CureVac macht Tempo

CureVac-Chefin Fotin-Mleczek: "Enorme Erwartungshaltung"

04.10.20 16:23 Uhr

CureVac-Chefin Fotin-Mleczek: "Enorme Erwartungshaltung" | finanzen.net
Mariola Fotin-Mlczek, CTO bei CureVac

Die Technologie-Chefin der Biotechfirma CureVac über den Corona-Impfstoff, die Idee hinter mRNA-Therapien und warum das Unternehmen gegen vernachlässigte Krankheiten kämpft.

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von Julia Groß, Euro am Sonntag

Die Friedrich-Miescher-Straße ist so neu, dass der Taxifahrer sie nicht kennt. Beim Stichwort "CureVac" wissen seine Kollegen am Tübinger Hauptbahnhof jedoch mit einer Wegbeschreibung auszuhelfen. Kein Wunder, ist doch die Biotechfirma dank ihrer Corona-Impfstoff-Entwicklung seit Anfang des Jahres in aller Munde - erst die Gerüchte, Donald Trump wolle die Firma in die USA locken, dann abrupte Chefwechsel, der Einstieg der Bundesregierung und ein erfolgreicher Börsengang an der Nasdaq. Vor wenigen Tagen schaute auch noch Tesla-Boss Elon Musk vorbei, denn eine Tesla- Tochterfirma baut mit CureVac RNA-Produktionsmaschinen. Normalen Alltag gab es also für Technologie-Chefin Mariola Fotin-Mleczek schon lange nicht mehr.

€uro am Sonntag: Fangen wir doch bei den Basics an: Was ist überhaupt mRNA?

Mariola Fotin-Mleczek: mRNA ist ein Molekül, das wir alle in unseren Zellen tragen. Das "m" steht für Messenger, also Bote. Die Gene, die den Bauplan für alle Eiweiße enthalten, sind in der DNA gespeichert. Aber die wird nicht direkt zur Eiweißproduktion benutzt, sondern mRNA ist der Vermittler, der Bote. Kleine Produktionsstätten in unseren Zellen, die Ribosomen, docken an die mRNA an und stellen dann die Eiweiße her.

Und wieso eignet sich mRNA als Impfstoff oder Therapie? Was ist das Besondere daran?

Dass es ein natürlicher Mechanismus ist. Jedes Eiweiß, egal wie kompliziert es aufgebaut ist, welche Funktion es erfüllt oder wo es vorkommt, ist in mRNA kodiert. Das heißt, es gibt keine Limitationen. Viele rekombinante Proteine, also Moleküle, die man biotechnologisch als Medikament herstellt, sind extrem schwierig außerhalb des Körpers herzustellen. Mit mRNA verfolgen wir einen anderen Ansatz: Wir produzieren im Körper. Wir geben den Zellen nur die Bauanleitung und wissen, dass sie das Protein problemlos herstellen können. Und man kann die Eiweiße auch modifizieren, also zum Beispiel bestimmte Eigenschaften verbessern.

Dazu muss die mRNA aber erst mal in die Zelle hinein. Dagegen hat der Körper diverse Abwehrmechanismen. Wie lösen Sie das?

Wir kapseln die mRNA dazu in Lipid-Nanopartikel ein. Die schützen die mRNA vor Enzymen, die sie abbauen, und erlauben den Transport durch die Zellmembran.

Alle drei großen mRNA-Unternehmen, die jetzt an Corona-Impfstoffen arbeiten - CureVac, Moderna und BioNTech - nutzen "Verpackungstechnologie" von anderen Firmen, CureVac etwa von Acuitas. Sind Sie eingeschränkt, was die Verwendung angeht, gibt es Alternativen?

Der Vertrag mit Acuitas ist ein typischer Kooperationsvertrag. Es gibt bestimmte Einschränkungen, man kann eine bestimmte Anzahl von Targets entwickeln, man kann Lizenzen nehmen oder reservieren. Darüber hinaus arbeiten wir an unseren eigenen Lipid-basierten Systemen. Es gibt viele Möglichkeiten, diese Lipide noch zu optimieren, da sind wir sehr aktiv.

Welche Verpackung benutzen Sie für den COVID-Impfstoff, Ihre eigene oder die von Acuitas?

Für den COVID-Impfstoff benutzen wir die Lösung, die Acuitas entwickelt hat. Die verwenden wir auch bei unserem Tollwut-Impfstoff. Es war uns wichtig, dass wir von da schon entsprechende Erfahrungen und Daten haben.

Wie kam es innerhalb des Managements zu der Entscheidung, in die Entwicklung eines COVID-Impfstoffs einzusteigen?

