Börsengänge

Wie sich US-Wahl und Corona auf Tech-IPOs auswirken

17.08.20 23:03 Uhr

Wie sich US-Wahl und Corona auf Tech-IPOs auswirken | finanzen.net

Das Börsengeschehen wird derzeit stark von der Corona-Krise geprägt und auch die anstehende US-Präsidentschaftswahl wirft ihre Schatten voraus. Doch wie wirken sich diese beiden Faktoren auf den IPO-Markt aus?

• Großes Interesse an IPOs
• Anstehende US-Wahl wird ignoriert
• Virtuelle Roadshows bringen Vorteile

Üblicherweise gilt, dass sich in einem Wahljahr das Zeitfenster für einen Börsengang zur Mitte des Sommers schließt, weil dann die heiße Phase des Wahlkampfes beginnt und die Märkte sich dann oft bis zur Wahl im November nervös zeigen. In diesem Umfeld gilt es eigentlich als nicht ratsam ein IPO durchzuführen - doch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie scheint diese Börsenregel in diesem Jahr nicht zu gelten.

Viele IPOs in Aussicht

Laut dem US-Sender "CNBC" rechnen Experten trotz der bevorstehenden Wahl mit einer starken IPO-Aktivität. So erklärte dazu beispielsweise Jackie Kelley, IPO-Spezialist bei der Unternehmensberatung Ernst & Young: "Wir könnten uns in einer sehr starken zweiten Jahreshälfte wiederfinden …". Und weiter: "Während der letzten Wochen hat die IPO-Aktivität bereits zugenommen. So lange die Märkte stabil bleiben, haben wir meiner Meinung nach gute Chancen, einen beträchtlichen Teil des Rückstands raus in die Markt zu bringen."

Neeraj Agrawal, ein Partner bei Battery Ventures, rechne inzwischen bis zum Jahresende noch mit zehn bis 15 IPOs von Unternehmen, die mit Risikokapital finanziert sind. Vor einigen Monaten gingen die Erwartungen hingegen dahin, dass es in den letzten Monaten 2020 keinerlei solche IPOs geben würde.

Für das gesamte Jahr 2020 gehe die Unternehmensberatung PwC nach Aussage ihres IPO-Experten David Ethridge von 175 bis 200 IPOs über sämtliche Branchen aus. Er beschrieb dies damit als ein "solides Jahr". Jedoch werde diese Zahl gestützt durch eine Zunahme bei SPACs (Special Purpose Acquisition Companies). Hierbei handelt es sich um Akquisitionszweckunternehmen, die zunächst Kapital über einen Börsengang einsammeln, um dieses dann anschließend in eine Unternehmensübernahme zu investieren.

Corona stützt Tech-Industrie

Von entscheidenden Einfluss auf das Börsengeschehen ist derzeit die Corona-Pandemie. Nach einem Crash im März konnten sich insbesondere Tech-Werte deutlich erholen und sogar neue Rekordkurse erreichen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeiter gebeten haben, möglichst von zu Hause aus zu arbeiten, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Durch die zunehmende Heimarbeit mussten jedoch viele Arbeitsprozesse digitalisiert werden, was zahlreichen Software-Anbietern einen enormen Boom beschert. Und auch der Wechsel zur Cloud wird durch Corona beschleunigt.

Die Anleger stürzen sich geradezu auf solche Unternehmen, deren Geschäftsmodelle sich als widerstandsfähig erweisen und die als Corona-sicher gelten. Viele solcher Unternehmen erwägen daher, das günstige Marktumfeld zu nutzen und fassen einen Börsengang ins Auge.

US-Wahl ist kein Hindernis

Laut Neeraj Agrawal sei das Investoreninteresse an neuen Namen sogar so groß, dass die Präsidentschaftswahl im November keine Rolle mehr spiele.

Ganz ähnlich sieht das auch David Ethridge von PwC: Der Aktienmarkt sei so überraschend stark, dass viele Unternehmen ihre IPO-Pläne beschleunigen. "Jetzt ist eine gute Zeit, ein Verkäufer zu sein", so der IPO-Experte laut "CNBC". Dabei würden die meisten Unternehmen, die dieses Jahr an die Börse gehen wollen, einen IPO noch vor der Wahlperiode anstreben, denn danach komme schon die Ferienzeit mit Thanksgiving und Weihnachten.

Dazu, dass die US-Wahl bei den Marktteilnehmern nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, dürfte wohl auch beigetragen haben, dass sich bei den Demokraten Joe Binden gegen Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat durchgesetzt hat. Zwar wird an der Wall Street der Republikaner Donald Trump bevorzugt, doch auch gegen Biden gibt es keinen großen Widerstand, schließlich war er bereits Vize-Präsident unter Barack Obama, in dessen Amtszeit ein rekordlanger Bullenmarkt startete. Sanders hingegen wäre von der Wall Street kaum wohlwollend aufgenommen worden, schließlich beschreibt er sich selbst als demokratischer Sozialist und wollte tiefgreifende strukturelle Veränderungen bewirken.

Virtuelle Roadshows

Großen Einfluss hat das Coronavirus auch auf die Art und Weise, wie sich börsenwillige Unternehmen vor einem IPO bei potentiellen Investoren präsentieren. Vor der Pandemie geschah dies im Rahmen einer Roadshow, bei der Führungskräfte der Unternehmen zusammen mit begleitenden Bankern von Investor zu Investor reisten, um ihr Unternehmen aus erster Hand vorzustellen und Interesse bei möglichen Investoren zu wecken.

Doch derzeit finden diese Präsentationen nur noch per Video-Konferenzen statt. Dies bringt neben der ausbleibenden Ansteckungsgefahr noch weitere Vorteile mit sich: So muss das Management-Team nicht mehr von Stadt zu Stadt reisen und es gelingt oft, in einer kürzeren Zeit als zuvor nun sogar mehr Interessenten zu erreichen. Daher wäre es durchaus möglich, dass diese Art der Promotion auch nach Bewältigung der Corona-Krise beibehalten wird und dass es die alte Form der Roadshow künftig nicht mehr geben wird.

Redaktion finanzen.net

Bildquellen: Profit_Image / Shutterstock.com, dencg / Shutterstock.com