass Hongkong integraler Bestandteil Chinas sein wird. Es dürfte aller Voraussicht nach so kommen. Nicht zuletzt auch, weil Asiens und Europas Jugend eines gemeinsam hat - sie ist hochgradig unpolitisch.
Wandel von der Industrie-
in eine Wissensgesellschaft
Dann aber wird sich auch China geändert haben. Das Stadium der Werkbank dieser Welt hat es bereits hinter sich gelassen, die Produktionsaktivitäten sind in andere Teile der Welt weitergewandert. Peking hat sich auf diesen Wandel sehr umsichtig eingestellt, auch in dem Bewusstsein, dass die Entwicklung als Wirtschaftsstandort noch immer 20 bis 30 Jahre hinter der des Westens zurückliegt. Hier wandelt sich unsere Industrie- gerade in eine Wissensgesellschaft. Das ist auch das Fernziel Chinas.Zum einen wird es angestrebt, indem man sich verstärkt Zugang zu westlichem Know-how sichert, nicht zuletzt durch Akquisitionen, die unlängst den deutschen Wirtschaftsminister auf den Plan riefen. Zum anderen wird im eigenen Land massiv investiert, unter anderem in die erheblichen Umweltprobleme, welche die sehr energieintensive chinesische Industrie verursacht. Dass angesichts dieser massiven Umwälzungen die Wachstumsraten sinken, sollte niemanden ernsthaft beunruhigen. Peking schafft enormes Potenzial für das Land. Hongkong ist dabei nicht mehr das, was man gemeinhin systemrelevant nennt. Anders gesagt: Es spielt nur noch eine Nebenrolle.
Kurzvita
Thomas Welte
Partner und Sprecher der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Autaco
Diplom-Finanzwirt Welte fing nach dem Studium beim Finanzministerium Baden-Württemberg an. Nach 1990 folgten verschiedene Stationen in Unternehmen wie KPMG oder der Taurus Holding. 2005 gründete Welte die Autaco in München. Er konzen- triert sich auf die Beratung und Begleitung von großen und mittelständischen Unternehmen.
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