Lockdown wird verlängert - 'Notbremse' soll bleiben
Angesichts stark steigender Corona-Infektionszahlen soll der Lockdown in Deutschland bis zum 18. April verlängert werden.
Das haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder am Montag bei ihren Beratungen über den weiteren Kampf gegen die Pandemie beschlossen, wie die Deutsche Presse-Agentur aus mehreren Quellen erfuhr. Die strengen Kontaktregeln sollen auch für Verwandtenbesuche über Ostern nicht gelockert werden. Ein endgültiger Beschluss über die künftigen Maßnahmen stand aber noch aus.
Nachdem Bund und Länder erst Anfang März einen Lockerungskurs eingeschlagen hatten, stehen die Zeichen nach dem massiven Anstieg der Infektionszahlen nun wieder auf Verschärfung. Die "Notbremse" für bereits erfolgte Lockerungen wie die Öffnung von Geschäften, Museen und Sportanlagen soll bestehen bleiben. Sie gilt für Regionen, in denen die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen über 100 steigt. Das ist inzwischen für weite Teile Deutschlands der Fall - gehandelt wird aber oft trotzdem nicht. Der Durchschnittswert für das ganze Land liegt seit Sonntag über 100.
Ein Beschlussentwurf, der am Montag kurz vor den Beratungen vom Kanzleramt verschickt worden war, hatte noch eine leichte Lockerung der Kontaktregeln für Verwandtenbesuche über Ostern vorgesehen, die dann wieder einkassiert wurde. Das Papier enthielt auch den Vorschlag, Schulen und Kitas zu schließen oder gar nicht zu öffnen, sofern Erzieher, Lehrer und Schüler oder betreute Kinder nicht zweimal pro Woche getestet werden könnten. Ab einer Inzidenz von 200 könnte es demnach auch eine Schließung von Schulen und Kitas geben, wobei dies "mit einigen Tagen Vorlauf" geschehen würde, "damit sich Familien darauf einstellen können". Diese Passage stand aber noch in eckigen Klammern, das heißt, es gab noch keinen Konsens darüber.
Unklar war am frühen Abend auch noch, was aus dem Osterurlaub im In- und Ausland werden soll. "Bund und Länder appellieren weiterhin eindringlich an alle Bürgerinnen und Bürger, auf nicht zwingend notwendige Reisen im Inland und auch ins Ausland zu verzichten", hieß es in der Beschlussvorlage. "Das Auftreten von verschiedenen Covid-19-Varianten und deren weltweite Verbreitung haben gezeigt, dass der grenzüberschreitende Reiseverkehr auch weiterhin auf das absolut erforderliche Mindestmaß begrenzt werden muss."
Trotzdem setzten sich vor allem Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz dafür ein, "kontaktarmen Urlaube" zu ermöglichen - also Urlaub in Ferienwohnungen oder -häusern, Appartements oder Wohnmobilen, sofern diese über eigene sanitäre Anlagen verfügen und Urlauber sich dort auch mit Essen versorgen können. Einen Beschluss dazu gab es zunächst nicht.
Es blieb auch noch unklar, ob es neue Auflagen für Mallorca-Urlauber geben wird. Die Bundesregierung hatte die Lieblingsinsel der Deutschen vor einer Woche von der Liste der Risikogebiete gestrichen und die Reisewarnung wegen stark gesunkener Infektionszahlen aufgehoben. Damit entfiel auch die Testpflicht und die Quarantäne für Rückkehrer. Das hat zu einem Buchungsboom geführt, aber auch zu hitzigen Diskussionen, ob man damit einen neuen Infektionsherd riskiert. Deswegen standen bei den Beratungen Forderungen nach einer Wiedereinführung der Testpflicht und auch nach einer Wiedereinführung der Quarantäne im Raum.
Zur Lage in Alten- und Pflegeeinrichtungen wurde in dem Beschlusspapier festgehalten, dass es nun "die Erwartung einer Normalisierung der seit langem angespannten Situation" gebe, nachdem Bewohnerinnen und Bewohner sowie Beschäftigte vorrangig geimpft worden seien. Da weiterhin unsicher sei, inwieweit die Impfung ausschließe, dass Geimpfte andere anstecken könnten, müssten Hygiene- und Testkonzepte weiter konsequent umgesetzt werden. Zugleich könnten aber zwei Wochen nach der Zweitimpfung die Besuchsmöglichkeiten in Einrichtungen ohne Corona-Ausbruch wieder erweitert und auch übergreifende Gruppenangebote wieder gemacht werden. Ungeimpfte wie etwa neue Bewohner sollten zügig ein Impfangebot bekommen.
