Netflix-Aktie verliert 35 Prozent: Netflix mit Kundenschwund - Analysten senken Daumen
Netflix will angesichts sinkender Kundenzahlen härter bei Nutzern durchgreifen, die ihre Zugangsdaten teilen.
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Auch ein Tabubruch zeichnet sich ab: Der Streaming-Marktführer arbeitet an einer günstigeren Version mit Werbung.
Für Netflix war es das erste Quartal mit Kundenschwund seit mehr als zehn Jahren. In den drei Monaten bis Ende März gingen unterm Strich rund 200 000 Bezahlabos verloren. Ein Grund dafür war zwar der Stopp des Russland-Geschäfts nach dem Einmarsch in die Ukraine, wodurch auf einen Schlag 700 000 Kunden wegfielen. Doch auch mit dem Zuwachs von 500 000 Abonnenten wäre Netflix weit hinter der eigenen Prognose von 2,5 Millionen zurückgeblieben. Schlimmer noch: Fürs laufende Quartal rechnet der Dienst mit dem Abgang von rund zwei Millionen Kunden. Dabei hat Netflix neue Folgen von Hit-Serien wie "Stranger Things" und hochkarätig besetzte Filme wie "The Gray Man" mit Hollywood-Star Ryan Gosling starke Produktionen am Start.
Insgesamt sank die weltweite Kundenzahl zum Quartalsende auf 221,6 Millionen. Wie kam es dazu? Das Management um Gründer und Co-Chef Reed Hastings verwies unter anderem auf "Faktoren außerhalb unserer Kontrolle" wie den langsameren Anstieg des Anteils von Smart-TVs mit Internet-Anschluss, Russlands Krieg in der Ukraine und die Inflation.
Vor allem sind Netflix aber die Kunden ein Dorn im Auge, die ihre Login-Daten mit anderen teilen. Der Dienst schätzt, dass mehr als 100 Millionen Haushalte so als Trittbrettfahrer unterwegs seien. Als das Wachstum noch hoch war, habe man ein Auge zugedrückt, sagte Hastings. Doch nun will Netflix nicht mehr tatenlos zusehen.
"Wenn sie etwa eine Schwester haben, die in einer anderen Stadt lebt und ihr Netflix-Abo mit ihr teilen wollen, ist das super. Wir versuchen nicht, das zu unterbinden", sagte Produktchef Greg Peters. "Aber wir werden sie bitten, dafür etwas mehr zu bezahlen." Netflix kann zum Beispiel anhand der IP-Adressen feststellen, von wo Nutzer auf den Dienst zugreifen. Bis das System eingefahren sei und weltweit eingesetzt werde, könne es aber noch ein Jahr dauern, sagte Peters.
Zu Beginn der Corona-Pandemie galt Netflix noch als einer der großen Gewinner der Krise, allein im Jahr 2020 stieg die Kundenzahl um 37 Millionen. Doch jetzt heißt es, der Schub habe die Sicht vernebelt.
Netflix konnte als Pionier zunächst nahezu ungehindert Land im Videostreaming-Geschäft gewinnen. Doch inzwischen gibt es immer mehr Konkurrenz - unter anderem von Disney, Amazon, Apple sowie Warners HBO Max. Nannte Hastings vor ein paar Jahren noch mit einem Anflug von Arroganz das Online-Spiel "Fortnite" als schärfsten Konkurrenten, gibt er nun zu, dass der Wettbewerb "einige sehr gute Filme und Serien herausgebracht" habe.
Branchenbeobachter sehen auch ein Problem in der Netflix-Strategie, das Programm mit einer Flut von Inhalten zu überschwemmen, wobei manchmal die Qualität auf der Strecke bleibe. Ein Rivale wie Disney setzt dagegen auf aufwendig produzierte wenige Serien rund um populäre Figuren aus den Welten von "Star Wars" und Marvel, die mit einer Folge pro Woche über einen längeren Zeitraum die Kunden binden.
Um das Wachstum wieder in Gang zu bringen, ist Netflix sogar bereit, an einem seiner größten Tabus rütteln und ein günstigeres Abo mit zwischengeschalteten Werbe-Clips einführen. So etwas gab es bei Netflix noch nie - Hastings hatte bislang wenig dafür übrig. Er sei zwar nach wie vor ein Fan der Einfachheit von Abos - "aber ich bin noch mehr ein Fan davon, den Verbrauchern eine Wahl zu bieten", sagte er. Netflix sei nun offen fürs Werbe-Modell. "Wir schauen uns das an und versuchen, das in ein bis zwei Jahren auf die Reihe zu kriegen." Details wie die Personalisierung der Werbung könne man dabei auch anderen überlassen.
