Euro am Sonntag-Interview

Aurubis-Chef Harings: "Stabile Nachfrage für alle Metalle"

23.01.22 09:44 Uhr

Aurubis-Chef Harings: "Stabile Nachfrage für alle Metalle" | finanzen.net

Roland Harings: Der Chef des Kupferproduzenten Aurubis über den Nutzen steigender Rohstoffpreise für das Recycling, den wachsenden Bedarf an Metallen und die Expansionsziele des Hamburger Unternehmens.

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von Oliver Ristau, Euro am Sonntag

Auch im Winter und in Corona-Zeiten brummt die Kupferhütte der Aurubis einen Steinwurf von den Elbbrücken und kaum 25 Minuten vom Hamburger Rathaus und dem Jungfernstieg entfernt. Wer vor dem Haupteingang des altehrwürdigen Industriekomplexes parkt, muss beim Überqueren der Straße auf die Lkw achten, die mit ordentlichem Tempo vorbeijagen. Das ist €uro am Sonntag geglückt, ebenso wie einen Termin zum Gespräch mit CEO Roland Harings zu erwischen. Offen und hemdsärmelig berichtet der Aurubis-Chef in seinem Büro über die Zukunftsaussichten von Europas größtem Kupferproduzenten.

Euro am Sonntag: Aurubis erzielte im Geschäftsjahr 2020/21, das am 30. September zu Ende ging, ein Rekordergebnis. Was waren die entscheidenden Gründe?

Roland Harings: Ein wichtiger Faktor war, dass wir die Synergien aus der Akquisition des belgisch-spanischen Recyclingspezialisten Metallo statt 2022/23 schon im vorigen Jahr realisieren konnten, sogar mit deutlich mehr als den ursprünglich erwarteten 15 Millionen Euro. Die Integration hat schneller und besser funktioniert, als wir gedacht haben. Sie führt zu einer Optimierung unseres gesamten Hüttennetzwerks. Zudem hat unser Kostensenkungsprogramm einen Ergebnisbeitrag von 80 Millionen Euro geleistet.

Sie profitieren aber auch von den hohen Rohstoffpreisen.

Natürlich befinden wir uns in einem sehr günstigen Marktumfeld. Das betrifft zum einen die Verfügbarkeit von Rohstoffen, also Primärmaterialien wie Erzen sowie Recyclingmaterialien. Letztere konnten wir zudem zu sehr attraktiven Konditionen einkaufen. So haben wir unser Hüttennetzwerk optimal auslasten können unter Einsatz eines sehr guten Produktmix. Zum anderen profitieren wir von Rohstoffpreisen, wenn wir sie wie bei Gold und Silber, das wir aus unseren Erzen und dem Recycling holen, zu steigenden Weltmarktpreisen verkaufen können.

Was ist das Erfolgsgeheimnis bei Metallo?

Als die Bücher offenlagen, haben wir sehr schnell gesehen, wie gut es passt, wo welche Prozesse und welcher Rohstoffeinsatz am meisten Sinn machen. Wir ergänzen uns sehr gut. Die frühere Metallo - die heute ebenfalls Aurubis heißt - ist spezialisiert auf die Verarbeitung von sehr komplexen Recyclingmaterialien, die viele Metalle beinhalten, aber in niedriger Konzentration. Außerdem erweitern wir unsere Metallpalette. Mit Metallo ergänzt Zinn, Nickel und Zink unser Portfolio. Das sind wichtige Industriemetalle, deren Weltmarktpreise stark gestiegen sind.

Wie ist Ihre Marktposition im Recycling?

Wir haben im Vorjahr gemeinsam erstmals mehr als eine Million Tonnen Material verarbeitet. Wir sind damit der größte Recycler in Europa.

Bei Europa bleibt es aber nicht, oder?

Wir bauen im County Richmond im US-Bundesstaat Georgia für 300 Millionen Euro ein großes Werk, das ab 2024 produzieren wird. Für uns ist das ein Neubeginn, aber auch für die USA. Denn wir sind der Erste, der in den USA ins Multimetallrecycling einsteigt und der das überhaupt kann. Bisher geht der Großteil der Materialien in den Export oder sogar auf die Deponie. Der US-Markt hat ein Volumen von sechs Millionen Tonnen Recyclingmaterial. Das ist sehr attraktiv, zumal einzelne Staaten bereits neue Richtlinien und strengere Regeln etabliert haben, die das Recycling verpflichtend machen. Für die USA ist das auch eine strategische Frage zur Rohstoffsicherung der Volkswirtschaft.