Das war ein fließender, aufeinander aufbauender Prozess. Wir haben bereits mehrere Projekte mit prophylaktischen Impfstoffen, wir haben seit 2019 einen Kooperationsvertrag mit CEPI * für den RNA-Printer, wir bekamen im Dezember positive Daten unseres Tollwut-Impfstoffs, die in einer klinischen Phase 1 gezeigt haben, dass wir protektive Antikörper bei Menschen induzieren können. Und wir erhielten ebenfalls im Dezember die behördliche Erlaubnis für unsere neue Produktionslinie. Als die Nachrichten aus China über das Coronavirus im Januar immer höhere Wellen schlugen, haben wir uns gefragt, ob das etwas für uns wäre. Denn wir haben die Technologie, wir haben humane Daten, die zeigen, dass es funktionieren kann, wir haben die Produktion. Als CEPI zugesagt hat, die Kosten für die Phase 1 zu übernehmen, haben wir beschlossen, es zu versuchen.

Heißt das im Umkehrschluss, ohne das Geld von CEPI hätten Sie auf das Projekt verzichtet?

Die Tatsache, dass wir erst einmal kein eigenes Geld in die Hand nehmen mussten, war sicher ein Katalysator für die Entscheidungsfindung. Es ist ja ein großes unternehmerisches Risiko, solche Entwicklungen sind sehr zeit- und kostenintensiv. Und im Januar, Februar gab es noch viele Stimmen, die gesagt haben, in zwei Monaten spricht kein Mensch mehr über Corona. So war es ja in der Vergangenheit mehrfach, etwa bei Zika.

Wann können wir mit den ersten Ergebnissen rechnen?

Die Phase 1 zur Dosisfindung läuft noch. Die Analysen werden demnächst abgeschlossen, sodass wir im vierten Quartal mit den Ergebnissen rechnen. Darüber hinaus soll noch eine Dosisfindung bei älteren Probanden über 60 stattfinden, weil die oft etwas anders reagieren.

Neun Wettbewerber von CureVac haben kürzlich öffentlich erklärt, erst eine Zulassung für einen COVID-Impfstoff zu beantragen, wenn den regulatorischen Standards entsprechend Sicherheit und Wirksamkeit nachgewiesen seien. Wir beurteilen Sie diesen ungewöhnlichen Schritt?

Das ist sehr vernünftig. Die enorme Erwartungshaltung, dass der erste Schuss ein Treffer wird, kann gefährlich für den Entwicklungsprozess sein. Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass die Sicherheit der Probanden oberste Priorität hat. Entscheidungen müssen immer datenbasiert sein, andere Faktoren dürfen keinen Einfluss haben. Man schaut immer wieder, ist das Produkt gut und sicher genug. Wenn ja, macht man weiter, sonst geht man einen Schritt zurück. Das ist in der Impfstoffentwicklung normalerweise immer so. Deshalb arbeiten wir im Hintergrund auch bereits an Weiterentwicklungen unseres Impfstoffkandidaten, die potenter, aber auch verträglicher sein könnten.

mRNA-Impfstoffe lassen sich schneller herstellen als traditionelle Vakzine. Bei der Distribution sind sie aber im Nachteil, weil sie bei -20 oder sogar -70 Grad gelagert werden müssen, heißt es. Wie sieht das bei CureVacs COVID-Impfstoff aus?

Weil wir für unseren COVID-Impfstoff noch keine Langzeitdaten haben, nutzen wir aktuell für die Phase 1 noch eingefrorenen Impfstoff. Wir sind aber zuversichtlich, dass für die Lagerung und Distribution des finalen Produktes Kühlschranktemperatur möglich ist. Wir haben aus der Tollwut-Studie Daten, die zeigen, dass die mRNA im Kühlschrank monatelang stabil ist. Das bezieht sich auf einen gelösten Impfstoff. Man kann mRNA auch die Flüssigkeit entziehen, dann hält sie sich auch bei 30 Grad auf der Fensterbank.

Auf welchem Stand ist der RNA-Printer, den CureVac mit der Tesla-Tochter Grohmann entwickelt?

Die Geräte sind in der Entwicklung, sie werden noch nicht in der normalen Produktion benutzt. Wir haben einen Prototypen für die mRNA- Synthese, der funktioniert. Da haben wir bereits viele Erfahrungen gesammelt. Dann wird es ein Modul geben für die DNA, die man als Template benötigt, und eins für die Formulierung mit den Lipid-Nanopartikeln. An diesen beiden Modulen wird gearbeitet.

CureVac will mit RNA nicht nur impfen, sondern auch Krebs bekämpfen. Wie soll das funktionieren?

Bei den prophylaktischen Impfstoffen machen wir das Immunsystem auf ein Eiweiß aufmerksam, das normalerweise nicht in den Zellen vorkommt. Das Immunsystem kontrolliert permanent, was die Zellen präsentieren. Sobald es fremdes Protein erkennt, wird es aktiviert und produziert Antikörper dagegen. Bei den Tumorzellen ist der Ansatz ähnlich. Denn die besitzen zum Beispiel Proteine, die in gesunden Zellen gar nicht oder nur wenig vorkommen. So kann man auch eine Immunantwort gegen die Tumorzellen auslösen.

