Euro-am-Sonntag-Interview

Glücksforscher Oswald: Macht Geld glücklich, Herr Professor?

04.11.11 06:00 Uhr

Der Ökonom Andrew Oswald gehört zu den führenden Glücksforschern weltweit. Ein Gespräch über Glück - und was Glück mit der Wirtschaftskraft zu tun hat.

von Thomas Schmidtutz, €uro am Sonntag

€uro am Sonntag: Herr Professor Oswald, wären Sie bereit für einen kleinen empirischen Test?
Andrew Oswald:
Ja, natürlich.

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Würden Sie sich selbst als sehr glücklich, glücklich oder nicht so glücklich bezeichnen?
Sehr glücklich (lacht). Ich bin in einer sehr guten Phase meines Lebens.

Sie sind 57 Jahre. Damit passen Sie ziemlich genau in das Schema Ihrer eigenen Studien und der anderer Wissenschaftler. Danach hat die Einschätzung des persönlichen Glücks im Leben der meisten Menschen einen u-förmigen Verlauf. Die höchsten Werte liegen in der Phase zwischen 20 und 30 Jahren und wieder ab circa 60. Da liegen also noch einige gute Jahre vor Ihnen?
Ich freue mich auch darauf. Wenn ich gesund bleibe, könnte das die glücklichste Zeit in meinem Leben werden. Das Tief liegt in der Phase um die 40 Jahre. Und die liegt ja nun hinter mir.

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Die Midlife-Crisis ist bei Ihnen schon durch?
Wahrscheinlich schon. Wobei viele gar nicht daran denken und ihren Weg weitergehen. Wenn ich zurückschaue, habe ich früher versucht, Karriere zu machen und erfolgreich zu sein, Geld zu verdienen, befördert zu werden. Wir sind wohl alle so. Aber jetzt fühle ich mich entspannter. Wenn man Ende 50 ist, wird man nachsichtiger mit sich selbst und vergibt sich sogar, dass man es nicht zum Kapitän der englischen Fußball-Nationalmannschaft gebracht hat.

Es besteht also auch für mich noch Hoffnung?
Statistisch gesehen durchaus (lacht). Wie alt sind Sie denn?
44.
Dann sind Sie am unteren Ende der Kurve.

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Das beruhigt mich, danke. In Ihrem akademischen Leben haben Sie sich sehr ausführlich mit der Rolle der Gewerkschaften befasst und auch mit der Frage, was Menschen glücklich macht. Was ist es?
Es gibt eine Reihe von Faktoren: Gesundheit, Alter, eine Beziehung, ob das eine Ehe ist oder eine vergleichbare Partnerschaft, Geld und ein fester Job. Das ist ein zentraler Punkt.

Nämlich?
Anfang der 90er-Jahre habe ich mich im Rahmen meiner Forschungsarbeit zu den Arbeitsmärkten auch der Frage gewidmet, welche Auswirkungen Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen hat. Es gab eine sehr traditionelle Ansicht, vor allem unter US-Ökonomen, dass Arbeitslose ihr Schicksal selbst gewählt haben, weil sie Freizeit der Arbeit vorziehen. Das wollte ich überprüfen. Eine Möglichkeit bestand darin, die mentale Gesundheit von Arbeitslosen und Menschen, die eine Arbeit haben, zu vergleichen. Ich habe dann schnell festgestellt, dass es umfangreiche medizinische Fachliteratur zu dem Thema gab, von deren Existenz die Ökonomen nichts wussten. Das Ergebnis war jedenfalls, dass Arbeitslose unglaublich unglücklich waren. Es ist also einfach dumm zu behaupten, Arbeitslose würden ihre Arbeitslosigkeit selbst wählen.

Beim Streben nach Glück ist Geld traditionell eine sehr starke Trieb­feder. Kann man Glück kaufen?
Andere Faktoren wie Gesundheit, eine funktionierende Beziehung oder ein Job stiften mehr Glück. Aber ja: Geld bringt Glück und reiche Leute sind im Durchschnitt zufriedener.

