Das andere Hightech-Mekka

Indien: Technologie-Macht in Aufbruchstimmung

29.08.14 15:00 Uhr

Indien: Technologie-Macht in Aufbruchstimmung | finanzen.net

In Deutschland kennt man das Klischee vom "Computer-Inder". Ganz falsch ist es nicht, die IT-Branche spielt in Indien eine tragende Rolle.

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von M. Braun Alexander, Euro am Sonntag

Seit der Wahl Narendra Modis zum Regierungschef am 26. Mai ist Indien in Aufbruchstimmung. Der 63-Jährige hat sich eine Großreform der drittgrößten Volkswirtschaft in Asien mit 1,25 Milliarden Menschen auf die Fahnen geschrieben und treibt diese zielstrebig und mit beachtlicher Unterstützung von Bevölkerung und Wirtschaft voran. Jüngst verkündete er aus Anlass des indischen Unabhängigkeitstags eine historische Zäsur: Das offizielle Ende der Planungskommission des Landes - und damit einer sozialistisch angehauchten Planwirtschaft, die Indien sechs Jahrzehnte lang prägte.

Die Börse in Mumbai, immerhin unter den Top Ten der Welt, boomt entsprechend, das Plus lag 2014 bisher bei 26 Prozent. Jedoch sind indische Aktien nicht mehr billig. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Schätzungen für 2015 liegt über 15 und damit nach einer Berechnung von Bloomberg mehr als 40 Prozent höher als der Schwellenländerindex MSCI Emerging Markets.

Deutsche Anleger assoziieren mit Indien meist die IT-Branche. Und tatsächlich spielt die Informationstechnologie in Indiens Wirtschaft seit der Anfangsphase des globalen Halbleiter- und Computer-Booms vor 30 Jahren eine große Rolle. Die Branche, die in der südindischen Metropole Bangalore besonders stark vertreten ist, setzt jährlich etwa 118 Milliarden Dollar um, mehr als 80 Prozent davon im Ausland. Und sie wächst weiter rasant. Der Branchenverband Nasscom erwartet im bis Ende März dauernden Geschäftsjahr ein Wachstum von 13 bis 15 Prozent. Hitesh Shah von der Anlagegesellschaft IDFC Securities prognostiziert der Branche ein Wachstum von ein bis fünf Prozent - pro Quartal.

Unbekanntes Schwergewicht
Tata Consultancy Services, kurz TCS, liegt am oberen Ende dieses Spektrums. Der IT-Konzern gehört mehrheitlich zur traditionsreichen Tata-Gruppe (Tata Sons), die in Indien hoch angesehen ist und als Allroundkonzern auftritt: Ob Tee (Tetley) oder Kaffee (Tata Starbucks), Luxuslimousinen (Jaguar) oder Billigautos (Nano), Billigherberge (Ginger) oder Luxushotel (Taj), Stahl oder Strom - Tata mischt in den meisten Branchen mit, oft als Marktführer. TCS, Indiens Platzhirsch, wird an der Börse zurzeit mit umgerechnet knapp 60 Milliarden Euro bewertet und ist damit ein Indexschwergewicht, das global in einer Liga mit der deutschen SAP spielt.

Im zweiten Quartal 2014 lag der Umsatz 25 Prozent höher als im Vorjahresquartal, der Gewinn stieg um 55 Prozent. Seit 2004, als TCS an die Börse ging, hat sich der Gewinn verachtfacht, der Aktienkurs verzehnfacht. Das Geschäft von TCS ist längst global. Lediglich sieben Prozent des Umsatzes entfallen auf Indien, 53 Prozent auf Nordamerika und 17 Prozent auf Großbritannien. TCS wächst nicht nur schneller als die Konkurrenz, sondern ist auch fast schuldenfrei und erzielt hohe Eigenkapitalrenditen und Cashflows.

Aktuell zählt das Unternehmen 24 Kunden, die jeweils einen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Dollar verbuchen - noch vor zehn Jahren gab es davon nicht einen. Auch im Hinblick auf die in der IT-Branche wichtige Mitarbeiterstruktur glänzt das von Natarajan Chandrasekaran geführte Unternehmen. TCS beschäftigt mehr als 300.000 Menschen, weitere 55.000 sollen im laufenden Geschäftsjahr dazukommen. Gemessen am Personalstand wird die Tata-Tochter in den nächsten Monaten voraussichtlich zum zweitgrößten IT-Unternehmen der Welt hinter IBM aufsteigen.

Infosys, 1981 von sieben Softwarespezialisten gegründet und heute die Nummer 2 der Branche, sieht ebenfalls auf den ersten Blick interessant aus. Im jüngsten Geschäftsjahr wuchs der Umsatz in Rupien um 20,6 Prozent, für das kommende Jahr rechnet das Management mit einem Plus von sechs bis acht Prozent. Das in Bangalore beheimatete Unternehmen mit gut 160.000 Mitarbeitern macht die Hälfte seines Geschäfts in den USA. Die Eigenkapitalrendite lag zuletzt bei 25 Prozent. Infosys ist ebenfalls fast schuldenfrei.

Dennoch ist die "Infy"-Aktie, wie sie in Indien oft genannt wird, dem Kursplus von TCS in den vergangenen fünf Jahren hinterhergelaufen. Zuletzt war der Konzern scheinbar mehr mit sich selbst als mit den Kunden beschäftigt: Die Spitzengremien suchten in- und extern nach einem neuen Chef, der Infosys zukunftsfähig machen kann. Das Führungsvakuum ließ zahlreiche Manager das Weite suchen - mit Auswirkungen auf die Auftragslage. Zwischen Mai 2013 und Mai 2014 verabschiedeten sich mehr als 500 Manager der mittleren Führungsebene.