Welche Recyclingmaterialien setzt Aurubis bisher ein?

Das ist eine sehr breite Palette: Produktionsreste und Ausschuss der Metallindustrie, ausrangierte Produkte wie alte Dachrinnen, Kabel, aber auch Aschereste aus der Müllverbrennung - diese enthalten zwar wenig Metalle, Aurubis hat jedoch das Know-how, diese zurückzugewinnen

Wie kommen Sie daran?

Wir arbeiten mit einer großen Anzahl von Lieferanten zusammen, die uns die Rohstoffe in einer aufbereiteten, sortierten Form liefern.

Sie legen aber auch selbst Hand an, zum Beispiel beim Batterie-Recycling.

Tatsächlich bauen wir hier in Hamburg eine Pilotanlage zum Recycling von Lithium-Ionen-Batterien. Mit dem Boom der E-Mobilität und der wachsenden Zahl von Akkus aus Privathaushalten kommt einiges an Altbatterien auf den Markt. Lithium-Ionen-Batterien sind reich an Rohstoffen. Sie enthalten Nickel, Kobalt, Lithium, Grafit, Kupfer und Aluminium. Wir haben dafür einen eigenen Prozess entwickelt, der sehr hohe Recyclingraten für alle Inhaltsstoffe liefert.

Elektro-Recycling hat sich bisher kaum ökonomisch gelohnt. Wieso jetzt?

Kreislaufwirtschaft ist eine Riesendiskussion. Es gibt immer mehr Elektronikgeräte, die recycelt werden müssen. Wertvolle Rohstoffe auf die Deponie zu fahren, macht keinen Sinn. Auch der Export ist keine wünschenswerte Lösung. Wir müssen alle Rohstoffe im Kreislauf führen und erwarten, dass die EU entsprechende Regularien auf den Weg bringt.

Wie könnte das aussehen?

Es braucht einen anderen Ansatz. In der Schweiz etwa muss derjenige, der Waren in den Verkehr bringt, eine Art Recyclinggebühr verlangen, die er in einen nationalen Recyclingtopf abführt, aus dem die Aufbereitung bezahlt wird. Außerdem müssten Produkte recyclingfreundlich designt werden. Bisher gibt es dafür keinen Anreiz. Das führt aber dazu, dass es immer schwieriger wird, Produkte zu separieren. Mobiltelefone zum Beispiel enthalten viele Kunststoffe und Glas, aber wenig wertvolle Metalle. Diese dort herauszuholen, ist sehr aufwendig.

Auf wie viele Metalle setzen Sie?

Wir arbeiten mittlerweile mit 20 verschiedenen Metallen. Wir haben die Technologien, um diese aufzubereiten. Unsere Prozesse sind sehr effizient und wir entwickeln sie weiter. Es geht jetzt vor allem darum, neue Kapazitäten zu schaffen, um die vorhandenen Materialien auch recyceln zu können, so wie wir es in den USA machen.

Recycling ist Kern Ihrer neuen Strategie. Welchen Anteil soll das Altmetall bei Ihnen erreichen?

Unsere Recyclingquote beim Kupfer liegt aktuell bei rund 45 Prozent. Bis 2030 wollen wir bei 50 Prozent sein.

Und über alles?

Wir entwickeln gerade eine Gesamtrecycling-Rate, aber die Metalle sind sehr unterschiedlich. Manche gewinnen wir ausschließlich über Recycling wie zukünftig etwa Lithium. Auch bei Zinn kommen 90 Prozent aus der Aufbereitung, vor allem von Elektroschrott, in dem sich viel Lötzinn befindet. Wir holen damit aktuell 10.000 Tonnen jährlich heraus. Grundsätzlich wollen wir das Recycling überall steigern, aber weil die Nachfrage so stark ist, werden wir über viele Jahrzehnte noch Primärmaterialien benötigen.

50 Prozent Ihrer benötigten Rohstoffe bleiben also mittelfristig Erze aus Bergwerken. An manchen Minen kommt es immer wieder wegen miserabler Arbeits- und Umweltbedingungen zu Streiks bis hin zu Menschenrechtsverletzungen. Wie schließen Sie aus, dass Ihre Metalle damit belastet sind?

