Euro am Sonntag-Interview

Jungheinrich-Chef: "Es war wie in einer Geisterbahn"

11.07.16 11:30 Uhr

Jungheinrich-Chef: "Es war wie in einer Geisterbahn" | finanzen.net

Hans-Georg Frey, Vorstandschef des drittgrößten Gabelstaplerherstellers der Welt, glaubt an ein Leben nach dem Brexit - und will ohne großen Partner wachsen.

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von Oliver Ristau, Euro am Sonntag

Hans-Georg Frey ist ein echter Schwabe. Das wird deutlich, wenn der 59-jährige Vor­standschef des Stapler- und Logistikkonzerns Jungheinrich das Wort ergreift. Nicht nur wegen der sprachlichen Färbung, sondern vor allem aufgrund des Vokabulars. Worte wie anständig, sauber und vernünftig kommen ihm häufig über die Lippen. Und auch wenn es ums Geld der Firma geht, etwa beim Thema Akquisitionen, kommt die sprichwörtliche Sparsamkeit zum Ausdruck. Und so ist Jungheinrich laut Frey ein "hanseatisch-schwäbisches Familienunternehmen". Mit 15.000 Mitarbeitern und einem Konzern­umsatz von 2,75 Milliarden Euro ist der Hamburger Konzern die Nummer 3 der globalen Gabelstaplerwelt.

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€uro am Sonntag: Herr Frey, in ­Europa ist die Aufregung über den Brexit groß. Auch bei Ihnen in der ­Konzernzentrale in Hamburg?
Hans-Georg Frey:
Europas Bedeutung im Konzert der globalen Akteure wird durch den Austritt Großbritanniens aus der EU deutlich geschwächt. Die EU wird aber zum einen auch ohne Großbritannien eine entscheidende Kraft bleiben, zum anderen ist das Land erst mal weiterhin Mitglied der EU und an die entsprechenden Verträge gebunden. Es gibt eine bestehende Rechtslage, die bis auf Weiteres gilt.

Wie viel Vereinigtes Königreich steckt im Umsatz des Jungheinrich-Konzerns?
Großbritannien ist zweifelsohne ein wichtiger Markt für uns. Wir haben dort im vergangenen Jahr 240 Millionen Euro umgesetzt. Das währungsrelevante Exposure liegt aber nur bei der Hälfte des Umsatzes.
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Das sind aber ja immerhin neun Prozent Umsatzanteil aus Großbritannien. ­Müssen Sie Ihre Prognose revidieren?
Wir werden unsere Ziele in diesem Jahr erreichen. Auch vor dem Hintergrund des Brexits erwarten wir unverändert einen Umsatz von 2,9 bis 3,0 Milliarden Euro und ein Ebit von 220 bis 230 Millionen Euro. Im laufenden Jahr werden wir den Währungsabschlag nicht spüren, weil wir uns dagegen im Vorfeld abgesichert haben. Das nächste Jahr muss man abwarten, ich erwarte aber keinen größeren Einbruch der Nachfrage.

Europa ist mit knapp 90 Prozent Umsatz­anteil Ihre Kernregion. Befürchten Sie negative Auswirkungen auf Ihr ­Geschäft, wenn das Beispiel Brexit Schule macht und auch andere Staaten die EU verlassen wollen?
Das sehe ich nicht. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder verschiedene Krisen erlebt. Es war wie in einer Geisterbahn, wo an jeder Kurve eine neue Herausforderung erschien - Griechenland, Ukraine, Terroranschläge, der Krieg in Syrien und die sogenannte Flüchtlingskrise sowie jetzt aktuell der Brexit. Das sind alles Faktoren, die jeweils berechtigte Sorge vor einer möglichen Destabilisierung Europas verbreitet haben. Aber wirtschaftlich gesehen hat sich Europa dennoch ganz vernünftig entwickelt. Das Wirtschaftswachstum ist zwar nicht berauschend, bleibt aber stabil. Es gibt Länder wie Spanien, die sich sehr gut erholen. Ich sehe daher für die EU kein großes Risiko.
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Sie sind dennoch sehr stark vom ­europäischen Markt abhängig.
Sicher sind 89 Prozent am Gesamtumsatz viel. Doch obwohl es in den letzten Jahren immer geheißen hat, wie schauderhaft Europa sei, hat sich Jungheinrich sehr ordentlich entwickeln können. Wir erwarten das auch in Zukunft. Der Anteil des außereuropäischen Geschäfts am Gesamtumsatz wächst aber kontinuierlich.

