Emerging-Markets-Trader Gerhard Heinrich

Gazprom: "Risiko" - welches Risiko?

09.08.17 09:10 Uhr

Gazprom: "Risiko" - welches Risiko? | finanzen.net

Über die niedrige Bewertung der Gazprom-Aktie ist schon viel geschrieben worden. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2017 liegt auf Basis der aktuellen Schätzungen gerade mal bei 4. Und der Blick auf das KBV ist noch verstörender.

Laut der letzten Jahresbilanz liegt der ausgewiesene Buchwert des Konzerns bei umgerechnet 164 Milliarden Euro; an der Börse ist das Unternehmen aber weniger als 40 Milliarden Euro wert. Die Aktie ist damit Hinblick auf zwei sehr wichtige Bewertungskennzahlen geradezu "spottbillig".

Wenn es um die Gründe dieser Unterbewertung geht, dann wird oft nebulös auf "politische Risiken" verwiesen. Das wirkt fast schon selbsterklärend. Gazprom ist eine russische Aktie, Russland ist mit dem Westen zerstritten, der Westen hat Sanktionen gegen Russland verhängt - also ist Gazprom eine riskante Aktie. Das erklärt die niedrige Bewertung aber nur teilweise. Russische Aktien sind - unter anderem wegen der außenpolitischen Spannungen - tatsächlich nicht teuer. Die Gazprom-Aktie bekommt man aber selbst für russische Verhältnisse nachgeschmissen. Ihr Abschlag auf das dortige Durchschnitts-KGV liegt bei über 40%, und ihr Kurs-Buchwert-Verhältnis befindet sich sogar bei weniger als einem Drittel des russischen Markt-KBVs. Sind auch diese zusätzlichen Abschläge wirklich noch dem "politischen Risiko" geschuldet?

Milliardeneinnahmen und Lieferrekorde

Man könnte ja auch auf die Idee kommen, dass Gazprom gegen die weltpolitischen Entwicklungen ziemlich immun ist. Anderen russischen Unternehmen mag im Zuge der internationalen Spannungen das Auslandsgeschäft weggebrochen sein, oder sie litten vielleicht unter der sanktionsbedingten Rezession. Gazprom dagegen verfügt international über Geschäftsbeziehungen, die immer noch bemerkenswert stabil sind. 2016 erlöste der Konzern mit Erdgasexporten in Länder außerhalb der Ex-Sowjetunion mehr als 32 Milliarden Euro - und das in harten Devisen!

Man sollte nun meinen, dass sich durch den Ukraine-Konflikt zumindest die Lieferungen in die EU verringert hätten. Doch weit gefehlt. Europa bezieht seither noch mehr russisches Erdgas. 2016 stieg das Liefervolumen um weitere 12,5 Prozent auf 179 Milliarden Kubikmeter an, was einem neuen Rekordwert entspricht. Gazprom Marktanteil auf dem EU-Gasmarkt erhöhte sich dadurch von 30 auf 34 Prozent, und in Deutschland deckt der Konzern sogar schon 40 Prozent des Bedarfs ab.

Mit Gazprom durch dick und dünn

Wie ungetrübt von allen politischen Erwägungen das Geschäft läuft, macht auch das neue Projekt "Nord Stream 2" deutlich. Die weitere Ostsee-Pipeline wird nicht nur von den Russen selbst, sondern auch von den Abnehmern Shell, BASF, Uniper, Engie, der OMV sowie von der deutschen Bundesregierung mit Inbrunst vorangetrieben - wohlwissend, dass es bei diesem Projekt neben den Durchleitungskosten vor allem um die Umgehung der Transitländer Ukraine und Polen geht. Diese befreundeten Länder stößt "Nord Stream 2" zwar ungemein vor den Kopf, doch das wird im Sinne einer nachhaltigen Energieversorgung Westeuropas gern in Kauf genommen.