Das letzte Mal, dass Netflix ein Quartal mit sinkenden Nutzerzahlen verbuchte, war im Oktober 2011. Trotz des Rückgangs liegt Netflix weiter deutlich vor der Konkurrenz. Zum Vergleich: Der große Rivale Disney+ hatte Ende 2021 knapp 130 Millionen Kunden. Doch auch beim Gewinn musste Netflix im abgelaufenen Quartal Abstriche machen. Der Überschuss sank gegenüber dem Vorjahreswert um etwa sechs Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar (1,5 Mrd Euro). Der Umsatz legte zwar um rund zehn Prozent auf 7,9 Milliarden Dollar zu, verfehlte die Erwartungen der Analysten aber dennoch knapp. Die Netflix-Aktie war seit Beginn des Jahres bereits um über 40 Prozent gefallen. Der Quartalsbericht setzte auch den Kursen anderer Streaming-Anbieter zu.
Aktionäre wenden Netflix nach Kunden-Rückgang den Rücken zu
Nach einem historischen Kundenschwund verzeichnete die Aktien von Netflix am Mittwoch herbe Verluste. Im NASDAQ-Handel ging es für die Netflix-Papiere letztlich um 35,12 Prozent auf 226,19 US-Dollar nach unten.
Experten stellen bereits die Frage nach dem Ende des Streaming-Booms - und korrigierten ihre Kursziele drastisch.
"Ist die Streaming-Party vorbei?", fragen die Analysten der britischen Investmentbank Barclays. Zunehmend werde das "Durcheinander" an neuen Inhalten der vielen Streamingdienste zum Problem. "Beim Geschäftsmodell von Netflix verdichten sich die Anzeichen, dass dieses bereits voll gereift ist", sagte der Experte Ross Sandler. Dies werfe Fragen auf, wie groß der noch adressierbare Markt ist und ob die Margen stabil gehalten werden können.
Inklusive des erwarteten Kursrutsches am Mittwoch summieren sich die Verluste bei der Netflix-Aktie im laufenden auf fast 60 Prozent. Damit ist Netflix an der Börse nur noch 112 Milliarden Dollar wert. Zum Vergleich: Beim Rekordhoch über 700 Dollar vom November waren es mehr als 300 Milliarden Dollar.
"Netflix-Enttäuschung, die nächste" urteilte denn auch Analyst Jürgen Molnar, Kapitalmarktstratege von Robomarkets. Der Streaming-Anbieter gehe nun sogar davon aus, dass sich der Kundenrückgang noch ausweite, schrieb Molnar. Den Status der "unangefochtenen Nummer Eins der Streaming-Anbieter" scheine Netflix in den Augen der Anleger verloren zu haben.
Entsprechend purzelten bei den Analysten die Kursziele. Auch über den Einmaleffekt aus Russland hinaus stehe Netflix vor schwierigen Zeiten, schrieb Mark Mahaney von Evercore. Netflix' älteste Märkte etwa in den USA und Europa seien gesättigt, während sich das Wachstum im Raum Asien-Pazifik als schwierig erweise. Mahaney senkte das Kursziel drastisch von 525 auf 300 Dollar.
Andere Analysten reagierten im Zuge deutlich gekappter Kursziele am Mittwoch gleich mit Abstufungen: Experte John Hodulik von der UBS gab seine bisherige Kaufempfehlung auf und sein Kollege Douglas Anmuth von JPMorgan stufte die Papiere von "Overweight" auf "Neutral" ab. Das erste Quartal und der Ausblick auf das zweite Jahresviertel seien hinter den Erwartungen zurückgeblieben, schrieb Analyst John Hodulik von der Schweizer Großbank UBS in einer Studie. Das Geschäftsmodell werde derzeit auf eine harte Probe gestellt. Er rechnet damit, dass der zunehmende Wettbewerb, konjunktureller Gegenwind und die Marktsättigung das Wachstum der Abonnentenzahlen vorerst belasten werden. Vor diesem Hintergrund kappte er das Kursziel von 575 auf 355 US-Dollar.
LOS GATOS (dpa-AFX)
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