Woher kommt denn diese solide Entwicklung trotz der häufig schwierigen wirtschaftlichen Lage in Europa?
Wir können uns natürlich nicht vom Markt abkoppeln. Der hat sich zwar nach der Krise 2009 - als die Nachfrage nach Gabelstaplern um die Hälfte eingebrochen ist - kontinuierlich erholt, lag aber Ende 2015 noch immer unter dem Höchststand vor Ausbruch der Finanzkrise. Aber nehmen Sie zum Beispiel das Thema Energie und Effizienz. Dafür geben wir die weitreichendsten Garantien unserer Branche. Wir garantieren bei über 85 Prozent unserer Elektrofahrzeuge, dass mit einer Batterieladung zwei Schichten durchgearbeitet werden - das ist einzigartig auf dem Markt und ein klarer Wettbewerbsvorteil. Zudem sind wir frühzeitig ins Logistik­systemgeschäft eingestiegen und haben diesen Trend ins Geschäftsmodell aufgenommen. Heute macht dieses schon ein Viertel des Umsatzes im Neugeschäft aus. Dabei geht es um die Planung, Projektierung, Realisierung sowie den Service kompletter Lager und Abläufe. Wir stellen alles aus einer Hand. Das findet immer mehr Zuspruch bei Kunden.

Und was ist mit der Digitalisierung der Logistik? Stichwort Industrie 4.0.
Die Logistikbranche ist bei der Vernetzung und Digitalisierung - wir nennen das Intralogistik 4.0. - anderen Indus­trien weit voraus. Jungheinrich ist hier einer der Branchenführer und Innovationstreiber. Wir haben uns gelegentlich gewundert, dass die Kunden nicht schon viel früher auf den Zug bezüglich automatisierter Stapler aufgesprungen sind. Das ändert sich aber gerade. Seit diesem Jahr stellen wir auch ein starkes Interesse der Wettbewerber an diesem Trend fest. Um die Digitalisierung anzuführen, haben wir zum Beispiel schon vor Jahren eine Softwarefirma akquiriert.

Das Wissen könnten Sie auch als Dienstleistung etwa von SAP ein­kaufen. Warum die Übernahme?
Natürlich bewegen wir uns da in einem Technologiefeld, in dem auch große Softwarehäuser zu Hause sind. Aber wir glauben, dass wir von Logistiksystemen eine ganze Menge verstehen und stärken unsere Wertschöpfung, wenn wir die Software - das Gehirn des Lagers -als eigene Lösung anbieten.

Aber bedroht die Automatisierung nicht den Geräteabsatz? In einem ­effizienten Lager werden weniger Geräte benötigt.
Die Vollautomatisierung der Logistik kann Auswirkungen auf den Verkauf manueller Fahrzeuge haben. Doch das geht vor allem zulasten von Wettbewerbern, die noch nicht im Thema sind. Außerdem könnte die zunehmende Vernetzung sogar den gegenteiligen Effekt haben. Die Stückzahlen könnten noch weiter angetrieben werden, weil der Onlinehandel eine Vervielfachung der Warenströme nach sich zieht, der viel mehr Transportprozesse auslöst. Automatisierte Stapler und selbstfahrende Fahrzeuge werden als Bestandteile größerer Lösungen zunehmend gefragt.

Der Wettbewerb ist mittlerweile auch in diesem Geschäft präsent. Zuletzt hat Ihr größter Konkurrent Kion einen US-Logistiksystemanbieter über­nommen und ist damit auch im größten Staplermarkt der Welt präsent ...
… und hat dafür Milliarden bezahlt. Das würden wir nie machen. Die USA haben bei Staplern einen Weltmarktanteil von stabilen 20 Prozent. Wir gehen dort einen anderen Weg und unterhalten seit einigen Jahren eine Vertriebspartnerschaft mit Mitsubishi Caterpillar und ein Entwicklungszentrum für elektrische Stapler in Houston. Unser Partner baut die Fahrzeuge für den US-Markt unter Lizenz. Dadurch haben wir weiterhin die technische Hoheit und der Partner die Markthoheit. Allein im letzten Jahr haben wir den US-Umsatz so um über 40 Prozent auf mehr als 60 Millionen Euro gesteigert - und kommen auf einen Marktanteil von fünf Prozent.