Wie wirkt sich das konkret aus?
Wir haben eine umfangreiche Untersuchung auf der Basis der Daten von 100.000 Briten durchgeführt. Dabei haben wir die Werte für Herzfrequenz und Blutdruck ausgewertet und sie in Verbindung gebracht mit dem jeweiligen Vermögen. Das faszinierende Ergebnis war, dass für umgerechnet jeweils 50.000 Euro zusätzliches Jahreseinkommen der Puls im Schnitt um einen Schlag pro Minute langsamer schlägt.

Und das liegt nicht daran, dass sie sich gesünder ernähren oder mehr Sport machen?
Nein, wir haben das bereinigt. Es gibt also eine Verbindung zwischen Geld und der Herzfrequenz. Eine nahe liegende Erklärung dafür könnte sein, dass Menschen mit Geld sich nicht ständig Sorgen um ihre Existenz machen.

Also müssten Warren Buffett oder Bill Gates ziemlich entspannte Typen sein?
Ich weiß natürlich nicht, welche Herzfrequenz Warren Buffett oder Bill Gates haben. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn ihre Herzfrequenz im Vergleich zur Gesamtbevölkerung jeweils relativ niedrig läge.

Im Herbst 1993 hatten Sie in London eine Konferenz zum Thema Glücksökonomie organisiert und mit 100 Teilnehmern gerechnet. Gekommen sind am Ende acht. Im Rückblick klingt das lustig, aber damals muss es ziemlich spaßfrei gewesen sein. Wie frustriert waren Sie?
Oh ja, es war wirklich peinlich. Wir hatten zwei bekannte Professoren aus den USA eingeladen, einer davon war der spätere Nobelpreisträger Daniel Kahneman von der Uni Princeton.

Die waren aber nicht sauer?
Nein, jedenfalls haben sie es mir nicht gesagt (schmunzelt).

Aber damals war die Erforschung der Ökonomie des Glücks nicht gerade ein Mainstream-Thema in den Wirtschaftswissenschaften. Hat sich das seither geändert?
Ich denke schon. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler sind immer noch dagegen. Aber die Glücksökonomie ist inzwischen eine anerkannte Forschungsrichtung. Wir hatten erst vor ein paar Tagen hier am Institut einen Workshop mit 50 Wissenschaftlern aus der ganzen Welt. Davor war ich in Maastricht auf einem großen Kongress gemeinsam mit Epidemiologen, Psychologen und Statistikern.

Die Glücksökonomie geht auf den US-Wirtschaftswissenschaftler Richard Easterlin zurück. Er hat 1974 in einer Untersuchung in den USA herausgefunden, dass das Ausmaß der Zufriedenheit von US-Bürgern in einer Zufallsstichprobe über lan­­ge Jahre nicht gestiegen oder gesunken ist, obwohl die US-Wirtschaft im selben Zeitraum über viele Jahre kräftig gewachsen ist. Dabei hätte man steigende Glückswerte erwartet. Dieses Ergebnis ist inzwischen als Easterlin-Paradox bekannt. Wie erklären Sie dieses Paradox?
Reiche Länder sind im Schnitt glücklicher als arme Länder. Das ist nicht überraschend. Aber der Punkt ist, dass dort trotz wachsenden Wohlstands das Wohlbefinden der Bevölkerung nicht wächst. Eine weitverbreitete Erklärung dafür ist, dass Menschen sich ständig mit ihrer Umwelt, etwa mit ihren Nachbarn vergleichen. Unglücklicherweise werden die auch wohlhabender. Die Flut hebt ja alle Boote. Wenn mit dem Wirtschaftswachstum aber alle reicher werden, haben wir einen neutralisierenden Effekt. Eine zweite Theorie ist, dass wir uns an mehr Geld und die Vorteile daraus gewöhnen.

Das Easterlin-Paradox ließe sich auch wie eine Bestätigung für die Politik der Grünen lesen?
Ja. Ich glaube, die grüne Bewegung weltweit ahnt derzeit gar nicht, wie bedeutend die gesamte Forschung und Literatur zur Ökonomie des Glücks für sie eigentlich ist.