Nur an einer Stelle stellte die Beschlussvorlage Lockerungen vage in Aussicht. Die Länder könnten im Rahmen von zeitlich befristeten Modellprojekten in wenigen ausgewählten Regionen mit niedriger Inzidenz testen, wie unter strengen Auflagen und mit einem Testkonzept einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens wieder geöffnet werden könnten.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer machte vor den Beratungen keine Hoffungen auf weitere Lockerungen. "Innerhalb von zwei Wochen hat sich die Zahl der infizierten Sachsen verdoppelt. So bitter es auch ist, wir müssen diese Entwicklung ausbremsen", erklärte der CDU-Politiker am Montag auf Facebook. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sträubte sich gegen pauschale nächtliche Ausgangsbeschränkungen. "Eine generelle Ausgangssperre wird es mit dem Ministerpräsidenten nicht geben", sagte ein Regierungssprecher.
Bundesregierung: Ausreichend Corona-Tests in Deutschland
Den Bundesländern stehen nach Angaben der Bundesregierung ausreichend Corona-Tests für die kommenden Wochen zur Verfügung. So vermittelte die Taskforce Testlogistik den Ländern abrufbare Kontingente von mehr als 130 Millionen Selbsttests für März und April, wie eine der Deutschen Presse-Agentur vorliegende Übersicht des Bundesgesundheitsministeriums zeigt. 70,5 Millionen dieser Tests können demnach beim Hersteller Roche bestellt werden, 62 Millionen bei Siemens. Mit mehreren Anbietern schloss das Ministerium zudem weitere Vereinbarungen über Selbsttests für Bestellungen zu einheitlichen Konditionen ab, wie es weiter hieß.
Zudem gibt es den Angaben zufolge genügend Schnelltests zur Anwendung durch geschultes Personal - aus einem bereits vergangenes Jahr für 2021 gesicherten Kontingent von 550 Millionen und weiteren Kontingenten von knapp 100 Millionen Stück. 150 Millionen dieser Schnelltests seien im März bestellbar. Über eine Vereinbarung der EU könnten die Länder weitere 240 Millionen ordern.
Somit gibt es laut Bundesgesundheitsministerium keine Probleme, die Tests zu bekommen. Diese seien lieferbar, für Bestellung und Verteilung seien die Länder zuständig. Laut einem Bund-Länder-Beschluss soll jeder Mensch in Deutschland mindestens einen kostenlosen Schnelltest pro Woche durchführen lassen können.
Die Arbeitsgruppe unter Leitung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wurde von der Corona-Spitzenrunde von Bund und Ländern am 3. März eingesetzt. Sie habe entscheidend dazu beigetragen, dass sich alle Länder ausreichend versorgen und danach die Tests selbstständig bestellen können, hieß es in Spahns Ressort. Nach Feststellung von Bund und Ländern in der Taskforce hat diese ihre Aufgaben zunächst erfüllt und tritt bei Bedarf wieder zusammen.
Die Tests sollen weiter eine entscheidende Rolle spielen. So stand bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Abend laut einer Beschlussvorlage die Schließung beziehungsweise keine Öffnung von Schulen und Kitas zur Debatte, wenn kein zweimaliger Coronatest pro Woche für alle Erziehungs- und Lehrkräfte sowie Kinder und Jugendliche sichergestellt ist.
Diskutiert wird laut Vorlage auch eine Testpflicht für Auslandsreisende. Geplant ist laut Entwurf von Mittwochnachmittag auch die Öffnung von Bereichen des öffentlichen Lebens in ausgewählten Regionen bei lückenlosen negativen Testergebnissen.
Dritte Corona-Welle rollt: Deutlich mehr Menschen stecken sich an
Die Infektionslage in Deutschland verschlechtert sich rasant. So steckten sich zuletzt knapp 60 Prozent mehr Menschen nachweislich mit dem Coronavirus an als noch vor zwei Wochen. Das Robert Koch-Institut gab die sogenannte 7-Tage-Inzidenz - also die Zahl an Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche - am Montagmorgen mit 107,3 an. Das ist der höchste Stand seit 26. Januar. Vor 14 Tagen lag die Inzidenz noch bei 68,0. Das Infektionsgeschehen hatte um Weihnachten herum seinen bisherigen Höhepunkt erreicht. Dann waren die Zahlen bis etwa Mitte Februar deutlich gefallen.
Ein Grund für den erneuten Anstieg - trotz Lockdowns - dürfte die ansteckendere und wohl auch etwas gefährlichere Corona-Variante B.1.1.7 sein, die das Infektionsgeschehen in Deutschland mittlerweile dominiert. Im Laufe des Montags wollten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen beraten.
Experten befürchten, dass die ersehnte saisonale Entspannung im Frühjahr durch die Variante schwächer ausfällt als erhofft. Grundsätzlich würden Umweltfaktoren wie etwa UV-Strahlen und höhere Temperaturen sowie das vermehrten Aufhalten im Freien in der wärmeren Jahreszeit helfen, das Infektionsgeschehen zu bremsen, sagte der Virologe Ulf Dittmer der Deutschen Presse-Agentur. "Dieser Vorteil könnte jetzt - und das ist ein wenig die Gefahr - von den Mutanten aufgefressen werden."
