Multi-Aufsichtsrat Vogel: "Es wird weitere Stahlfusionen geben"
Während viele seiner Weggefährten längst in Rente sind, ist der Ex-Thyssen-Chef und Multi-Aufsichtsrat, Dieter H. Vogel, weiter aktiv. Der Private-Equity-Investor über Anlagestrategien, die Stahlbranche und Stiftungsarbeit.
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von Stefan Rullkötter, Euro am Sonntag
Maschinenbauingenieur, Manager, Stiftungvorstand und Investor - Dieter H. Vogel (77) lässt sich in keine Schublade packen. Als einer von wenigen DAX-Vorständen wagte er 1999 den Sprung in die unternehmerische Selbstständigkeit. Als Gründer einer Private-Equity-Firma konnte Vogel schon bei deren Start auf 30 Jahre Managementerfahrung in der Deutschland AG zurückgreifen. Der Multi-Aufsichtsrat gilt als bestens vernetzt, hatte Mandate bei Bertelsmann, Deutsche Bahn, Commerzbank, ABB, Mobilcom, Freenet, Gerling und AachenMünchener Versicherung.
Derzeit ist Vogel Vorsitzender des Aufsichtsrats beim Stahlhändler Klöckner & Co, stellvertretender Chefaufseher bei VDM Metals, sitzt in Gesellschafterbeiräten des Verpackungskonzerns Schur Flexibles Holding und der Bank HSBC Germany. Daneben gilt Vogel seit seinen Zeiten als DAX-Vorstand als Intellektueller unter deutschen Managern, der stets auch das Gemeinwohl im Auge hat und sich in der Stiftungsarbeit engagiert. All diese Facetten - die Zukunft der Stahlbranche, die Verfassung des deutschen Mittelstands und der Kampf um eine freiheitlich demokratische Grundordnung - kommen im Interview mit €uro am Sonntag zur Sprache.
€uro am Sonntag: Herr Vogel, nach einer langen Vorstands- und Aufsichtsrats-Karriere bei Großkonzernen sind Sie seit fast 20 Jahren als Private-Equity-Investor aktiv. Angestellter Manager oder selbstständiger Unternehmer - welche Tätigkeit ist spannender?
Dieter H. Vogel: Beides hat seinen Reiz und ist gleich herausfordernd. Wer wie ich einen funktionstüchtigen Großkonzern als Unternehmen von Unternehmern versteht, wird feststellen, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind. Das gilt natürlich nur dann, wenn man einen Konzern dezentral führt und eine Vertrauenskultur praktiziert.
Praktizieren Unternehmen hierzulande diese Vertrauenskultur?
Leider trägt die zunehmende Einschränkung unternehmerischer Freiheit in Verbindung mit der Inflation von Vorschriften nicht dazu bei, das Leben gerade in börsennotierten Unternehmen leichter zu machen. Als Private-Equity-Investor hat man dagegen als klares Ziel die Steigerung des Unternehmenswerts vor Augen. Was zählt, ist das bessere Argument und die unmittelbare Umsetzung konstruktiver Ideen. Formalien, Prestige und Politik spielen keine Rolle.
Sie konzentrieren sich als Investor auf das Segment "gehobener Mittelstand". In welcher Verfassung befinden sich hier deutsche Firmen?
Wir sehen viele ausgezeichnete Unternehmen, die im Fall eines Verkaufs aus vielerlei Gründen einen Private-Equity-Partner unseres Schlags der Veräußerung an einen Investor aus dem Wettbewerb vorziehen. Bei einem anstehenden Generationswechsel fällt das Urteil über die Fähigkeit der nächsten Generation, das Unternehmen erfolgreich weiterzuführen, nicht immer positiv aus. Wir haben uns darauf spezialisiert, Beteiligungen an solchen Unternehmen zu erwerben, sie im Wert deutlich zu steigern.
Welche Exit-Strategien haben Sie in Ihrer Private-Equity-Firma?
Nach einigen Jahren der Wertsteigerung sind mehrere Optionen möglich: Unsere Anteile gehen entweder an die Familie zurück, wir finden gemeinsam den passenden neuen Partner oder wir platzieren einen uns allen vernünftig erscheinenden Anteil an der Börse.
Wo liegen nach Ihren Erfahrungen derzeit die größten Marktchancen und Risiken für den Mittelstand?
Mittelständische Firmen verhalten sich häufig zu konservativ und nutzen dadurch ihr Ergebnispotenzial nicht vollständig aus.
Woran kann man diese Underperformance in der Praxis erkennen?