Gazprom wird von den Versorgern hierzulande nicht etwa als unzuverlässig, sondern im Gegenteil als ganz besonders sicherer Lieferant wahrgenommen. Das ist in erster Linie ein Erfahrungswert. Westeuropa bezieht schon seit den 1970er Jahren in größerem Umfang russisches Erdgas, und dieses wurde auch durch alle Wechselfälle des kalten Krieges hindurch immer pflichtschuldig geliefert. In "rund 17.000 Tagen", so der amerikanische Energieberater Philip Lambert, habe es "nur 14 Tage mit Lieferunterbrechungen" gegeben. Das ist ein guter Schnitt - und verstärkt den Drang, sich noch stärker an den russischen Erdgasriesen zu binden. So werden auch Gazproms westliche Partner nicht müde zu betonen, wie wichtig die neuen Pipelines für Europas Versorgungssicherheit sind.

Wutgeheul über die Sanktionen

Nun haben aber die USA soeben neue Russland-Sanktionen verbschiedet; und die sind geeignet, gerade Gazproms Pipeline-Projekte empfindlich zu treffen. Der Knackpunkt des Sanktionsgesetzes ist, dass künftig auch europäische Firmen, die beispielsweise Gemeinschaftsprojekte mit russischen Energiekonzernen auflegen, mit Strafen belegt werden können. BASF, Uniper und Konsorten geraten damit in eine dumme Situation, denn eigentlich war vorgesehen, dass sie die Hälfte der Pipelinekosten von 9,5 Milliarden Euro tragen werden. Ob "Nord Stream 2" in der derzeit geplanten Form überhaupt noch verwirklicht werden kann, bleibt nun abzuwarten, denn jeder beteiligte Gazprom-Partner wird es sich zweimal überlegen, ob er wirklich auf einer US-Sanktionsliste landen will.

Noch viel bemerkenswerter als die US-Sanktionen selbst war aber die europäische Reaktion darauf. Durch Berlin ging nach der Veröffentlichung der Entwürfe ein regelrechter Aufschrei. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel erklärte umgehend, dass Deutschland die Bestrafung heimischer Unternehmen auf keinen Fall hinnehmen werde; und Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries nannte die Sanktionen sogar "völkerrechtswidrig". Bundeskanzlerin Merkel schloss sich der Argumentation Gabriels größtenteils an, und in Österreich verurteilte Bundeskanzler Christian Kern die US-Maßnahmen als "absolut inakzeptabel". Und Brüssel fuhr fast noch schwereres Geschütz auf. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker drohte den Vereinigten Staaten sogar Vergeltungsmaßnahmen an, wobei die EU dazu bereit sei, "innerhalb von Tagen angemessen zu reagieren". Seit Ende des zweiten Weltkriegs kann man sich kaum an einen Anlass erinnern, zu dem der Ton gegenüber dem transatlantischen Bündnispartner jemals derart rauh gewesen wäre.

Erdgas-Pragmatismus

Dabei hat zumindest die Europäische Union gegenüber russischem Erdgas ein durchaus ambivalentes Verhältnis. Gazproms Marktmacht war Brüssel in den letzten Jahren immer wieder ein Dorn im Auge, und die Kommission zwang dem Konzern schon mehrere unangenehme Kartellverfahren auf. Gazprom hat zuletzt aber einige Zugeständnisse gemacht, und so löst sich der Streitfall gerade wieder in Wohlgefallen auf. Auch der Zugang zum OPAL-Netz, in das die Russen Gas aus den Nord-Stream-Pipelines einspeisen wollen, wurde via Ausnahmeregelung wieder freigegeben - trotz massiver Widerstände Polens. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager machte außerdem im März klar, dass ihre Behörde nicht gewillt ist, ihre Entscheidung zugunsten Gazproms der weltpolitischen Lage unterzuordnen. "Es gehe", so Vestager, "einzig um sachgerechte Lösungen im Sinne der Bürger". Und: "Man muss bei der Durchsetzung der Vorschriften Abstand zur Politik halten."