Das könnte dazu führen, dass der sogenannte R-Wert im Frühjahr und Sommer nicht langfristig unter die Schwelle von 1 sinke, ab der die Pandemie abflaut. Am Montagabend gab das RKI den bundesweiten Sieben-Tage-R-Wert mit 1,12 (Vortag 1,22) an. Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 112 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab.
Die Intensivstationen in Deutschland erwarten wieder deutlich mehr Corona-Patienten mit schwerem Verlauf. "Wir starten jetzt auf den Intensivstationen in die dritte Welle und das auf einem sehr hohem Niveau. Davor hatten wir bereits Ende Februar gewarnt und das bereitet uns große Sorgen", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx.
Nach Divi-Daten wurden am Montag 3145 Covid-19-Patienten auf deutschen Intensivstationen behandelt. Damit liegt die Belastung im Moment erneut so hoch wie zu den Spitzenzeiten in der ersten Welle im Frühjahr 2020. "Wir erwarten in den nächsten Wochen einen rasanten Anstieg der Patienten, da die Welle der Intensivpatienten immer zwei bis drei Wochen der Infektionswelle nachrollt", sagte Marx. Insgesamt sind in Deutschland momentan rund 20 000 Intensivbetten belegt und etwa 4000 frei.
Bei Inzidenzen um die 200 Corona-Infektionen in sieben Tagen pro 100 000 Einwohner prognostizieren Notfallmediziner für Anfang Mai rund 5000 Covid-Patienten auf Intensivstationen. Das wären fast so viele wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle Anfang Januar und könnte viele Kliniken erneut schwer belasten.
Die gute Nachricht: Kommt keine neue gefährlichere Mutante hinzu und geht das Impfen weiter gut voran, könnte die Pandemie nach der aktuellen Prognose im August für die Notfall-Stationen der Kliniken so gut wie ausgestanden sein.
Auf die leichte Schulter nehmen wollen Experten die Lage nicht. "Wir sehen das jetzt schon auf den Intensivstationen, dass sich die Patienten dort ändern: Die werden jünger", sagte Lars Schaade, Vizepräsident des Robert Koch-Instituts. Auch Virologen haben wiederholt davor gewarnt, dass das Impfen der ältesten Jahrgänge allein noch keine Entspannung bringe. Denn schon in der ersten Welle war lediglich etwa ein Viertel der Intensivpatienten über 80 Jahre alt. Viele Altenheimbewohner starben in ihren Einrichtungen und kamen gar nicht auf Intensivstationen.
Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI zuletzt binnen eines Tages 7709 Corona-Neuinfektionen, wie aus Zahlen von Montagmorgen hervorgeht. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 50 neue Todesfälle verzeichnet. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 6604 Neuinfektionen und 47 neue Todesfälle verzeichnet.
Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 2 667 225 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit etwa 2 423 400 an. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 74 714.
WHO: Corona-Anstieg durch geringe Impfraten, Frust und Öffnungen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor Corona-Strategien, die hauptsächlich auf Impfungen setzen. Lockerungsschritte, gepaart mit noch niedrigen Impfraten und Corona-Müdigkeit, führten zu steigenden Neuinfektionen in Europa und anderen Regionen, sagten WHO-Vertreter am Montag in Genf. Der globale Anstieg werde in Europa zusätzlich durch ansteckendere Virusvarianten befeuert, sagte Maria Van Kerkhove, die oberste Corona-Expertin der UN-Behörde. "Das ist eine sehr gefährliche Kombination", sagte sie.
Die wöchentliche Zahl an Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19 sei in der Vorwoche erstmals nach rund eineinhalb Monaten wieder leicht gestiegen, berichtete Van Kerkhove. Die globalen Infektionszahlen kletterten im Wochenvergleich um acht Prozent. In Europa waren es zwölf Prozent. Der amerikanische Kontinent und Afrika waren die einzigen Weltregionen mit leicht fallendem Trend.
Alle hofften, dass Impfen allein das Problem löst, sagte WHO-Krisenkoordinator Mike Ryan. "Sorry, aber das tut es nicht". Ryan betonte, dass Lockerungen nur mit sehr niedrigen Fallzahlen und sehr genauer Überwachung des Infektionsgeschehens erfolgreich seien.
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus zeigte sich enttäuscht über die mangelnde Bereitschaft von reichen Ländern, Dosen an ärmere Staaten abzugeben. "Länder impfen jetzt jüngere, gesunde Menschen mit niedrigem Risiko für Corona-Erkrankung - auf Kosten von Menschenleben von Gesundheitspersonal, Älteren und anderen Risikogruppen in anderen Ländern." Die globale Impf-Kluft werde jeden Tag "grotesker".
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BERLIN (dpa-AFX)
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