Öl-Aktien: Für immer versiegt?
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Die Corona-Krise hat die strukturellen Schwächen der Ölkonzerne schonungslos aufgedeckt und die Kurse abstürzen lassen. Die Zeiten dürften bis auf Weiteres herausfordernd bleiben. Dennoch könnte sich ein Blick auf den Sektor lohnen, allerdings nur bei Titeln, die gewisse Voraussetzungen erfüllen.
Am 31. August 2020 kam es beim Dow Jones zu einer Veränderung, die getrost als Wachablösung bezeichnet werden kann. Denn an diesem Tag musste ein Unternehmen aus dem Index weichen, dass bis dahin nicht nur das älteste Mitglied im US-Aktienbarometer war, sondern auch ein typischer Vertreter der Old Economy. Die Rede ist von Exxon Mobil. Der Ölkonzern war seit 1928 durchgängig im Index vertreten. In diesen 92 Jahren führte die Gesellschaft den Dow Jones mehrmals als die Firma mit dem höchsten Börsenwert an. Im Jahr 2011 war Exxon Mobil mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 500 Milliarden US-Dollar sogar das wertvollste Unternehmen der Welt. Heute gebührt dieser Titel Vertretern aus dem Internet- und Technologiesektor wie Apple oder Amazon. Von daher überrascht es nicht, dass mit Salesforce.com eine auf das Cloud-Computing spezialisierte Firma die Nachfolge des Ölmultis im Dow Jones angetreten hat.
Die Welt hat sich geändert, die Ölindustrie nicht
Der Rauswurf aus dem bekanntesten Aktienindex der Welt ist für Exxon Mobil ein Prestigeverlust. Er steht aber auch symbolisch für den Bedeutungsverlust einer Branche, die sich in Vergangenheit nur allzu gerne auf den eigenen Erfolgen ausruhte und die dabei vergaß, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Spätestens seit der Pariser Klimakonferenz von 2015 hat sich die Welt darauf verständigt, dem Klimawandel den Kampf anzusagen. Fossile Brennstoffe wie Öl und Gas sollen in Zukunft eine deutlich geringere Rolle spielen. Auch seitens der Geldgeber nimmt der Druck kontinuierlich zu. Immer mehr Investoren richten ihre Anlagepolitik nach nachhaltigen Kriterien aus. Die Ölindustrie reagierte auf den zunehmenden Druck, wenn überhaupt, lange Zeit nur zögerlich. Stattdessen wird schon seit Jahren mehr Öl aus dem Boden gepumpt, als benötigt wird. Die Folge: notorische Überkapazitäten und übervolle Lager. Mit dazu beigetragen hat auch das vor allem in den USA beliebte Fracking. Dabei gilt gerade diese Art der Ölgewinnung aufgrund des Einsatzes von Chemikalien und hoher Wassermengen als besonders umweltschädlich. Ein anderer Punkt ist die OPEC. Deren Mitglieder samt assoziiertem Partner Russland schaffen es häufig nicht mehr, sich auf verbindliche Fördermengen zu einigen und den Ölpreis damit in einigermaßen ruhigem Gewässer zu halten.
Corona bringt die Branche ins Taumeln
All diese Punkte wären für die großen Ölkonzerne vermutlich noch irgendwie zu verkraften. Die Corona-Krise hat die Branche aber nun endgültig jeglicher Illusion beraubt. Kostete ein Barrel der Nordseemarke Brent Ende des letzten Jahres fast noch 69 US-Dollar, rauschte der Preis infolge der Pandemie zwischenzeitlich unter 20 Dollar ab. Für die US-Sorte WTI wurden am Terminmarkt kurzzeitig sogar negative Preise festgestellt. Mittlerweile hat sich der Ölpreis zwar wieder auf ein Niveau um die 40 US-Dollar erholt. Der Schaden ist dennoch enorm. Allein im zweiten Quartal 2020 verzeichneten die "Big Oil" - wie die fünf größten Ölkonzerne Exxon Mobil, Chevron, Royal Dutch Shell, BP und Total genannt werden - einen Verlust von 52,7 Milliarden US-Dollar. Die Folge: massive Kurseinbrüche. Die Aktie von Exxon Mobil gab seit Jahresanfang um 55 Prozent ab. BP und Royal Dutch Shell brachen sogar um rund 60 Prozent ein. Erst vor wenigen Wochen wurden auch diese Tiefs unterschritten und die Papiere der beiden Aktien markierten damit ihren jeweils tiefsten Stand seit 25 Jahren (Stand: 12. November 2020).