Wir kaufen Kupferkonzentrate bei 30 bis 40 Minen weltweit ein. Dabei orientieren wir uns rigoros an den UN-Nachhaltigkeitsstandards und überprüfen unsere Lieferanten. Wir beenden im Zweifel auch Geschäftsbeziehungen. Dies haben wir in der Vergangenheit bereits gemacht. In Norwegen haben wir etwa von einer Geschäftsbeziehung abgesehen. Zudem wurde immer klarer, dass Teile der Bevölkerung die Mine definitiv nicht wollten. Das muss man akzeptieren. Es gibt im Übrigen eine Zertifizierung namens Copper Mark, ein Gütesiegel der Kupferbranche. Die gibt Sicherheit, dass wesentliche Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden. Damit bauen wir die gesamte Lieferkette auf.

Viele Rohstoffpreise bewegen sich nahe historischer Hochs. Erwarten Sie, dass sie wieder nachgeben?

Wir gehen kurz- bis mittelfristig nicht davon aus. Die Pläne zur Dekarbonisierung, für die Elektrifizierung weltweit, lassen die Nachfrage kontinuierlich steigen. Metalle werden gebraucht. Das sehen wir in unseren Auftragsbüchern. Viele Analysten und auch wir rechnen mit stabilen bis tendenziell steigenden Preisen.

Ihr Ausblick für das operative Vorsteuerergebnis 2021/22 liegt bei 320 bis 380 Millionen Euro. Das untere Ende wäre weniger als der Vorjahreswert von 353 Millionen Euro. Warum so pessimistisch?

Es gibt belastende Faktoren wie die hohen Energiepreise und die Inflation, die zu übermäßigen Lohn- und Kostensteigerungen führen könnten. Außerdem passte im Vorjahr alles bei einem sehr starken Marktumfeld. Wir sind eher konservativ und extrapolieren die Entwicklung des letzten Jahres nicht einfach linear in die Zukunft. Es kann ja auch mal wieder gedämpfter zugehen. Außerdem war zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung das Thema Chipmangel in der Automobilbranche - einer unserer wichtigen Kundengruppen - sehr relevant.

Wie läuft denn das aktuelle, also Ihr erstes Quartal?

Momentan sehen wir, dass der Bedarf nach wie vor sehr hoch ist. Trotz einer Schwäche in der Automobilproduktion beobachten wir eine sehr stabile Nachfrage für alle Metalle.

Wäre "sehr zufriedenstellend" für das erste Quartal zutreffend?

Ja. Es gibt eine hohe Verfügbarkeit von Kupferkonzentraten am Weltmarkt, denn ein Kupferpreis von 9.000 bis 10.000 Dollar ist ein hoher Anreiz, neue Minen zu entwickeln. Ich habe gerade mit den Betreibern neuer Minen gesprochen. Es kommen 100.000 Tonnen Kupfer neu an den Markt. Wir rechnen mit mehr als acht Prozent Zuwachs auf der Angebotsseite. Zugleich gibt es aufseiten der Hüttenkapazitäten speziell in China keine großen Ausbaupläne mehr.

Was bedeutet das für die Schmelzlöhne und Prämien, die Sie für die Kupferproduktion am Weltmarkt erhalten?

Es gibt einen Benchmark-Vertrag, der aktuell in der Verhandlung ist, zwischen einem großen Bergbaukonzern und einem chinesischen Hüttenbetrieb. Der legt die Schmelzlöhne (TC/RCs) für das kommende Jahr für die gesamte Industrie fest. Dem kann ich zwar nicht vorgreifen, aber es sieht laut einem Report von Morgan Stanley so aus, dass dieser Wert 2022 bei 65,3 Dollar pro Tonne bzw. 6,53 Cent pro Pfund (lb) liegen wird, eine Steigerung von rund zehn Prozent gegenüber 2021.

Also auch höhere Prämien im neuen Geschäftsjahr?

Ja, so sieht es nach derzeitigen Branchenerwartungen aus. Und wir sehen uns damit bestätigt in unserer Prognose, dass die Rohstoffverfügbarkeit ebenfalls steigt.

Neben dem Bau neuer Werke: Wollen Sie auch durch weitere Zukäufe wachsen?

In Europa sind wir schon sehr groß. Aus kartellrechtlichen Gründen ist wenig möglich. Es gibt auch nicht viele Akquisitionsziele. Klar ist: Europa und die USA brauchen Recyclingkapazitäten. Dort investieren wir.

