Comeback möglich

Wacker Chemie: Mehr als nur Solar

02.07.13 17:00 Uhr

Der Münchner Konzern Wacker Chemie sieht das Ende des Preis­verfalls bei Polysilizium und baut sein Chemiegeschäft international aus. Konzernlenker Staudigl über die weiteren Pläne.

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von Stefan Riedel, Euro am Sonntag

Nerven wie Drahtseile brauchten die Aktionäre von Wacker Chemie in den vergangenen zwei Jahren. Von Kursregionen um 170 Euro stürzte die Aktie bis November 2012 auf ein Allzeittief von knapp über 40 Euro, um sich dann bis ­Februar dieses Jahres auf 70 Euro hochzuschwingen. Viel Bewegung für ein MDAX-Unternehmen mit drei Milliarden Euro Börsenwert.

Zankapfel Solarindustrie
Der Grund dafür ist schnell gefunden: Wacker Chemie erzielt gut ein Viertel seiner Erlöse und mehr als die Hälfte seines operativen Gewinns mit der Polysiliziumsparte. Die liefert den wichtigsten Grundstoff für die Produktion von Solarzellen. Was der Firmensparte Polysilicon in Zeiten des Solarbooms operative Traummargen von bis zu 54 Prozent bescherte, sorgte zuletzt angesichts massiver Überkapazitäten und Preisverfalls bei Polysilizium für einen Bumerangeffekt. Die Margen brachen ein, der Konzerngewinn schrumpfte.

Immerhin verzeichnete Wacker im ersten Quartal 2013 bei noch sinkenden Preisen erstmals wieder ein Mengenwachstum. Vorstandschef Rudolf Staudigl ist allerdings überzeugt, dass die Preise für Polysilizium mittlerweile ihren Boden erreicht haben. Größte Gefahr für die Sparte droht zurzeit vom Handelskonflikt zwischen der EU und China. Anders als zahlreiche deutsche Solarfirmen ist Wacker gegen die verhängten Importzölle für chinesische Solarmodule (siehe Interview).

Stabiles Chemiegeschäft
An der Börse wird Wacker in erster Linie mit den Zielmärkten Solar und Halbleiter in Verbindung gebracht. Aus dem Blickfeld gerät dabei, dass die Margen in den drei Chemiesparten zuletzt wieder deutlich anzogen. Bei Dispersionspulver und Baudispersionen etwa ist Wacker weltweit die Nummer 1. Das klingt bei Weitem nicht so aufregend wie Solarzellen oder Wafer für die Chipproduktion. Aber Wacker-Produkte aus den Geschäftsbereichen Silikone und Polymere stecken in zahllosen Alltagsobjekten.

Beim Wohnungsbau beliefert Wacker die Bauindustrie weltweit. Etwa mit Bindemitteln für Fassaden- und Innenfarben, die eine energiesparende Isolierung und einen besseren Brandschutz ermöglichen. Oder Dispersionspulver, mit denen Baukleber, Fliesen und Mörtel besser haften —und so die Heizkosten von Gebäuden durch ein Wärmeverbundsystem bis um die Hälfte reduzieren. Abdichtungen für die Betonsanierung sind eine weiteres breites Feld, in dem Wacker führend ist. Silikonbeschichtungen Marke Wacker isolieren LED-Lampen besser gegen UV-Strahlen.

Auch in der Halbleiterbranche ist Wacker vertreten. Das Unternehmen liefert hier Siliziumwafer. Hier konzentriert sich die Sparte Siltronic ganz auf ihre technologische Spitzenstellung bei den 300-Millimeter-Scheiben, die für die neueste Generation von Produktionsanlagen für Speicherchips gebraucht werden. Aktuell zeichnet sich eine Bodenbildung bei den Preisen für Speicherchips ab.

International top aufgestellt
Ein weiterer Pluspunkt im Wacker-Geschäft ist die frühzeitige Ausrichtung auf Asien. Diese Region steht bereits für 40 Prozent des Gesamtumsatzes. Um den künftigen Bedarf vor Ort zu decken, wurden etwa die Produktionskapazitäten für Dispersionen in China und Südkorea für 50 Millionen Euro verdoppelt. Zweiter großer Fokus sind die USA. Im weltweit zweitgrößten Chemiemarkt will Rudolf Staudigl Neugeschäft machen und von niedrigen Energiekos­ten profitieren. In Deutschland kostet Energie mehr als doppelt so viel.

