Nach der Bundestagswahl: Auf dem Weg nach Jamaika
Die Zeichen stehen auf schwarz-gelb-grüne Koalition. Insbesondere für Europa ist das keine gute Nachricht. Und für Anleger?
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von A. Zehbe und C. Platt, Euro am Sonntag
Den Ausgang der Bundestagswahl dürfte sich auch Emmanuel Macron anders vorgestellt haben: In sicherer Erwartung, dass die vierte Amtszeit Angela Merkels und damit wohl auch die Fortführung der Großen Koalition reine Formsache ist, plante der französische Staatspräsident nichts Geringeres als einen Neustart für Europa. Mit seinem Händchen für symbolträchtige Auftritte stellte er seine ambitionierten Reformvorhaben zur Stärkung der Europäischen Union just zwei Tage nach der Bundestagswahl an der altehrwürdigen Pariser Universität Sorbonne vor - und forderte Angela Merkel auf, seine Pläne zu unterstützen.
Das dürfte nun schwieriger werden als erhofft. Nach den desaströsen Wahlergebnissen sind Merkel und die Union geschwächt, während die SPD einer Neuauflage der Großen Koalition, welche Macrons Vorschläge wohl immerhin wohlwollend geprüft hätte, noch am Wahlabend eine Absage erteilte. Ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen ist darum die einzig verbliebene Koalitionsmöglichkeit. Viele Ökonomen begrüßen zwar einen stärkeren liberalen Einfluss auf die künftige deutsche Wirtschaftspolitik, für Macron und den Rest Europas ist er jedoch ein Albtraum.
Denn mit der FDP in der Regierung wird Deutschland für Macrons Visionen nicht zum Motor, sondern zum Bremsklotz: Die Liberalen stemmen sich gegen eine stärkere fiskalische Integration des Euroraums und fordern eine Rückkehr zur "alten stabilitätsorientierten Politik". Macrons Visionen hinsichtlich der Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Eurozone sind vielen Liberalen darum ein Dorn im Auge.
Der Franzose will neben der Schaffung eines Postens für einen europäischen Finanzminister ein gemeinsames Haushaltsbudget für die 19 Mitgliedsstaaten des Euroraums, welches sich aus "mehreren" - im Gespräch sind drei bis vier - Prozent der Wirtschaftsleistung der Mitgliedsstaaten speisen soll. Darüber hinaus fordert er einen EU-Sozialfonds sowie die Angleichung von Mindestlöhnen und Unternehmensteuern. Bis 2024 sollen zudem die Regeln für die Märkte in Deutschland und Frankreich harmonisiert werden. Auch will Macron versuchen, die 2013 gescheiterte Finanztransaktionsteuer einzuführen.
Seine Grundsatzrede, in der so gut wie kein wichtiges Thema unserer Zeit ausgelassen wurde, erhielt zwar europaweit Lob, ausgerechnet in wirtschaftspolitischen Fragen gab es jedoch Kritik: "Macrons Pläne für die Eurozone halte ich nicht für richtig", sagt auch Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. "Weder ein Eurobudget noch die Schaffung des Amts eines europäischen Finanzministers werden die Probleme der Eurozone lösen. Wichtiger wäre es, für mehr Stabilität des Finanzsektors zu sorgen und Haftung und Kontrolle in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wieder besser in Übereinstimmung zu bringen."
Wettbewerbsfähigkeit statt Steuern
Das sieht die FDP ähnlich. "Was wir nicht brauchen, sind zu viel Staat und neue Steuern. Die Eurozone braucht mehr Wettbewerbsfähigkeit, keine neuen Geldtöpfe", erklärte Alexander Graf Lambsdorff, der für die FDP im Europäischen Parlament sitzt. Mehr Eigenverantwortung, solide öffentliche Finanzen und Wachstum fordert die Partei in einem kurz vor der Wahl veröffentlichten Katalog von zehn Trendwenden für Deutschland.
Wohin die Reise gehen wird, hängt nun von den bevorstehenden Sondierungs- und Koalitionsgesprächen ab. Die Vorstellungen von CDU/CSU, FDP und Grünen unterscheiden sich zum Teil erheblich. Kompromisse wird darum jede Partei eingehen müssen: die Grünen bei Klimafragen, die CSU in Sachen Zuwanderung und die FDP vor allem bei der Europapolitik.
Die Verhandlungen werden zäh. Alle Beteiligten betonen zwar, offen in die Gespräche zu gehen, doch FDP und Grüne wissen um ihre Verhandlungsmacht. Faule Kompromisse sind darum nicht zu erwarten, insbesondere nicht von der FDP: Als größter Juniorpartner wird die Partei die Position des Finanzministers für sich beanspruchen - ein Posten, der viele Einflussmöglichkeiten auf der europäischen Bühne mit sich bringt. Zudem werden die Liberalen in Sachen Europapolitik von Teilen der CDU und CSU unterstützt, was die Durchsetzung schwieriger Eurothemen erleichtern dürfte.