Bei Ihrem Prostatakrebs-Produkt hat das aber nicht funktioniert. Generell fällt die Bilanz solcher Tumor-Vakzine bisher gemischt aus. Was macht Sie optimistisch, dass Ihre anderen Krebs-Projekte besser abschneiden?

Wenn eine Studie scheitert, heißt das nicht, dass der ganze Ansatz keinen Sinn macht. Es ist ein Lernprozess, so funktioniert Forschung. In der Vergangenheit hat man - auch wir - gedacht, dass allein die Präsentation der Tumor-typischen Proteine reicht, um das Immunsystem zu aktivieren. Aber das Immunsystem lernt, diese Proteine zu tolerieren. Auch die Formulierung, die wir damals bei der Prostatakrebs-Studie verwendet haben, war nicht effizient genug. Wenn man aber das Protein mit einer Art Alarmglocke versieht, die sagt, dass es gefährlich ist, dann zeigen unsere Experimente in Modellen, dass man die Immuntoleranz brechen kann. Und die Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren könnte synergistisch wirken.

Da klingt aber die Entwicklung von Impfstoffen vielleicht nicht einfacher, aber zumindest geradliniger.

Auf jeden Fall. Allein schon weil Tumorzellen Tausende von Eiweißen haben, das Virus SARS-CoV-2 beispielsweise aber nur ein paar.

Wäre es dann nicht strategisch sinnvoller, sich als Firma auf Infektionskrankheiten zu beschränken?

Das ist definitiv ein wichtiger Bestandteil unseres Portfolios, um die Technologie zu validieren. Aber wir brauchen als Biotechfirma ständig neues Kapital, und prophylaktische Impfstoffe standen bei Investoren nie besonders hoch im Kurs. Diese Wahrnehmung beginnt sich erst jetzt durch die Pandemie zu verändern.

Welches Feedback erhalten Sie denn von Investoren für Ihre zahlreichen Projekte zu vernachlässigten Krankheiten wie Malaria?

Das wird angenommen, weil wir dafür nicht unser eigenes Kapital einsetzen. Investoren suchen immer nach Wertetreibern, und da stehen solche Projekte nicht ganz oben auf der Liste. Man braucht als Unternehmen immer noch andere Projekte, um Investoren zu überzeugen, dass es die Chance auf einen Return on Investment gibt.

Warum arbeiten Sie dann überhaupt an diesen Impfstoffen, was hat CureVac davon?

Infektionskrankheiten wie Malaria sind nicht unsere Kernkompetenz. Wir erhalten durch diese Arbeit aber Zugang zu den weltbesten Experten auf diesem Gebiet, wir profitieren von dem ganzen Netzwerk und gewinnen viel Wissen dazu, das wir dann wieder selbst nutzen können. Andersherum fließt natürlich auch die Erfahrung aus unseren anderen Projekten in diese Kooperationen ein.

Wie ist der aktuelle Stand bei CureVacs anderem fortgeschrittenen Impfstoff neben COVID, CV7202 gegen Tollwut? Es gibt ja bereits einen zugelassenen Tollwut-Impfstoff auf dem Markt, wo sehen Sie da das kommerzielle Potenzial?

Wir haben Tollwut ausgewählt, weil hier - im Gegensatz zu COVID - genau definiert ist, welche Antikörperlevel Geimpfte erreichen müssen, um geschützt zu sein. Das heißt, man braucht keine riesigen Studien für eine Zulassung. Der existierende Impfstoff muss drei Mal gegeben werden, und es gibt immer wieder Lieferengpässe. Von daher könnten wir eine Lücke füllen mit einem Produkt, das besser verfügbar ist und vielleicht weniger Dosen benötigt. Momentan fokussiert sich CureVac ganz auf den COVID-Impfstoff, aber wenn es ein bisschen Luft gibt, werden wir bei Tollwut die Entwicklung fortsetzen.


Die Aktie:

Mit hohem Risiko

CureVac ist mit rund acht Milliarden Euro günstiger bewertet als die Konkurrenten BioNTech und Moderna. Allerdings hat die Tübinger Firma auch weniger und nicht so weit fortgeschrittene Projekte in der Entwicklungspipeline als die Wettbewerber. Geldmangel herrscht nach diversen Finanzspritzen und dem IPO nicht. Spekulatives Investment.

Vita:

Die Wissenschaftlerin

Mariola Fotin-Mleczek (53) ist seit 2006 bei CureVac. Aktuell bekleidet sie im Vorstand die Position des Chief Technology Officers. Sie hat an der Universität Stuttgart in Biologie promoviert und hält als Erfinderin mehrere Schlüsselpatente im Zusammenhang mit der mRNA-Technologie.









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Bildquellen: CureVac

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