Aufschwung im Osten: Darum lockt Polens Börse
Die polnische Wirtschaft hat die Corona-Krise dank breiter Diversifikation gut überstanden und sieht positiv in die Zukunft. Die Börse lockt mit günstiger Bewertung, Inflationsgewinnern und innovativen Firmen.
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von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
Das Interesse der Weltöffentlichkeit ist wegen der Flüchtlinge an der Grenze zu Belarus auf Polen gerichtet. Nicht im Fokus ist dagegen, dass sich in dem Land seit Jahren ein kleines Wirtschaftswunder vollzieht. Kein Staat in Europa hat die Finanzkrise so gut überstanden. Seit mehr als zehn Jahren wächst Polen mit hohen Raten.
Auch im ersten Corona-Jahr 2020 ist die Wirtschaft mit einem BIP-Minus von 2,5 Prozent im europäischen Vergleich wenig eingebrochen. Das lag vor allem daran, dass die Wirtschaft vielfältig aufgestellt ist. Das führt zu mehr Unabhängigkeit und Robustheit bei externen Krisen. Hinzu kommt, dass Tourismus und Gastronomie nur eine geringe Rolle in der polnischen Wirtschaft spielen.
Polen exportiert zwar viel, hat aber auch einen großen Binnenmarkt. Schließlich ist es mit 37,9 Millionen Einwohnern das größte Land Osteuropas in der EU. Daher spielt auch der Konsum eine wichtige Rolle. Der brach zwar im Lockdown ein, erholte sich nach Aufhebung der Restriktionen aber rasch wieder, und die zurückgestellten Ausgaben wurden nachgeholt. Neben Lebensmitteln sind die Sektoren Textil, Elektronik und Haushaltsgeräte an der Weichsel stark vertreten.
Bedeutender Autozulieferer
Zu den wichtigen Branchen zählen überdies Bau und Immobilien, Logistik, Finanzen, Industrie und Technologie. Der Bau- und Immobiliensektor boomt seit Jahren. Grund dafür sind Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen- und Eisenbahnbau, die oft von der EU finanziert werden. Seit Kurzem brummt der Kauf von Wohnimmobilien, da die Preise im EU-Maßstab günstig sind. Im Finanzsektor sind neben großen Banken auch bedeutende Fintech-Start-ups entstanden. Die Herstellung von Autoteilen ist der zweitbedeutendste Wirtschaftszweig. Auch auf den Trend zum Elektroauto hat sich Polen eingestellt.
"Eine Rarität für Osteuropa ist Polens Gaming-Sektor", sagt Henning Eßkuchen, Leiter Analyse Osteuropa bei der österreichischen Bank Erste Group. "Hier hat Polen einige innovative Firmen und braucht sich auf dem Weltmarkt nicht zu verstecken", so der Experte. Die bekannteste ist die mit einer Kapitalisierung von 4,1 Milliarden Euro im Leitindex WIG 20 gelistete CD Projekt.
Die Erste Group rechnet für 2022 mit 4,8 Prozent Wachstum, auch weil die Löhne in Polen trotz gut ausgebildeter Arbeitskräfte immer noch relativ niedrig sind. Wegen der geringen Arbeitslosenquote von rund drei Prozent steigen diese aber kräftig. Das ist neben hohen Energiepreisen und Lieferschwierigkeiten einer der Gründe für die anziehende Inflation. Für 2021 wird diese mit fünf Prozent prognostiziert. Polens Nationalbank hat reagiert und den Leitzins in zwei Schritten von 0,1 auf 1,25 Prozent erhöht. Die Erste Group rechnet damit, dass dieser bis Mitte 2022 mindestens auf 2,5 Prozent steigen wird.
Günstige Bewertung
Trotzdem sollte der WIG 20 weiter gut performen. Das liegt neben der boomenden Wirtschaft auch an der Indexzusammensetzung. Mit 37 Prozent sind Banken vor Rohstofffirmen (24 %) am höchsten gewichtet. Diese Sektoren zählen zu den Inflationsgewinnern. Auch die Bewertung ist moderat. Das 2022er-KGV von 11,5 liegt leicht unter dem historischen Schnitt. Das Kurs- Buchwert-Verhältnis ist mit 1,2 günstig. 2021 lief der WIG 20 lange Zeit besser als der DAX, wegen der jüngsten Korrektur ist er mit 14 Prozent Jahresplus nun aber hinter diesen zurückgefallen.
Neben der Verschärfung der Corona-Krise sieht Eßkuchen vor allem politische Risiken. So machten die Zahlungen aus dem EU-Recovery-Fonds fast sieben Prozent des polnischen BIPs aus. "Wenn dieses Geld wegen der unkooperativen Haltung der Regierung in Warschau gegenüber der EU nicht kommt, hätte das negative Auswirkungen auf das BIP", sagt Eßkuchen. Vor allem die umstrittene Justizreform belastet das Verhältnis zu Brüssel. Den Konflikt mit der EU sieht der Experte als Hauptrisiko für Warschaus Börse. "Polens Staatslenker haben noch nicht begriffen, dass die EU kein Sparschwein ist, wo man unten immer nur was rausnimmt, ohne oben was reinzuwerfen", so der Experte.
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