Haben Sie mit Grünen-Politikern ­darüber gesprochen?
Nein. Die Forschung ist relativ jung und hat auch nicht mit rein grünen Themen begonnen. Zuletzt sind aber viele Studien erschienen, etwa zur Frage, wie die Luftqualität das Wohlbefinden der Menschen beeinflusst. Die Ergebnisse sind hoch interessant. Wenn Sie reicher werden und ich, werden wir beide nicht glücklicher. Aber wenn die Luft sauberer wird, werden Sie glücklicher und ich auch.

Nun gilt das Bruttoinlandsprodukt als einer der wichtigsten Indikatoren in einer Volkswirtschaft. Wenn es aber keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Glücks in der Bevölkerung und dem wachsenden Wohlstand gibt: Was bedeutet das für das BIP? Ist das Bruttoinlandsprodukt ein Auslaufmodell?
Ich glaube, das Wort Auslaufmodell trifft es sehr gut. Das BIP hat uns bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts sicher sehr gut gedient. Aber heute? Wie viele Menschen in Großbritannien oder Deutschland haben zu wenig zu essen? Heute geht es für den Durchschnittsbürger doch eher um die Frage: Können wir uns einen Kaschmirpullover leisten oder doch nur einen aus Wolle? Natürlich gibt es noch arme Menschen. Aber die Lage ist ganz anders als vor 100 Jahren als es noch kein Trinkwasser aus Leitungen gab und die Leute auf die Toilette im Garten mussten.

Wie lange wird das BIP denn noch der zentrale Indikator für eine Volkswirtschaft sein?
Noch eine ganze Weile. Es gibt in vielen Ländern Überlegungen, wie ein alternativer Indikator aussehen könnte. Aber wir stehen da noch am Anfang. Ich fürchte, ich werde zu Grabe getragen, und im Fernsehen wird noch immer regelmäßig über die BIP-Wachstumsrate des jeweiligen Monats berichtet. Aber vielleicht sind wir dann so weit, dass im TV auch über den nationalen Wohlfühlindex gesprochen wird.

Wie könnte der denn aussehen?
Die britische Regierung hat eine Studie in Auftrag gegeben. Eine vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy eingesetzte Kommission um den Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz hat sich bereits mit dem Thema beschäftigt. Und auch in Deutschland gibt es dazu eine Enquete-Kommission. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in fünf bis zehn Jahren einen Index haben könnten. In seine Berechnung könnte beispielsweise das tra­ditionelle BIP eingehen, vielleicht zu einem Drittel, und dann andere Werte, etwa zu Zufriedenheit, Gesundheit oder der mentalen Gesundheit der Menschen.

Viele Politiker glauben ja, dass sie Menschen glücklicher machen können, indem sie für Wachstum sorgen. Was ergibt sich aus der Glücksökonomie für die Entscheidungen der Politik? Langfristig dürften Politiker sich von der Ausrichtung auf reines Wirtschaftswachstum verabschieden und stärker auf andere Faktoren achten wie die Umwelt, wenn sie zu einer größeren Quelle des Glücks wird.
Wir werden also durchaus eine Veränderung der Zielrichtung der Politik sehen.

Die Glücksökonomie wird also ­­ eines Tages ganze Länder glück­licher ­machen?
Ich glaube schon. Ich beobachte zum Beispiel in Großbritannien ein großes Interesse an unserer Forschung. Der Grund dafür könnte sein, dass viele Politiker glauben: Wenn ich weiß, wie ich die Menschen glücklicher mache, wählen sie mich wieder. Es gibt sehr gute demokratische Mechanismen, die Politiker darauf ausrichten. Sie haben ein gutes Verständnis dafür, worauf es ankommt. Politiker sind da deutlich weiter als wir Ökonomen.

zur Person:

Andrew J. Oswald,
Ökonom und Glücksforscher

Der Wirtschaftsprofessor (57) von der Uni Warwick in England hat sich in seiner Forschungsarbeit auf Arbeitsmärkte, Gesundheit und Wohlstand konzentriert. Oswald, der an der Uni Oxford promovierte, gehört zu den am meisten zitierten Wirtschafts­wissenschaftlern weltweit. Derzeit ist der Brite Forschungsdirektor am renommierten Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).