Der wichtigste Punkt ist jedoch, dass die FDP wohl aus ihren Fehlern von 2009 gelernt hat: Damals hatte sie in einer Regierungskoalition mit der Union kaum ein Wahlversprechen durchgesetzt. Wie hoch die Hürden bei einer schwarz-gelb-grünen Regierungsbildung sind, hat Parteichef Christian Lindner darum immer wieder betont.
Märkte reagieren vorsichtig
An den Anleihemärkte war die Unsicherheit angesichts des für die Koalitionsbildung schwierigen Wahlergebnisses zu spüren. Anfang der vergangenen Woche sank die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen um 0,05 Prozentpunkte auf 0,4 Prozent, weil die Papiere zur Absicherung von Depots stärker nachgefragt wurden.
In hoch verschuldeten Ländern wie Italien oder Griechenland, denen eine härtere Gangart der Europartner schaden würde, gerieten die Kurse von Staatspapieren im Lauf der Woche unter Druck. Auch der Euro notierte angesichts der Verluste von Union und SPD etwas schwächer.
Allerdings: Die Reaktionen waren angesichts der Größe und Bedeutung der deutschen Volkswirtschaft sehr überschaubar. Die Tatsache, dass Angela Merkel Kanzlerin bleiben wird und zumindest kein dramatischer Politikwechsel zu erwarten ist, wiegt die Märkte in Sicherheit. Eine Reihe weiterer politischer Richtungsentscheidungen, etwa Neuwahlen in Österreich oder Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, dürften sie stärker in Bewegung bringen.
Reformen dank Jamaika
Für Deutschland sind viele Ökonomen optimistisch, was den Einfluss einer schwarz-gelb-grünen Regierung auf die Wirtschaft angeht. "Eine Jamaika- Koalition mag vielleicht sogar für neues Reform-Momentum stehen", sagt Björn Jesch, Leiter des Portfoliomanagements bei Union Investment. Tatsächlich herrscht bei den Parteien Einigkeit darüber, dass Steuern gesenkt und in Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung investiert werden soll. "Alle Aspekte wirken über einen anziehenden Konsum, steigende Investitionen und Kostensenkungen grundsätzlich positiv auf die Konjunktur und damit auch auf die Aktienmärkte", sagt Carsten Mumm, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel.
Zu den Sektoren, die Anleger infolge des möglichen neuen Parteienbündnisses beobachten sollten, zählt Energie. Anders als man im ersten Augenblick vermuten könnte, liegen die Standpunkte der Jamaika-Parteien in Teilen gar nicht so weit auseinander. Am deutlichsten setzen natürlich die Grünen auf erneuerbare Energien.
Doch auch die CDU unter Angela Merkel, die den Atomausstieg und die Energiewende angestoßen hat, befürwortet den Wandel. Ebenso stellt sich die FDP dem Thema Klimaschutz nicht entgegen. Differenzen gibt es aber bei der Umsetzung: Die Grünen fordern Regulierungen und Verbote wie das Aus des Verbrennungsmotors ab 2030 oder Prämien für den Kauf von Elektroautos, die FDP setzt auf marktwirtschaftliche Lösungen wie den CO2-Handel.
Braunkohle als Energielieferant hätte unter einer Jamaika-Koalition einen schweren Stand. Die Grünen fordern ausdrücklich den Ausstieg, und die SPD, die sich aufgrund ihrer Wählerschaft schwer damit tun würde, ist an der Regierung nicht beteiligt. Kein Wunder, dass die Aktien von RWE am Tag nach der Wahl nachgaben.
Chancen bei erneuerbaren Energien
Auf der anderen Seite sind Aktien von Anbietern erneuerbarer Energien nicht gleich in die Höhe geschossen. "Es ist noch zu früh, um Annahmen zu treffen", sagt Moritz Kraemer von der Ratingagentur S & P Global. "Es ist abzuwarten, welche konkreten Punkte ein möglicher Koalitionsvertrag enthält." Zumindest habe sich aber die Chance, dass etwas Gutes für die Erneuerbare-
Energien-Branche passiert, erhöht.
Auch für die Baubranche dürfte ein Jamaika-Bündnis vorteilhaft sein. Die Parteien sind sich einig, dass Investitionen in Infrastruktur erforderlich sind, insbesondere im Verkehrswesen. Dort besteht zurzeit der größte Investitionsrückstand im Umfang von fast 36 Milliarden Euro. Ebenso steht der Wohnungsbau auf der Agenda. CDU und Grüne wollen ausdrücklich die Staatsausgaben in diesem Bereich erhöhen.
Die FDP wiederum will privatwirtschaftliches Engagement fördern, indem Regulierungen des Wohnungsmarkts abgebaut werden. Aus Sicht der Wohnungsbauwirtschaft ist erfreulich, dass eine Verschärfung der Mietpreisbremse in einer Jamaika-Koalition unwahrscheinlich ist. Obwohl die Grünen dafür plädieren, dürfte die Allianz der Gegner, bestehend aus Union und FDP, stark genug sein, dies zu verhindern.
