Die chinesische Malaise wird unterschätzt
Der Westen unterschätzt die Schwächephase im einstigen Reich der Mitte. Warum das so ist und mit welchen Konsequenzen die deutsche Wirtschaft rechnen sollte.
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von Thomas Welte, Gastautor von Euro am Sonntag
Wer regelmäßig alle paar Monate nach China kommt, bemerkt die Zeichen. Die Schwierigkeiten der weltweit zweitgrößten Wirtschaftsmacht werden sichtbar - zum Beispiel am Immobilienmarkt. Vor nicht allzu langer Zeit kaufte man in den Metropolen eine Wohnung vom Plan weg und verkaufte sie wenig später mit mindestens 30 Prozent Aufschlag weiter: Man konnte sich kaum dagegen wehren, mit Immobilien reich zu werden. Inzwischen ist der Markt, auch abseits der großen Städte, weitgehend zum Erliegen gekommen. Es gibt keine Käufer mehr.
Dass es noch nicht zu einem drastischen Preisverfall gekommen ist, liegt nicht zuletzt in der chinesischen Mentalität begründet: Das Wichtigste bei jedem Geschäft ist der Gewinn. Ohne guten Preis kein Abschluss. Diese Einstellung lässt sich jedoch naturgemäß nicht ewig durchhalten. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis die Immobilienpreise massiv sinken werden. Ähnlich ist die Abkühlung der chinesischen Konjunktur in vielen Bereichen spürbar.
Diese Entwicklung ist dramatischer, als wir es hier im Westen wahrnehmen. Auch wenn sich der Export nach China, Deutschlands wichtigstem Handelspartner in Asien, deutlich abgeschwächt hat, unterschätzen wir dennoch die Probleme und argumentieren, Chinas Anteil an der Weltwirtschaft sei inzwischen so groß, dass diese Tatsache das schrumpfende Wachstum ausgleiche.
Lenkt Peking der Karren nun
Richtung Zentralwirtschaft?
Doch Chinas Probleme reichen bis in die Tiefe. Denn es hat sich nicht nur das wirtschaftliche Umfeld eingetrübt, es hat sich auch politisch einiges verändert, mit der Folge, dass die Chinesen unsicher sind über den weiteren Kurs ihrer Führung: Wird sie ihren liberalen Kurs beibehalten oder wird Peking nicht doch wieder dirigistischer in die Wirtschaft eingreifen? So wie das beim Crash der chinesischen Börsen zu beobachten war und beim Verfall der Währung noch zu sehen ist. Es wurde rigide, aber mit überschaubarem Erfolg interveniert. Auch das hat Zweifel hervorgerufen. Und von außen gesehen ist es angesichts dieser durchaus dirigistischen Handlungsweise keineswegs auszuschließen, dass Peking die Zügel wieder anzieht und den Karren in Richtung Zentralwirtschaft zurücklenkt.
Dazu kommt, dass auf politischer Ebene ein Generationenwechsel stattgefunden hat. Etablierte, belastbare Beziehungsgeflechte, essenziell für Chinas Wirtschaft, haben sich aufgelöst, neue noch nicht gefestigt. Eine Folge davon ist, dass auf den unteren Verwaltungsebenen tendenziell gar nichts mehr geschieht - denn wer nichts tut, kann auch keinen Fehler machen und sich womöglich falsch positionieren.
Eine andere Konsequenz besteht darin, dass, wer zu Geld gekommen ist, es außer Landes schafft und es folglich nicht mehr in Chinas Wirtschaft investiert. Die vermögenden Chinesen, die es reichlich gibt, unterstützen also nicht mehr die Binnenkonjunktur. Gerade auf sie setzt Peking jedoch, um nachhaltiges Wachstum zu generieren.
Denn woher sonst sollen die Impulse für die Wirtschaft kommen? China ist längst nicht mehr die Werkbank der Welt, und es ist auch kein Billiglohnland mehr. Diese Rolle haben nun andere Standorte übernommen. Impulse können abseits der Binnenwirtschaft höchstens noch aus einem anderen Bereich kommen - der Technologie. Ob diese dann aber nach marktwirtschaftlichen Kriterien angestoßen oder dirigistisch entwickelt werden, das steht in den Sternen.
