Mays Odyssee: Was Anleger über das Brexit-Chaos wissen müssen
Das britische Parlament will keinen harten Brexit. Doch die möglichen Alternativen sind stark umstritten. Wie groß der Schaden bereits ist, wie es weitergehen könnte.
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von Julia Groß, Euro am Sonntag
Der Austritt Großbritanniens aus der EU geht in die Verlängerung. Genervte Briten sprechen inzwischen von der "Brexiternity", einer Wortschöpfung aus "Brexit" und "Eternity", dem englischen Begriff für Ewigkeit. Ob diese Ewigkeit nun bis Ende Juni oder noch deutlich länger dauern wird, ist weiterhin nicht absehbar.
Zum zweiten Mal hat Premierministerin Theresa May in der vergangenen Woche die Parlamentsabstimmung über das von ihr ausgehandelte Austrittsabkommen verloren, trotz kosmetischer Zugeständnisse der EU in der "Backstop"-Problematik an der nordirischen Grenze. In einem weiteren Votum lehnten die Abgeordneten einen harten Brexit kategorisch ab, wobei sich zahlreiche Parteigenossen Mays enthielten oder gar gegen die Linie der Regierung stimmten.
Rechtlich bindend ist diese Entscheidung allerdings weder für die britische Regierung, noch für die EU: Wenn man sich nicht auf einen Vertrag einigt, kommt es am 29. März automatisch zum Brexit ohne Abkommen - es sei denn, die Briten fragen nach Aufschub oder wollen doch in der EU bleiben. Schließlich sprach sich am Donnerstagabend eine Mehrheit im Parlament für eine Verschiebung des Austrittsdatums 29. März aus.
Was daraus konkret folgt, war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch unklar. Britische Unternehmer äußern sich zunehmend frustriert über die anhaltende Ungewissheit. Die großen Firmen plädieren laut Shamik Dhar, Chefökonom von BNY Mellon, allesamt für ein "Remain" oder zumindest für einen Austritt mit Deal. Verbände machen seit geraumer Zeit Druck, damit Unternehmen für die Zukunft planen können. "Genug ist genug. Es ist Zeit, dass das Parlament diesen Zirkus stoppt", sagt Carolyn Fairbairn, Generaldirektorin des Verbands der britischen Industrie -angesichts des inseltypischen Understatements schon sehr deutliche Worte.
Auch im restlichen Europa liegen die Nerven blank. "Der Schaden für deutsche Unternehmen durch den Brexit ist kaum absehbar", sagt Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Einer Umfrage des Verbands zufolge beurteilen inzwischen 38 Prozent der Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien die Geschäfte als "schlecht". Jeder achte Betrieb plant, Investitionen in andere Länder zu verlagern.
Bereits jetzt ist ein Schaden spürbar. Seit dem Referendum im Juni 2016 hat die Entscheidung zum Austritt Großbritannien rund 930 Millionen Euro an Wirtschaftsleistung gekostet - pro Woche. Investitionen wurden eingefroren (siehe Investor-Info), die Regierung kappte am Mittwoch ihre Konjunkturprognose von 1,6 auf 1,2 Prozent Wachstum für 2019. Trotz aller Probleme ist das mehr als in Deutschland, wo die Regierung ein Prozent BIP-Wachstum prognostiziert, das Ifo-Institut gar nur 0,6 Prozent.
Von der so glänzend ausgemalten Zukunft mit bilateralen Handelsabkommen, die das Vereinte Königreich besser stellen als die EU, ist Großbritannien allerdings noch weit entfernt: Von insgesamt 40 bestehenden Handelsverträgen der EU mit anderen Ländern konnte London bisher erst sechs durch eigene Abkommen ersetzen, berichtet "Spiegel Online". Dass niemand bereit ist, den Briten etwas zu schenken, zeigen die USA mit der Forderung nach Zulassung der bisher verbotenen Chlorbehandlung von Hühnerfleisch und Hormonzusätzen in der Milchwirtschaft. Auch Partnerschaften mit Ländern ohne freie Marktwirtschaft wie China wollen die USA den Briten als Bestandteil eines neuen Abkommen untersagen.