Und auch zu den US-Sanktionen und zu "Nord Stream 2" ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Verunsicherung unter den Projektpartnern ist zwar groß. Die Vereinigten Staaten kommen den Europäern aber insofern entgegen, als einzelne Sanktionen gegen europäische Unternehmen vom US-Präsidenten eigens beschlossen werden müssen. Dabei ist er dazu angehalten, sich mit den Verbündeten abzustimmen. Ein weiteres Hintertürchen besteht darin, dass Sanktionen bei einem Gemeinschaftsprojekt überhaupt nur dann zum Tragen kommen, wenn der russische Partner daran mindestens 33 Prozent der Anteile hält. Dieser Passus ist von den US-Parlamentariern offenbar nachträglich und auf Wunsch der Europäer aufgenommen worden - und er verschafft den Pipelineplanern zumindest theoretisch die Möglichkeit, durch ein entsprechendes Konstrukt das gesamte Sanktionskorsett auszuhebeln. Und bei all dem Zirkus um "Nord Stream 2" sollte außerdem nicht vergessen werden: Die Pipeline ist für Gazprom zwar strategisch wichtig. Im Zweifel kommt der Konzern aber auch ganz gut ohne sie zurecht.

So viel zum vielbeschworenen "politischen Risiko" eines Gazprom-Investments. Doch ist die Aktie angesichts dessen ein Kauf? Um dies zu klären, haben wir für die Leser des EMERGING MARKETS TRADER einen ausführlichen Sonderreport erstellt. Die Spezialanalyse widmet sich insbesondere folgenden Fragen:

- Wie haben sich Gazproms Gewinne in den letzten Jahren entwickelt?
- Ist der starke Regierungseinfluss auf Gazprom negativ?
- Hängen Gazproms Exportpreise vom Ölpreis ab?
- Welche Werte schlummern in Gazproms Bilanz?
- Wie hoch ist Gazprom verschuldet?
- Welche Rolle spielt die Verschuldung in Fremdwährungen?
- Ist Gazprom gegenüber Flüssig- und Frackinggas konkurrenzfähig?
- Wie ist das große Erdgas-Lieferabkommen mit China zu bewerten?
- Wie wird sich die Dividende in den nächsten Jahren entwickeln?
- Ist die Gazprom-Aktie unterbewertet?

Der Gazprom-Spezialreport kann auf der Homepage des EMERGING MARKETS TRADER angefordert werden.

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Gerhard Heinrich ist ein ausgewiesener Experte für die Schwellenländerbörsen und Redakteur beim Börsenbrief EMERGING MARKETS TRADER. Dieser Dienst bietet fundierte Analysen zu den Aktienmärkten in Asien, Osteuropa, Lateinamerika und Afrika und konkrete Kaufempfehlungen für Anleger. Mehr Infos unter: www.emerging-markets-trader.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

Nachrichten zu GAZPROM

Analysen zu GAZPROM

DatumRatingAnalyst
21.12.2012Gazprom (Spons ADRs) kaufenUBS AG
12.11.2012Gazprom (Spons ADRs) neutralJ.P. Morgan Cazenove
09.11.2012Gazprom (Spons ADRs) buySociété Générale Group S.A. (SG)
06.11.2012Gazprom (Spons ADRs) buyUBS AG
02.11.2012Gazprom (Spons ADRs) buySociété Générale Group S.A. (SG)
DatumRatingAnalyst
21.12.2012Gazprom (Spons ADRs) kaufenUBS AG
09.11.2012Gazprom (Spons ADRs) buySociété Générale Group S.A. (SG)
06.11.2012Gazprom (Spons ADRs) buyUBS AG
02.11.2012Gazprom (Spons ADRs) buySociété Générale Group S.A. (SG)
18.10.2012Gazprom (Spons ADRs) overweightHSBC
DatumRatingAnalyst
12.11.2012Gazprom (Spons ADRs) neutralJ.P. Morgan Cazenove
10.09.2012Gazprom (Spons ADRs) neutralCredit Suisse Group
29.08.2012Gazprom (Spons ADRs) neutralCredit Suisse Group
20.02.2012Gazprom (Spons ADRs) neutralCredit Suisse Group
13.01.2012Gazprom (Spons ADRs) equal-weightMorgan Stanley
DatumRatingAnalyst
27.05.2010Gazprom "sell"ING
19.05.2009Gazprom underweightAlfa Bank
06.04.2009Gazprom underweightAlfa Bank
22.07.2008Gazprom underweightJP Morgan Chase & Co.
09.02.2006Gazprom neues KurszielCitigroup

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