Derzeit errichtet Wacker eine Anlage für Siliziumchemie im Bundesstaat Tennessee, die 2015 den Betrieb aufnehmen soll. Mit diesem Projekt sieht Staudigl den international flächendeckenden Aufbau von technischen Zentren und Großan­lagen für Vorprodukte weitgehend abgeschlossen. Die künftigen Investitionen richten sich vor allem auf die weniger kapitalintensiven Anlagen für fertige Produkte.

Für 2013 stapelt Wacker noch tief und erwartet wegen des zuletzt anhaltenden Preisdrucks bei Polysilizium ein schwieriges Jahr. Der Umsatz soll sich auf Vorjahresniveau, der operative Gewinn allerdings darunter bewegen. Das Fundament für den nächsten Aufschwung ist jedoch gelegt — und lässt Spielraum für positive Überraschungen, sollte das Geschäft noch in diesem Jahr deutlich anziehen. Bis es so weit ist, behält die Aktie ihren derzeit spekulativen Charakter.

Rudolf Staudigl: „Weniger Kosten dank Chinas Markteintritt“

 Der Konzernlenker setzt auf internationale Solarmärkte.

€uro am Sonntag: Wacker Chemie verlässt zum Jahresende den Bundesverband Solarwirtschaft BSW. Warum?
Rudolf Staudigl:
Der BSW ist infolge seiner Mitgliederstruktur sehr stark auf Deutschland ausgerichtet. Wacker bewegt sich in einem globalen Umfeld. Die strategischen Interessen haben sich aus­einanderentwickelt.

Auch bei den von der EU beschlossenen Straf­zöllen auf chinesische Solarmodulimporte?
Solche Handelskonflikte beschwören nur eine Eskalation zum Schaden der deutschen Exportindustrie herauf. Die Position des BDI, zahlreicher Unternehmen und auch der Bundesregierung gegen solche Strafzölle ist daher richtig.

Befürchten Sie eine Verschärfung des Konflikts?
Ich würde mir eine Verhandlungslösung in naher Zukunft wünschen. China ist das größte Abnehmerland für Polysilizium und wir beliefern dort viele Firmen mit unserem Material.

Die Solarbranche konsolidiert. Hat sie ihren Zenit überschritten?
In der Solarindustrie haben sich durch den Eintritt chinesischer Hersteller die Produktionskosten drastisch verringert. Vor allem in den sehr sonnenreichen Ländern wird die Solarenergie ohne staatliche Förderung auskommen — und wir beliefern weltweit die Hersteller der Siliziumwafer, auf denen die Solarzellen produziert werden.

Dabei leidet der Aktienkurs gerade darunter, dass Wacker vor allem mit der Solar- und Halbleiterindustrie assoziiert wird. Der starke Preisverfall beeinträchtigt unsere Gewinne, aber wir sind als Spezialchemiekonzern in allen unseren Märkten so stark vertreten, dass sich das wieder ändern wird.

An den Börsen kommt diese Botschaft nicht an.
Ich denke, der Kapitalmarkt versteht inzwischen, dass wir mehr sind als ein deutsches Solarunternehmen. Das ist ein langwieriger Prozess, aber wir werden unser stabiles Chemiegeschäft stärker in den Vordergrund stellen.

Wie wichtig ist für Sie die Wacker-Aktie?
Der größte Teil meines Vermögens steckt in Wacker-Aktien. Das ist richtig so und ich fühle mich sehr wohl dabei.

Investor-Info

Wacker Chemie
Boden erreicht

Im Chemiegeschäft zogen die Margen zuletzt wieder an. Setzt sich dieser Trend fort, ist der Hebel­effekt für die Aktie nach oben größer als neuerliche Kursrückschläge, etwa durch eine Verschärfung des Handelskonflikts mit China bei den Solarmodulen. Antizyklisch erste Positionen aufbauen.

Kursziel: 68,00 Euro
Stopp: 49,90 Euro

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