Um nur einige Beispiele zu nennen: Sie scheuen sich, Preisgrenzen nach oben auszuloten, und lassen Entwicklungen in der Schublade, um die Kannibalisierung der laufenden Produkte zu vermeiden. Sie gehen nicht sparsam mit dem Kapital um, haben zu hohe Lagerbestände und treiben Forderungen nicht konsequent ein. Die Skepsis gegen Neuerungen, beispielsweise eine stringente Digitalisierung, ist groß.
Wie agiert der deutsche Mittelstand international?
Auch hier ist für die meisten Mittelständler noch viel zu tun. Wer aber in der Lage ist, Internationalisierung erfolgreich anzugehen und die Performance-Lücken zu schließen, hat Chancen, die ihm ein Großkonzern seiner Schwerfälligkeit wegen kaum streitig machen kann.
Welche Strategien verfolgen Sie bei Ihren aktuellen Investments?
Meine Partner und ich suchen Unternehmen, die überdurchschnittliches Wachstums- und Konsolidierungspotenzial aufweisen. Dabei achten wir darauf, dass wir unsere Erfahrung für die weitere Wertentwicklung aktiv einsetzen können. Da jeder von uns ein breites Branchen-Know-how besitzt, schränken wir damit die infrage kommenden Opportunitäten kaum ein.
Chinesische Investoren haben auch den Mittelstand im Übernahmevisier. Ist deshalb ein gesetzlich verankerter Übernahmeschutz für deutsche Firmen notwendig?
Nein. Globalisierung und Freihandel waren stets die verlässlichsten Treiber für einen durchgreifenden Wohlstandsgewinn. Künstliche Barrieren dagegen schaden langfristig allen, nicht zuletzt den unteren Einkommensgruppen. Dass wir aber dabei klare gesetzliche Regeln brauchen und diese auch durchsetzen, bedarf keiner Betonung.
Gibt es einen Rat, den Sie Unternehmensgründern in Deutschland mit auf den Weg geben können?
Ja. Seid experimentierfreudig, unangepasst und habt keine Angst vor dem Scheitern. Feiert Erfolge, motiviert euer Team, beteiligt die Mitarbeiter. Und lasst euch nicht desillusionieren, wenn ihr nicht schon übermorgen der neue Steve Jobs oder Jeff Bezos seid. Unternehmer zu sein kann auch unterhalb dieser Dimensionen sehr glücklich machen - und das jeden Tag.
Sie waren 13 Jahre lang Vorstand bei der Thyssen Gruppe, zuletzt Vorstandsvorsitzender. In der Zeit haben Sie die Übernahme durch die kleinere Krupp-Hoesch AG abgewehrt und die Fusion mit Krupp moderiert. Halten Sie die geplante Aufspaltung von Thyssenkrupp grundsätzlich für eine gute Lösung?
Meine Zeit bei Thyssen ist eine Weile her. Aber natürlich verfolge ich das Geschehen seit der Fusion mit Krupp weiter mit besonderem Interesse. Angesichts der aktuellen Lage des Konzerns, geschäftlich wie auch aufgrund der Eigentümerkonstellation, ist der Plan des Thyssenkrupp-Vorstandschefs Guido Kerkhoff sogar eine sehr gute Lösung.
Wo sehen Sie konkret Vorteile?
Dadurch werden die echten Marktwerte der verschiedenen Konzernteile sichtbar. Heute reflektiert die Marktkapitalisierung des Konzerns etwa den realen Wert des Aufzugsgeschäfts nur unzureichend.
Wie schätzen Sie derzeit die Stahlbranche weltweit ein und speziell die aktuelle Verfassung deutscher Marktteilnehmer?
Wir müssen weit über die deutsche Perspektive hinausdenken. Die Fusion der Stahlbereiche von Tata und Thyssenkrupp zeigt hier schon in die richtige Richtung. Stahl wird dennoch ein zyklisches Geschäft bleiben.
Also wird es in der Stahlbranche noch weitere Großfusionen geben?
Selbstverständlich. Es geht in diesem Geschäft eindeutig um Größenvorteile und Spezialisierung.
Im Rahmen Ihrer zahlreichen Aufsichtsratsmandate haben Sie sich für die Einhaltung des Corporate-Governance-Kodex stark gemacht.
Der Kodex macht Sinn und enthält eine Reihe von Regeln, die das Aktienrecht interpretieren und sinnvoll ergänzen. Darüber hinaus haben sich aber immer mehr Vorschriften eingeschlichen, die aus meiner Sicht unternehmerisch kontraproduktiv sind.
