Börse Frankfurt-News: "Die Zinswende ist da, aber wie geht es weiter
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Peeters erwartet einen schwindenden Einfluss der Zinspolitik auf die Aktienmärkte, also auch der potentielle Stimulus auf die Wirtschaft. Andere Maßnahmen der Politik könnten stärker wirken.
11. Juni 2024. FRANKFURT (pfp Adisory). "Buy the rumor, sell the fact" (alternativ "?sell the news") zählt zu den Redewendungen auf dem Börsenparkett, die nahezu jeden Tag anwendbar sind. Schließlich lässt sich bei nahezu jeder Unternehmensmeldung abgleichen, ob bereits im Vorfeld beispielsweise auf erfreuliche Quartalszahlen spekuliert wurde und ob die entsprechende Meldung noch für Anschlusskäufe sorgt oder das Ereignis im Vorhinein vollumfänglich antizipiert wurde oder sogar mehr.
Was für Unternehmensnachrichten gilt, ist natürlich auch auf "Events" anwendbar, die den kompletten Markt betreffen. Mehrfach die Woche zu sehen etwa bei US-Arbeitsmarktdaten oder Stimmungsumfragen wie dem bekannten ifo-Geschäftsklimaindex.
In diese Kategorie, nur halt einige Nummern größer, sortiere ich Notenbankentscheidungen ein. Hier wird über Monate intensiv spekuliert, etwaige richtungsweisende?"ußerungen einzelner Verantwortlicher aus den Notenbanken bewegen ganze Indizes schnell und dynamisch. Und auch hier kommen irgendwann die Fakten und es werden Bestandsaufnahmen gemacht. So auch diesmal, als die EZB vergangene Woche mit der erstmaligen Zinssenkung (konkret den Schlüsselzins von 4,5 auf 4,25 Prozent) seit 2019 das geliefert hat, worauf viele Marktteilnehmer seit Monaten wortwörtlich spekuliert haben.
Und auch hier folgten die Märkte dem oben umschriebenen Muster. Obwohl die Senkung selbst unstrittig für?-konomie und Börsen als stimulierend und grundsätzlich positiv einsortiert wird, konsolidierten die europäischen Börsen eher als dass sie an Fahrt aufgenommen haben. Letztlich wenig verwunderlich: Börse handelt Zukunft, und vor dem Hintergrund einer durchaus weiter hartnäckigen Inflation und wechselhafter Konjunkturdaten darf zumindest ein Fragezeichen gesetzt werden, ob der initialen Senkung in naher Zukunft noch weitere Maßnahmen in diese Richtung folgen werden. Zumindest ist das bisherige Jahr 2024 deutlich davon gekennzeichnet, dass die Erwartungen an die "Tauben" sowohl an EZB als auch an die Fed immer wieder zurückgingen.
Ich persönlich halte es auch für vorstellbar, dass das Thema Notenbanken weiter an Momentum verliert. Einerseits geben viele Daten weitere Zinssenkungen nicht her, zum anderen sind andere Themen schlicht relevanter. Bei der Diskussion über die Wachstumsschwäche in Europa und speziell in Deutschland lassen sich einige Ursachen benennen. Im globalen Kontext extreme hohe Zinsen zählen aber sicher nicht dazu. Auch im historischen Vergleich sind zumindest die absoluten nominalen Zinsen zurzeit nicht besonders erwähnenswert.
Der meiner Ansicht nach viel wesentlichere "Elefant im Raum", auf den die Wirtschaft schaut, ist nicht die Notenbank, sondern die Politik. Sehr hohe Steuern und Abgaben, in Teilen nicht wettbewerbsfähige Infrastrukturkosten (Energie) und vor allem eine in Berlin und Brüssel seit Jahren völlig entfesselte Bürokratie sind wesentliche Komponenten, warum sich Geschäftsverlagerungen raus aus Deutschland und der EU nachweislich häufen und internationales Kapital zunehmend einen Bogen um den "alten Kontinent" macht.
Es ist kein Zufall, dass etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse zum Europäischen Parlament ein Umdenken in Brüssel fordert, konkret sollen "?-kologie und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen besser ausbalanciert" werden. Liberale Handelsabkommen und eben ein Abbau der Bürokratie werden konkret gefordert. Ob der proklamierte "Wachstumsplan für Europa" kommt, wird man sehen, aber ich halte dieses Thema für Wirtschaft und Märkte durchaus für zentral in den kommenden Quartalen.
Ich kann aus meiner persönlichen Erfahrung aus zahlreichen Gesprächen mit Firmenlenkern berichten, dass der Einfluss der Politik seit Jahren immer kritischer gesehen wird, insbesondere im Vergleich mit anderen Regionen, etwa den USA, wo Politiker die Ansiedlung von Wirtschaft fördern und Firmenlenker hofieren. Wenn sich die Attitüde in Berlin und Brüssel nicht ändert, kommt die Wirtschaft auch bei weiter sinkenden Zinsen schwer in Gang. Umgekehrt ist das Potenzial sehr groß, wenn es wirklich zu einer Zeitenwende hin zur wirtschaftlichen Stärkung und zur Entbürokratisierung käme. Bislang erkennen ich allerdings noch nicht nennenswerte Spekulationen darauf.
Von Roger Peeters, 11. Juni 2024, © pfp Advisory
Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow LU1865032954, einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)