Für Schwung im Immobilienmarkt könnte darüber hinaus die Forderung der FDP sorgen, die Grunderwerbsteuer für private Erstkäufer weitgehend zu reduzieren.
Mehr Geld zum Ausgeben
Ein weiterer Gewinner eines schwarz-grün-gelben Bündnisses dürfte die Konsumgüterbranche sein. Die Union und die FDP haben im Wahlkampf für Steuersenkungen plädiert, und die Grünen dürften kaum dagegen sein, sofern solche Schritte nicht Gutverdiener bevorteilen. Unter dem Strich könnten deshalb gerade untere und mittlere Einkommensschichten mehr Geld für den privaten Konsum übrig haben.
Eine große Schnittmenge zwischen den Parteien besteht beim Thema Digitalisierung. Besonders FDP und Grüne haben im Wahlkampf wiederholt betont, wie wichtig der Ausbau der Netzinfrastruktur ist. Hier sollten sich die Parteien schnell einigen können. "Eine Jamaika-Koalition dürfte ihren Fokus grundsätzlich auf Investitionen richten, vor allem im Digitalen", sagt S & P-Global-Experte Kraemer. Zudem besteht hierzulande großer Handlungsbedarf.
Beim Glasfasernetz hinkt Deutschland vielen Nationen hinterher. Nur 1,8 Prozent des hiesigen Breitbandnetzes bestehen aus der zukunftsweisenden Technik. In Japan, dem Spitzenreiter in Sachen Glasfaserausbau, liegt der Anteil bei 75 Prozent, in Lettland und Schweden auf den folgenden Plätzen bei 63 und 55 Prozent.
Geld für den Ausbau des Glasfasernetzes könnte aus einer vollständigen Privatisierung der Deutschen Telekom kommen. Noch immer hält der Bund einen großen Teil des Konzerns. Grüne und FDP plädieren schon länger für einen Verkauf der Aktien, die CDU scheint sich nach und nach mit diesem Gedanken anzufreunden.
Zukunftsthema Digitalisierung
Dass bei dem Thema Digitalisierung weitestgehend Einigkeit herrscht, ist die vielleicht positivste Eigenschaft der möglichen Jamaika-Koalition. Kaum ein anderes Thema wird die Zukunft des Landes in den kommenden Jahren so verändern. Auch auf europäischer Ebene sind sich die Staaten einig, den Ausbau des digitalen Binnenmarkts in der EU im Mittelpunkt voranzutreiben. Gelegenheit, Gespräche zu dem Thema zu führen, gab es Ende der Woche in Tallinn. Dort fand der erste europäische Digitalgipfel statt, an dem die EU-Staats- und Regierungschefs teilnahmen.
Für Angela Merkel war es der erste Auftritt mit europäischen Partnern seit der Bundestagswahl. Sie wird viele Fragen zu ihrer künftigen Koalition beantwortet haben - und konnte die Kollegen zumindest in einer Sache beruhigen. In Sachen Digitalisierung bleibt Deutschland ein wichtiger Partner.
Investor-Info
Parlamentswahlen in Europa
Europaskepsis nimmt zu
Gefahren für die Kapitalmärkte gehen vom Erstarken der Europagegner aus, weil dies für Unsicherheit sorgt. Der Zuspruch zu europaskeptischen Parteien hat sukzessive zugenommen. Die Grafik zeigt den durchschnittlichen Stimmenanteil der wichtigsten europakritischen Parteien bei Parlamentswahlen in den zehn größten EU-Ländern in den vergangenen Dekaden und momentan.
United Internet
Wachsende Digitalisierung
Die Digitalisierung zu beschleunigen, dürfte eines der Ziele sein, auf das sich eine Jamaika-Koalition wird einigen können. In diesem Segment aussichtsreich erscheint die Aktie von United Internet. Der deutsche Anbieter von Internetanwendungen mit Marken wie 1 & 1 oder GMX ist einer der führenden Provider in Europa. Der Umsatz soll 2017 um fünf bis sechs Prozent wachsen, der Jahresüberschuss betrug zuletzt 179 Millionen Euro.
Deka-Umweltinvest
Megatrend saubere Energien
Anlageprodukte, die breit gestreut in deutsche Konzerne aus den Bereichen erneuerbare Energien und Umweltschutz investieren, gibt es nicht. Wer in diesem Segment einen weltweiten Megatrend erkennt, der nicht nur von einer Jamaika-Koalition Rückenwind erhält, kann auf den Deka-UmweltInvest setzen. Der globale Aktienfonds enthält immerhin 13 Prozent deutsche Titel. Wer fokussierter anlegen will, kauft die Aktie der RWE-Ökostromtochter Innogy (ISIN: DE 000 A2A ADD 2).
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