Sollte es eine nicht abwendbare Pflicht sein, dass ausscheidende Vorstände eine zweijährige Abkühlphase einhalten, bevor sie in den Aufsichtsrat wechseln?
Solche Regelungen sind grundsätzlich getragen von Misstrauen und der Befürchtung, die Gremien würden gegen das Unternehmensinteresse handeln. Wir brauchen aber kein Abklingbecken für einen ausscheidenden Vorstand, dessen Profil und nachgewiesene Unabhängigkeit genau den Anforderungen der Position entspricht.
Immer mehr deutsche Unternehmen schaffen individuelle Prämien für Manager ab. Wie wichtig sind Bonuszahlungen dieser Art heute noch für das Top-Management?
Man sollte so vorgehen, wie es den Charakteristika der Positionen entspricht. Beinhaltet die Teamleistung gleichgewichtige Beiträge der einzelnen Mitglieder, ist ein Gesamtbonus die richtige Antwort. Bei deutlich unterschiedlichen Leistungsbeiträgen der Einzelnen neige ich zu individueller Honorierung.
Sie verfügen auch über langjährige Erfahrung als Stiftungsvorstand. Was versprechen Sie sich von der nun anstehenden Reform des deutschen Stiftungsrechts? Die Vorschläge, das bislang aus Bundes- und Landesgesetzen bestehende Stiftungsrecht einheitlich zu regeln, sind im Grundsatz richtig, gehen aber nicht weit genug und sind teilweise unklar - kein großer Wurf. Man sollte das nochmals nachbessern mit dem Ziel, dem Gemeinwesen einen deutlich höheren Anteil aus Privatvermögen zu verschaffen und gleichzeitig rechtssicher zu sein. Und das so schnell wie möglich.
Viele gemeinnützige Stiftungen haben wegen der Nullzinsen Ertragsprobleme. Sollten diese flexibler in nicht mündelsichere Anlagen wie Aktien und Unternehmensbeteiligungen investieren können?
Es gibt kein Verbot der Nutzung riskanterer Anlagen. Stiftungsorgane müssen aber Anlageentscheidungen genau abwägen und dokumentieren. Im Übrigen wäre über eine Verbrauchsstiftung nachzudenken und den Ewigkeitsgedanken zumindest teilweise aufzugeben.
Wie wichtig sind die Tätigkeit und das Engagement gemeinnütziger Stiftungen in der heutigen Zeit?
Die Zahl der rechtsfähigen Stiftungen hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf über 22.000 verdoppelt. Trotzdem finde ich, wir könnten eine noch ausgeprägtere Stiftungskultur haben.
Was meinen Sie damit konkret?
Vermögende Privatpersonen und Unternehmen übersehen immer noch ihre Verpflichtung, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, weil sie vergessen, wie das gesellschaftliche Umfeld zu ihrem Vermögen beigetragen hat. Reinhard Mohn, der bis dahin alleinige Eigentümer von Bertelsmann, ist dagegen ein großartiges Beispiel. Er hat schon zu Lebzeiten etwa drei Viertel seines Vermögens an eine Stiftung übertragen.
Welchen Beitrag leisten Stiftungen für den Bestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung?
Stiftungen können hier zweierlei bewirken. Schon mit der Bereitschaft, einen Teil seines Vermögens dem Gemeinwohl zur Verfügung zu stellen, unterstreicht ein Stifter glaubwürdig sein Interesse am Erhalt einer stabilen Gesellschaft. Er wirkt als Vorbild. Zudem kann er bei Festlegung des Stiftungszwecks in der Satzung unmittelbar den Einsatz für die Erhaltung der freiheitlichen Grundordnung verfügen.
Vita:
Mut zur Veränderung
Dieter H. Vogel startete seine berufliche Karriere im Jahr 1970 als Vorstandsassistent bei Bertelsmann, wo er dann zwischen 1991 und 2017 führende Positionen in Aufsichtsrat, Stiftungsrat und im Gesellschafterausschuss innehatte. Nach langjährigen Vorstandspositionen beim Bodenbelagshersteller Pegulan-Werke und British American Tobacco kam er 1986 als Manager zur Thyssen-Gruppe. Zehn Jahre später wurde er Vorstandsvorsitzender des DAX-Konzerns und schied dort 1998 aus. 1999 gründete Vogel in Düsseldorf die Private-Equity-Firma Lindsay Goldberg Vogel. Sie vertritt die Fondsgesellschaft Lindsay Goldberg in Zentraleuropa. Deren Fonds verwalten aktuell ein Vermögen von mehr als 13 Milliarden US-Dollar.
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