Erholung möglich, aber nicht kurzfristig
Aus Anlegersicht stellt sich trotz der jüngsten Erholungen die Frage, ob der Tiefpunkt schon erreicht ist und die stark zurückgekommenen Bewertungsmultiplen zum Einstieg locken. Auf der einen Seite, da sind sich die Experten einig, dürfte die Ölnachfrage noch eine geraume Weile schwach bleiben. So rechnet die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem jüngsten "Oil Market Report", dass die weltweite Nachfrage nach Öl in diesem Jahr um 8,4 Millionen Barrel pro Tag von 100,1 auf 91,7 Millionen Barrel pro Tag zurückgehen wird. Und auch im kommenden Jahr, so die Prognose, wird die Nachfrage mit 97,2 Millionen Barrel pro Tag deutlich unter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit bleiben. Außerdem geht die IEA davon aus, dass der Ölpreis bis 2023 nicht dauerhaft über die 50-Dollar-Marke steigen wird. Das sei für die Ölförderer "wenig ermutigend", heißt es in dem Report.
Auf der anderen Seite dürfte Öl noch auf Jahre hinaus ein bedeutender Bestandteil des globalen Energiemix bleiben. So zeigt sich die OPEC in einem kürzlich veröffentlichten Bericht zuversichtlich, dass sich die Nachfrage nach dem Corona-Knick langfristig wieder erholen wird. Die Organisation rechnet damit, dass der Bedarf aufgrund der steigenden Weltbevölkerung sowie des Wirtschaftswachstums in China und Indien bis zum Jahr 2045 auf 109 Millionen Barrel pro Tag steigen wird. Das wäre ein Plus von neun Prozent gegenüber dem Jahr 2019.
Worauf es bei Öl-Aktien ankommt
Öl-Aktien könnten Anlegern langfristig durchaus wieder gewisse Performancechancen bieten. Die besten Perspektiven haben wohl die Unternehmen, die am ehesten in der Lage sind, die aktuelle Krise zu meistern und die darüber hinaus auch schon relativ weit dabei fortgeschritten sind, ihre Geschäftsmodelle klimafreundlicher zu gestalten. Interessante Aufschlüsse auf die Frage, wer diese Firmen sein könnten, gibt eine Studie des US-Wertpapierhauses Piper Sandler. Die Analysten haben berechnet, ab welchem Ölpreis die Unternehmen in der Lage sind, ihre Investitionsausgaben zu decken und einen positiven Cashflow zu erzielen. Demnach liegt dieser Break-Even bei Chevron bei 49,74 US-Dollar und bei Exxon Mobil bei 56,24 US-Dollar - und damit jeweils über dem aktuellem Ölpreisniveau. Deutlich niedrigere Werte ergaben sich für die europäischen Wettbewerber. Demnach erreicht BP die Gewinnschwelle schon ab einen Preis von 42,47 US-Dollar und Royal Dutch Shell ab 37,55 US-Dollar. Die Analysten von Piper Sandler verweisen außerdem darauf, dass sich die europäischen Gesellschaften beim Ausbau erneuerbarer Energien ehrgeiziger zeigten als ihre US-Rivalen. So haben sich zum Beispiel BP und Royal Dutch Shell in diesem Jahr verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden.
Dirk Heß, Finanzexperte der Citigroup, schreibt zu aktuellen Markt- und Derivate-Themen. Als Co-Head EMEA Public Listed Products Sales & Distribution bei der Citi besitzt er langjährige Expertise in allen Fragen rund um Börse und Investments. In seinem regelmäßigen Kommentar gibt Dirk Heß fundiertes Fachwissen weiter. Die Citigroup ist seit dem Jahr 1989 als Emittent von strukturierten Produkten permanent am deutschen Markt vertreten und feierte 2014 ihr 25-jähriges Jubiläum.
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