Und in Asien machen Sie das auch so?
Wir haben eine Direktvertriebsgesellschaft in China, mit der wir mittlerweile 100 Millionen Euro umsetzen. Für uns ist das viel. Zudem haben wir kürzlich ein Joint Venture mit Anhui Heli gegründet. Dies ist der größte Hersteller von Staplern mit Verbrennungsmotoren in China, wir haben die Expertise für Elektrofahrzeuge - das ergänzt sich.

Und wie geht es in China weiter?
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe ich nicht, dass wir in China andere Verbindungen in ähnlich großem Stil eingehen werden. Es geht eher darum, auf dem chinesischen Markt Komponenten und Systeme einzukaufen.

Aber große Wachstumssprünge sind so nicht drin. Wären Sie auch offen für einen chinesischen Aktionär, so wie das gerade im Fall des Roboter­herstellers Kuka geschieht, dem damit der Marktzugang nach China im großen Stil gelingen kann?
Die Familiengesellschafter Wolf und Lange halten sämtliche Stammaktien der Jungheinrich AG und damit die Stimmrechte je zur Hälfte. Daran wollen die Familien nichts ändern, ein Verkauf von Anteilen steht nicht zur Diskussion. Das unterstütze ich voll und ganz. Es wäre meines Erachtens ein Fehler, diese Balance durch Aufnahme eines Dritten zu stören. Ich bin sehr froh über diese Struktur. Wir können kontinuierlich unser Geschäft betreiben und unser Unternehmen weiterentwickeln.

Das kann ein Wettbewerber wie Kion doch auch.
Wir unterscheiden uns vom Wettbewerb nicht nur in der Beschaffenheit und Haltung als Familienunternehmen. Wir sind mit Jungheinrich ein Einmarken-Unternehmen mit stark integrierter Struktur. Wir müssen nur eine Marke bespielen und verkaufen dazu über 90 Prozent unserer Geräte über den eigenen Direktvertrieb. Über Leasing setzen wir über 40 Prozent aller neuen Stapler ab. Wir übernehmen für diese Fahrzeuge den Rundumservice, und wenn sie zu uns zurückkommen, bereiten wir sie in unserem Gebrauchtgerätezen­trum in Dresden für den Wiederverkauf wieder auf. Gemeinsam mit unseren regelmäßig getauschten Mietfahrzeugen kontrollieren wir so 50 Prozent unseres Gebrauchtfahrzeuggeschäftes. Dieses integrierte Geschäftsmodell verfolgt so kein Zweiter in der Branche.

Ein Partner brächte aber Geld für weiteres Wachstum mit. Sie haben zwar eine gesunde Bilanz, aber Ihre liquiden Mittel - Ihre Kriegskasse - sind überschaubar. Wie wollen Sie dann wachsen?
Unser Ziel ist es, organisch zu wachsen. Es gibt zwei Ausnahmen für uns: Zum einen, wenn sich eine zu unserem Produktportfolio passende Technologie anbietet, die wir zu vernünftigen Preisen erwerben können. Zum anderen, wenn sich die Gelegenheit für einen direkten Zugang zu einem entscheidenden Markt eröffnet, wie zuletzt beim Erwerb un­serer Händler in Australien, Malaysia, Rumänien oder Chile. Dafür reichen unsere finanziellen Mittel bequem.

Größere Übernahmen sind im deutschen Maschinenbau aber offenbar ­gerade beliebt, wie die Beispiele Kion und Kuka zeigen. Haben Sie keine Angst, den Anschluss zu verlieren?
Für uns gilt: Wir machen keine Mega-­Merger. Milliardenakquisitionen kommen für uns nicht infrage. Es gibt verschiedene Studien, die unsere Sicht und Einstellung eindeutig bestätigen. In den meisten Fällen vernichten diese Deals nur Werte. Da macht zwar irgend­jemand richtig Kasse, aber für das Unternehmen und die Mitarbeiter ergeben sich wenige Vorteile. Wir wollen Jungheinrich, wie sich das für ein Familienunternehmen gehört, solide nach vorne entwickeln.