Wende bei der Nummer 2
Nun könnte endlich Ruhe einkehren. Am 1. August trat der neue CEO seinen Dienst an: der 47-jährige Vishal Sikka, der bis Mai 2014 beim deutschen Softwareanbieter SAP als Technologiechef wirkte. Mit umgerechnet 5,2 Millionen Euro im Jahr wird er der bestbezahlte IT-Firmenchef in Indien sein. Vor allem signalisiert Sikka aber einen epochalen Wechsel: Er ist der erste Infosys-Chef, der nicht aus der Gründerriege des Konzerns stammt, sondern von außen kommt. Sikka hat bereits angekündigt, weiterhin im kalifornischen Palo Alto wohnen zu wollen - näher an den Kunden, aber weit weg von den Wurzeln der Firma. Angesichts der Stimmungslage im Haus eine gewagte Entscheidung.

Neben TCS und Infosys weist Indien viele weitere IT-Unternehmen mit guten oder sogar exzellenten Zahlen auf. Wipro, die Nummer 3, wurde 1945 als Gemüsefirma ("Western India Vegetable Products") gegründet, macht aber seit den 80er-Jahren erfolgreich in Informationstechnologie. Auch HCL Technologies ist einen Blick wert.

Anleger sollten jedoch beachten, dass Indiens Konzerne anfällig für Schwankungen der Landeswährung Rupie sind. Im Zuge der Modi-Reformen rechnen viele Beobachter mit einer starken Rupie. Steigt sie gegenüber dem US-Dollar, werden IT-Produkte und -Dienstleistungen für ausländische Kunden teurer, Geschäft und Gewinne könnten schwächeln. Außerdem sind Indiens Aktien nach den massiven Kursanstiegen hoch bewertet. Wer einsteigen will, sollte eine Korrektur abwarten.

Investor-Info

Indische Aktien
Nur Großkonzerne handelbar

Deutsche Privatanleger, die in indische Firmen investieren wollen, haben es schwer - Aktien des Subkontinents sind an deutschen Börsen selten zu bekommen. Falls doch, sind die Handelsbedingungen oft ungünstig und die Gebühren abschreckend. Selbst große Onlinebroker winken beim Stichwort Indien bislang ab. "Pauschal muss man sagen, dass es bei uns tatsächlich nicht geht", sagt Dirk Althoff, Sprecher von Cortal Consors. Auch bei ING DiBa fliegt Indien im Brokergeschäft unter dem Radar. "Das sind zu sehr Nebenwerte", sagt Sprecher Alexander Baumgart. Sogar einige der indischen Bluechips sind hierzulande nur schwer zu handeln. Sie werden mal als "normale" Aktien, mal als ADR (American Depositary Receipt) oder GDR (Global Depositary Receipt) gehandelt - was praktisch auf das Gleiche hinausläuft. Allerdings sind selbst bei diesen Unternehmen die Umsätze oft gering und die Spreads zwischen An- und Verkaufskursen hoch, sodass Anleger unbedingt mit Limits ordern und etwas Geduld mitbringen sollten. Wer die Möglichkeit hat, zu vertretbaren Gebühren in New York, London oder an anderen großen Auslandsbörsen zu handeln, kann dort mitunter schneller und günstiger zum Zuge kommen. Und wer jenseits der in dieser Serie vorgestellten Bluechips in Indien investieren will, fährt sowieso bis auf Weiteres am besten, wenn er indirekt investiert - etwa per Investmentfonds oder ETF.

Infosys
In Deutschland bekannt

Obwohl Infosys in Indien nur die Nummer 2 der Branche ist, ist die Aktie bei deutschen Anlegern der wohl bekannteste indische Technologiewert. Das Unternehmen hat Potenzial, erholt sich aber gerade von einem Zwischentief. Der neue Chef Vishal Sikka muss Infosys wieder auf Kurs bringen und die massive Abwanderung von Managern stoppen. Wette auf die Wende.

TCS, Wipro, HCL Technologies
Groß, gut, unbekannt

Nach Marktkapitalisierung ist TCS mit umgerechnet fast 60 Milliarden Euro das größte börsennotierte Unternehmen Indiens - und ein exzellentes obendrein. Seit dem Börsengang vor zehn Jahren liefert der zur Tata-Gruppe gehörende Konzern kontinuierlich glänzende Ergebnisse bei Umsatz, Gewinn und Eigenkapital. Die Aktie ist allerdings in Deutschland schwer zu kaufen. Ein gutes Langfristinvestment ist auch Wipro. Die Nummer 3 der Branche mit fast 150.000 Mitarbeitern fing 1945 mit Gemüse an und macht nach einem Totalumbau seit etwa 30 Jahren vor allem in Hightech. Ein klassischer Wachstumswert ist hingegen HCL Technologies.

Indien
Vom Himalaya zum Ozean

Indien besteht aus 29 Bundesstaaten und ist mit 3,3 Millionen Quadratkilometer Fläche fast zehnmal so groß wie Deutschland. An Indiens Börse in ­Mumbai geht es derzeit kräftig aufwärts. Am ­einfachsten investieren Anleger mit einem Indexfonds (ETF) wie dem db X-trackers MSCI India (ISIN: LU 051 469 518 7) in indische ­Aktien. Infosys ist dabei die größte Position, TCS ist auf Platz 4. Breiter aufgestellt ist der First State Indian Subcontinent (GB 00B 1FX TF8 6). Die Fondsmanager haben 90 Prozent des Kapitals in indische Aktien investiert, der Rest verteilt sich auf Staaten wie Bhutan oder Sri Lanka, die zum indischen Subkontinent zählen und wirtschaftlich eng mit Indien verflochten sind.

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