Öl- und Gasmacht Russland kämpft mit Milliardenverlusten
Nach rund einem Monat Zwangsferien für die Wirtschaft in Russland fordern auch deutsche Unternehmen in dem Riesenreich einen Neustart ins Arbeitsleben.
"Der Staat muss mehr Eigenverantwortung zulassen. Die Unternehmen sind in der Lage, ihre Mitarbeiter mit entsprechenden Hygienemaßnahmen gut zu schützen, letztlich besser als der Staat", sagte der Chef der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK), Matthias Schepp, der Deutschen Presse-Agentur in Moskau. Präsident Wladimir Putin hatte einen arbeitsfreien Monat bis Ende April angeordnet. Er will sich in dieser Woche äußern, ob der Lockdown verlängert wird.
Rund 100 Milliarden Rubel (rund 1,2 Mrd Euro) koste der Stillstand in der Corona-Krise Russland im Moment jeden Tag, sagte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow im Staatsfernsehen. Weil zudem die Preise für Öl und Gas im Keller sind und der Energieverbrauch gesunken ist, entstehen bei der vom Rohstoffverkauf abhängigen Großmacht Milliardenlöcher im Haushalt. Russlands Staatsetat fußt auf einem Preis von 42 US-Dollar (39 Euro) je Barrel (159 Liter) Öl. Am Montagnachmittag fiel der Preis für amerikanisches Leichtöl unter die Marke von 12 US-Dollar je Barrel. Der Preis für die europäische Sorte Brent sank unter die Marke von 20 Dollar.
Die Deutsche Bank rechnete zuletzt aus, dass Russlands Reserven im Nationalen Wohlstandsfonds bei Preisen von 15 Dollar je Barrel nur zwei Jahre ausreichen. Rund 142,7 Milliarden Dollar sind in dem Fonds, den Putin angesichts vieler ausgestreckter Hände gerade wie eine Schatztruhe hütet. Medien warnten zuletzt vor einem Rückfall in die von extremer Armut geprägten 1990er Jahre in Russland, sollte die Regierung nicht mehr Geld für Wirtschaft und die Menschen ausgeben.
Aktuell geht Alexej Kudrin, der Chef des russischen Rechnungshofes, von einem Loch von bis zu vier Billionen Rubel (rund 50 Mrd Euro) im Haushalt aus. Die Wirtschaft schrumpfe in diesem Jahr um sechs bis acht Prozent, meinte er. Die Arbeitslosigkeit drohe, auf einen Wert von zehn Prozent - das sind bis zu neun Millionen Menschen - zu steigen. Schon jetzt klagen viele Menschen, dass die Einkommen vorn und hinten nicht reichten.
Das Durchschnittseinkommen pro Monat lag zuletzt laut Statistikbehörde Rosstat bei 47 254 Rubel (585 Euro). Analysten verzeichnen aber bereits jetzt massive Rückgänge - bei parallel steigenden Lebensmittelpreisen. Weil der Rubel im Vergleich zum Euro und Dollar massiv an Wert verlor, verteuerten sich zudem die für Devisen eingekauften Waren.
Auch der weltgrößte Gaskonzern GAZPROM hatte seinen Haushalt für dieses Jahr auf Grundlage von 200 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas berechnet. Aktuell liegt er nicht einmal mehr bei der Hälfte. Weil Gazprom etwa mit deutschen Abnehmern langfristige Lieferverträge schließt, können deutsche Verbraucher wohl kaum mit sinkenden Gaspreisen rechnen. Trotzdem droht auch dem Staatskonzern ein Sparprogramm, wie die Denkfabrik Carnegie Center in Moskau schrieb.
Bei den traditionell am stärksten in Russland vertretenen deutschen Wirtschaftsvertretern macht sich Krisenstimmung breit. Die rund 4200 Unternehmen in Russland hätten bereits Verluste von Hunderten Millionen Euro verzeichnet, sagte AHK-Chef Schepp in Moskau. So stehe etwa auch das große Volkswagen (Volkswagen (VW) vz)-Werk in Kaluga, ein deutsches Vorzeigeprojekt in Russland, seit dem 30. März still. Schepp sieht die Gefahr, dass sich die russische Führung zu wenig um den Klein- und Mittelstand kümmere und vor allem große Konzerne mit guten Kontakten zum Machtapparat in der Krise unterstütze.
Russland sitze auf hohen Geld- und Währungsreserven und sei in der Lage, solche Hilfen zu leisten, sagte Schepp. Die meisten deutschen Unternehmen hielten die Stützungsmaßnahmen einer AHK-Umfrage zufolge für unzureichend, sagte er mit Blick auf die Regierung unter Ministerpräsident Michail Mischustin, die inzwischen 100 Tage im Amt ist.
Kremlchef Putin hatte angesichts der tiefen Krise in Russland schon vor der Corona-Pandemie am 21. Januar eine neue Regierung eingesetzt. Das Kabinett muss zusätzlich zur ohnehin seit Jahren schwierigen Lage und zu den drückenden Wirtschaftssanktionen der EU und der USA im Ukraine-Konflikt nun mit den Folgen der Pandemie kämpfen.
MOSKAU (dpa-AFX)
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