Und wie beschaffen Sie sich dafür das nötige Kapital?
Das haben wir. So haben wir im letzten Jahr 130 Millionen Euro an Nettoinvestitionen in unsere Mietflotte und alle unsere ganzen Akquisitionen mit über 100 Millionen Euro aus eigener Kraft gestemmt und dafür keine Bank in Anspruch genommen.

Deshalb sind Ihre Finanzmittel ja ­zurückgegangen.
Schauen Sie sich die Bilanz genau an: Ohne die Finanzdienstleistungen, die für uns ein durchlaufender Posten sind, hat der Jungheinrich-Konzern keine Nettoverschuldung. Wir haben eine Eigenkapitalquote im Kerngeschäft Intralogistik von 48 Prozent. Inklusive der Finanzdienstleistungen sind es auch noch 31 Prozent. Wir wollen nicht bei 20 Prozent rumdümpeln, denn wenn eine Krise kommt, kann eine solch geringe Quote gleich zum Problem werden.

Seit Jahren entwickelt sich die Jungheinrich-Aktie besser als DAX und MDAX. Wie wollen Sie an diese ­Erfolge anknüpfen?
Es gibt für mich kein übergeordnetes Ziel, den Aktienkurs irgendwohin zu trimmen. Meine Aufgabe ist es, die Firma Jungheinrich strategisch nachhaltig auszurichten und dementsprechend zu führen. Wenn das gelingt, dann läuft die Kursentwicklung automatisch mit.

zur Person:

Karriere mit Maschinen

Der studierte Jurist begann seine Laufbahn bei der Spindelfabrik Süßen, einem führenden Textilmaschinenhersteller aus der Nähe von Göppingen. Vor 15 Jahren wurde er Vertriebsgeschäftsführer im Liebherr- Werk in Ehingen. 2007 folgte dann der Sprung auf den Chefsessel von Jungheinrich in Hamburg. In der Hansestadt fühlt sich der gebürtige Stuttgarter "längst zu Hause".

Besser als der Konkurrent

Während der vergangenen zwölf Monate entwickelten sich die Papiere von Jungheinrich etwas besser als die des Konkurrenten Kion. Gemessen an den 2,75 Milliarden Euro Umsatz für 2015 ist Jungheinrich etwa halb so groß wie Kion. Grundsätzlich verlaufen die Kurse der beiden Aktien in gleichen Mustern. Die Jungheinrich- Aktie ist ein langfristig aussichtsreiches Investment.

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Bildquellen: Tobias Oechler/Jungheinrich AG

Nachrichten zu Jungheinrich AG

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Analysen zu Jungheinrich AG

DatumRatingAnalyst
12.12.2024Jungheinrich BuyWarburg Research
04.12.2024Jungheinrich BuyJoh. Berenberg, Gossler & Co. KG (Berenberg Bank)
29.11.2024Jungheinrich NeutralMerrill Lynch & Co., Inc.
19.11.2024Jungheinrich BuyWarburg Research
14.11.2024Jungheinrich BuyHauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG
DatumRatingAnalyst
12.12.2024Jungheinrich BuyWarburg Research
04.12.2024Jungheinrich BuyJoh. Berenberg, Gossler & Co. KG (Berenberg Bank)
19.11.2024Jungheinrich BuyWarburg Research
14.11.2024Jungheinrich BuyHauck Aufhäuser Lampe Privatbank AG
14.11.2024Jungheinrich BuyJoh. Berenberg, Gossler & Co. KG (Berenberg Bank)
DatumRatingAnalyst
29.11.2024Jungheinrich NeutralMerrill Lynch & Co., Inc.
05.04.2022Jungheinrich HoldHauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA
01.04.2022Jungheinrich NeutralCitigroup Corp.
17.01.2022Jungheinrich Equal-weightMorgan Stanley
23.12.2021Jungheinrich HoldHauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA
DatumRatingAnalyst
30.11.2020Jungheinrich VerkaufenNorddeutsche Landesbank (Nord/LB)
22.10.2020Jungheinrich ReduceBaader Bank
11.08.2020Jungheinrich ReduceBaader Bank
03.08.2020Jungheinrich ReduceBaader Bank
23.07.2020Jungheinrich ReduceBaader Bank

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