Dritte Abstimmung über Vertrag
In der kommenden Woche will Premierministerin May nun ein drittes Mal über den zweimal abgelehnten Austrittsvertrag abstimmen lassen. Ihr Vorgehen stößt bei Beobachtern auf immer weniger Verständnis. "Theresa May ist besessen von ihrem Deal. Das ist aktuell eines der wesentlichen Probleme des Brexit. Sie setzt alles auf eine Karte", heißt es unter Londoner Investmentbankern. Parteiübergreifende Diskussionen darüber, was für alternative Austrittsbedingungen mehrheitsfähig wären, finden jedoch nicht statt.
Sollte das Parlament den Deal beim dritten Mal durchwinken, würde May in Brüssel um eine Fristverlängerung bis Ende Juni bitten, um der Verwaltung Zeit für die Umsetzung zu geben. Manche Experten erwarten, dass die Stimmung zugunsten von May kippt, weil Brexit-Befürworter sonst eine weitere Verwässerung der Bedingungen fürchten. "Die konservativen Hardliner und die nordirische DUP werden nicht zustimmen, weil sie keinen Deal wollen", glaubt dagegen Simon Ward, Chefökonom bei Janus Henderson Investors.
Kein Konsens
Ward bezweifelt auch, dass die Abgeordneten sich auf irgendeine "weichere" Form des Brexit, etwa mit Verbleib in der Zollunion und im Binnenmarkt, einigen. Fällt Mays Vertrag ein drittes Mal durch, bleibt als Option noch eine Verlängerung der Frist deutlich über die Europawahlen Ende Mai hinaus. Die 27 verbleibenden EU-Länder müssen eine Verlängerung einstimmig billigen, was sie in diesem Fall wohl nur bei einem klaren Fahrplan für das weitere Vorgehen täten. Der könnte Neuwahlen, ein weiteres Referendum oder neue Vertragsverhandlungen vorsehen.
Alle Alternativen sind stark umstritten. "Ein zweites Referendum wäre gewiss der demokratischste und direktes-
te Weg, um den Brexit zu ermöglichen. Wir glauben jedoch, dass Premierministerin May und der oppositionelle Labour-Chef Jeremy Corbyn Parlamentswahlen vorziehen würden", sagt Charles St-Arnaud, Investmentstratege bei Lombard Odier Investment Managers.
In der EU sieht man trotz der Europawahl-Problematik wohl Vorteile in einer längerfristigen Verschiebung. Die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof Eleanor Sharpston erklärte, es gebe durchaus Möglichkeiten, die Briten nicht wählen zu lassen und beispielsweise die bestehenden Abgeordnetenmandate im Europaparlament befristet zu verlängern.
Ratspräsident Donald Tusk macht sich für eine Verlängerung der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens um ein Jahr stark. Irland plädiert gar für bis zu 21 Monate. Thomas Gitzel, Chefökonom der VP-Bank, fasst zusammen: "Der letzte Akt im Brexit-Theater ist jedenfalls noch lange nicht gespielt."
Investor-Info
Britische Wirtschaft
Investitionen bleiben aus
Seit die Briten 2016 für den Austritt aus der EU stimmten, sind die Investitionen britischer Firmen stetig gesunken. Der Optimismus unter Unternehmern ist auf dem niedrigsten Stand seit sieben Jahren. Firmen im Rest der EU schieben Investitionen in Großbritannien ebenfalls auf die lange Bank oder verlagern sie in andere Länder.
Comgest Monde
Stets eine gute Wahl
Auch wenn politisch viel auf dem Spiel steht: Global und längerfristig betrachtet ist der Einfluss der Brexit-Problematik auf die Aktienmärkte gering. Der Comgest Monde investiert weltweit in qualitativ hochwertige Unternehmen mit einem kontinuierlichen Wachstum. Zu den größten Positionen zählen aktuell defensive Titel wie der Konsumgüterkonzern Unilever sowie Medtronic und Johnson & Johnson aus dem Gesundheitssektor.
Xetra-Gold
Edelmetall zur Absicherung
Noch immer keine Klarheit in Sachen Brexit, konsensfähige Ideen sind auf der Insel weiter Mangelware. Manche Ökonomen sehen nach der vergangenen Woche sogar eine größere Wahrscheinlichkeit für einen harten Brexit als zuvor. Gleichzeitig gibt es weltweit Anzeichen für eine schwächere Konjunktur. Gold als Depotbeimischung ist gut zur Absicherung geeignet. Der ETC der Deutschen Börse ist flexibel und zu geringen Kosten handelbar, die Anteile sind mit physischem Gold hinterlegt.
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