Und es ist auch nicht ausschlaggebend für die Auswirkungen hierzulande. Wie massiv die sein können, haben die einst florierenden deutschen Hersteller von Solarmodulen schon anschaulich demonstriert bekommen. Die Chinesen haben als Preisbrecher den Weltmarkt erobert - zwei von drei Modulen kommen heute aus China. Regenerative und alternative Energien spielen dort inzwischen eine große Rolle. Das ökologische Bewusstsein hat sich dramatisch gewandelt. E-Mobilität beispielsweise ist ein großes Thema in den Metropolen und eine politisch gewollte Alternative. Das bedeutet, dass die technologische Entwicklung auf diesem Gebiet mit Sicherheit schneller gehen wird als hierzulande. Inzwischen können die Chinesen nämlich auch Technik - natürlich nicht ganz so gut wie die technikverliebten deutschen Ingenieure. Made in Germany genießt unverändert höchstes Ansehen im Land.
Auch das strategische Interesse der Chinesen an deutscher Technologie ist nach wie vor groß. Wieder so eine Mentalitätsgeschichte: Es ist nach chinesischem Verständnis eine Ehre für den Urheber, dass sein Produkt kopiert wird; es ist schließlich gut genug dafür. Bisher aber haben wir geglaubt, dass wir den dortigen Markt mit unseren Produkten und Ideen beglücken können. Das könnte sich mittelfristig jedoch umdrehen. Womöglich müssen wir, um die Absatzzahlen auch nur zu halten, künftig das bauen, was die Chinesen wünschen.
Internationale Expansion gegen
die Wirtschaftskrise im Land
Die Entwicklung geht aber noch einen Schritt weiter: Schon heute hat Chinas Industrie die europäischen Absatzmärkte im Visier. Und sie kann durchaus konkurrenzfähige Produkte liefern. Es gibt beispielsweise einen Maschinenbauer, der über den Eintritt in den deutschen Markt nachdenkt. Seine Anlagen sind zwar nicht ganz so hochtechnologisch wie die deutschen Pendants, aber sie erfüllen die Qualitätsstandards. Und das zu einem günstigeren Preis. Die Vorstellung der Chinesen ist es, den hundertfachen Umsatz eines deutschen Anbieters zu erzielen. Das sieht zunächst illusorisch aus, aber ist es das auch? Auf jeden Fall zeigt es, dass hier große Ambitionen bestehen. Expansion ist schließlich ebenfalls ein Weg im Kampf gegen die Wirtschaftskrise. Wie unlängst auch am Beispiel Krauss Maffei zu sehen war.
Die chinesische Malaise wird nicht nur andauern, sie wird sich allen Anzeichen nach noch verschärfen. Da wäre es schön, wenn es für die deutsche Wirtschaft alternative Absatzmärkte geben würde. Ein Kaliber wie China ist jedoch weit und breit nicht in Sicht. Vielleicht würde auch ein Mentalitätswechsel hierzulande helfen. Was die Deutschen auszeichnet, ist ihre Ingenieursmentalität, die Fähigkeit zur Entwicklung. Die Stärke ist zugleich eine Schwäche: Ein Produkt wird erst vermarktet, wenn es zu 125 Prozent fertig ist. Wäre das iPhone hierzulande geschaffen worden, es wäre wohl erst ab der fünften Generation auf den Markt gekommen. Ist diese Perfektion im Endstadium wirklich hilfreich? Oder sollten wir nicht besser auf ein bisschen weniger Perfektion und etwas mehr Markt setzen?
Kurzvita
Thomas Welte, Partner und Sprecher
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Autaco
Diplom-Finanzwirt Welte fing nach dem Studium beim Finanzministerium Baden-Württemberg an. Nach 1990 folgten verschiedene Stationen in Unternehmen wie KPMG oder der Taurus Holding. 2005 gründete Welte die Autaco in München. Er konzentriert sich auf die Beratung und Begleitung von großen und mittelständischen Unternehmen.
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Bildquellen: Frank Zauritz/Autaco , My Life Graphic / Shutterstock