Lassen Sie uns ein Gedankenspiel machen: Wäre es nicht reizvoll, gemeinsam mit einem Wettbewerber wie Umicore einen europäischen Champion aufzubauen?

Reizvoll vielleicht. Sicher gebe es Synergien, aber das EU-Kartellrecht wäre dagegen. Wäre die EU hier mit einer globalen Brille unterwegs, hätte ich grundsätzlich nichts dagegen, entsprechende Gespräche zu führen. Aber noch mal: Wir wollen unser Kerngeschäft stärken und organisch wachsen.

Immer wieder kommt auch die Idee einer Deutschen Rohstoff AG ins Spiel, also ein Zusammenschluss Ihres Großaktionärs Salzgitter Stahl und Aurubis. Was halten Sie davon?

Salzgitter ist ja schon lange unser Ankeraktionär. Alle meine Vorgänger haben immer mal wieder mögliche Synergien untersucht, aber die Ergebnisse waren ernüchternd. Stahl und Kupfer sind sehr unterschiedliche Metalle. Es bringt wenig, beides zu machen. Es würde für uns auch keinen Sinn machen, in ein anderes großes Industriemetall wie Aluminium einzusteigen. Eine Deutsche Rohstoff AG - ich weiß nicht, was die besser machen könnte als die existierenden Einzelgesellschaften.

Sie haben eine hohe EK-Quote und viel Cash auf der hohen Kante. Was machen Sie damit?

Wir investieren jetzt und bauen Kapazitäten auf, ohne den Verschuldungsgrad signifikant zu erhöhen. Das sind 300 Millionen Euro in den USA zusätzlich zu unseren planmäßigen Investitionen von 230 bis 250 Millionen pro Jahr. Große Werke haben einen permanenten Investitionsbedarf. Wir bauen beispielsweise auch unsere Werke in Belgien aus, und weitere folgen bis 2030. Wir finanzieren mit unserer Liquidität einen klaren organischen Wachstumskurs.

Ein Top-Thema ist Nachhaltigkeit. Sie wollen weit vor 2050 klimaneutral werden. Wie soll das gelingen?

Unsere direkten CO2-Emissionen haben wir schon um 40 Prozent seit 2000 gesenkt. Wir haben den niedrigsten CO2-Fußabdruck der Branche mit 1.690 Kilogramm pro Tonne Kupfer, verglichen mit 4.000 Kilo pro Tonne im Branchendurchschnitt.

Stellen Sie auf grünen Strom um und ist das sicher?

Ja, wir planen unsere Hütten künftig ausschließlich mit Ökostrom zu betreiben. Das ist nicht simpel, denn wir brauchen rund um die Uhr und unterbrechungsfrei Strom. Wir sehen die regenerativen Energien sehr positiv. Wind- und Solarstrom sind wettbewerbsfähig und hoch effizient. Was aber ausgebaut werden muss, sind Netze und Speicher.


Vita:

Kapitän an Deck

Roland Harings, Jahrgang 1963, ist seit Juli 2019 Vorstandschef der Aurubis AG. Gerade ist sein Vertrag für fünf Jahre verlängert worden. Wenn das Metallgeschäft ihn nicht voll in Beschlag nimmt, schätzt der gebürtige Trierer die Zeit mit seiner Frau und den beiden noch schulpflichtigen Kindern. Zum Homeschooling in der Corona- Zeit kann er aber nicht viel beisteuern. "Ich sehe mich in der Verantwortung, wie ein Kapitän an Deck zu sein, wenn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier täglich ihren Job machen", sagt er. Denn ein Unternehmen wie Aurubis kann nicht einfach auf "Home-Smelting" umstellen.


Die aktie

Bestleistung mit Kupfer

Der Hamburger Kupferproduzent und Aufbereiter von Industriemetallen liefert jährlich über eine Million Tonnen Kupferkathoden und ist auch Europas größer Recycler von Metall. Dank hoher Auslastung und guter Metallraffinerie-Einnahmen war das Geschäftsjahr bis Ende September das beste in der Firmengeschichte. Dank der starken Nachfrage bei Kupfer, dem besten Stromleiter, erwarten Analysten für 2022 noch etwas mehr: 16,4 Milliarden Euro Umsatz rund 267 Millionen Euro Nettogewinn. Aktienrückkäufe wie 2021 sind laut Chef Harings für 2022 nicht geplant.











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Bildquellen: Aurubis AG

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