Bundesregierung wird wegen Inflation und schwacher Weltwirtschaft pessimistischer
Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose aufgrund der Nachwehen der Energiekrise, der Inflationsbekämpfung und der schwachen Weltwirtschaft für dieses und das kommende Jahr gesenkt.
Sie erwartet für 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,4 Prozent und damit deutlich weniger als das noch im April erwartete Wachstum von 0,4 Prozent. Für das kommende Jahr geht die Bundesregierung nun von einem Wachstum von 1,3 Prozent aus, etwas weniger als der zuvor erwartete BIP-Anstieg von 1,6 Prozent. Die Wirtschaft sollte 2025 um 1,5 Prozent wachsen. Nach einem schwachen dritten Quartal in diesem Jahr dürfte die wirtschaftliche Entwicklung zur Jahreswende wieder an Dynamik gewinnen.
"Wir sehen momentan konjunkturelle Schwierigkeiten, ausgelöst durch die Nachwehen der Energiepreiskrise, die notwendige Inflationsbekämpfung der EZB und das schwächeln wichtiger globaler Wirtschaftspartner. Auch gibt es geopolitische Konfliktherde, die die Unsicherheit erhöhen. Wir kommen daher langsamer aus der Krise heraus als gedacht", erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einer Pressemitteilung. "Aber es ist auch klar, dass wir unsere Wachstumsprobleme lösen müssen und große strukturelle Herausforderungen zu bewältigen haben."
Insgesamt werden laut Bundesregierung für die deutsche Wirtschaft vom privaten Konsum Wachstumsimpulse ausgehen. Denn die Inflationsrate wird laut Prognose von 6,1 Prozent in diesem Jahr auf 2,6 Prozent in 2024 und dann auf 2,0 Prozent in 2025 zurückgehen. Die inflationsbedingten Kaufkraftverluste der privaten Haushalte dürften daher zunehmend überwunden werden und gemeinsam mit dem robusten Arbeitsmarkt und Lohnsteigerungen zu einer Belebung des Konsums führen. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte und privaten Organisationen werden der neuen Prognose zufolge preisbereinigt in diesem Jahr um 6,1 Prozent steigen und 2024 um 2,4 und 2025 um 2,0 Prozent zulegen.
Exporte werden laut Prognose in diesem Jahr um 1,1 Prozent fallen und im kommenden Jahr um 1,8 Prozent zulegen. Für 2025 wird mit einem Anstieg um 3,3 Prozent gerechnet. Importe werden laut Regierung in diesem Jahr um 1,5 Prozent fallen und 2024 um 2,4 und 2025 um 3,6 Prozent zulegen.
Institute und IWF pessimistischer für Konjunktur als Regierung
Mit ihren Konjunkturerwartungen ist die Bundesregierung etwas optimistischer als die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Die Institute erwarten in ihrer jüngsten Prognose einen Rückgang des BIP um 0,6 Prozent im laufenden Jahr und einen Anstieg um 1,3 Prozent im Jahr 2024 und um 1,5 Prozent in 2025. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht die deutschen Konjunkturaussichten etwas pessimistischer als die Bundesregierung. Am Dienstag sagte er ein Schrumpfen des deutschen BIP um 0,5 Prozent für dieses Jahr und ein Wachstum von 0,9 Prozent für 2024 voraus.
Die Konjunkturprognosen der Bundesregierung werden für die Steuerschätzung vom 24. bis 26. Oktober herangezogen, die wiederum Grundlage für den Bundeshaushalt 2024 und die mittelfristige Finanzplanung sein wird. Eine schlechtere Konjunktur bedeuten weniger Steuereinnahmen als zuvor geplant und damit einen geringeren finanziellen Spielraum für die Vorhaben der Ampel-Regierung.
Demokratischer Wandel macht Zuwanderung von Arbeitskräften notwendig
Habeck betonte, dass Deutschland zur Lösung seiner konjunkturellen Schwierigkeiten das Problem der überbordenden Bürokratie und des Fachkräftemangels angehen müsse. Dafür brauche es aber einen "langen Atem". Nötig seien Investitionen, die durch eine Lichtung des Bürokratiedschungels erleichtert werden sollten. "Deutschland darf sich nicht länger selbst fesseln", so Habeck.
Insgesamt bleibt der Arbeitsmarkt in Deutschland trotz der konjunkturellen Schwäche robust. Habeck betonte aber, dass der demokratische Wandel am Arbeitsmarkt bereits sichtbar sei, denn die Beschäftigung von Deutschen sei seit Anfang des Jahres rückläufig. Der generelle Anstieg in der Beschäftigung werde seit Jahresbeginn von ausländischen Staatsangehörigen getragen. Dieser Trend dürfte sich laut Habeck in den kommenden Jahren verstärken.
Flüchtlinge sollen arbeiten
Daher sei für die deutsche Wirtschaft neben einer Mobilisierung des inländischen Arbeitspotenzials auch die Zuwanderung nötig. Nach Ansicht von Habeck ist es daher "allemal sinnvoll, Flüchtlinge, die hier schon im Land sind, in Arbeit zu bringen". Er sei sich der Vorbehalte dagegen bewusst. Und auch für ihn sei völlig klar, dass man Migration besser steuern und die Rückführungen von abgelehnten Flüchtlingen zügig erfolgen müsse.
"Nur, wenn jemand jetzt schon seit einiger Zeit hier ist, sollte die Devise doch sein: Raus aus dem Sozialsystem, rein in die Beschäftigung, damit Flüchtlinge möglichst selbst ihren Lebensunterhalt verdienen und ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten können", sagte Habeck. Hier sei mehr Pragmatismus notwendig. Diesen Pragmatismus habe auch Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) verlangt.
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)
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