Wirecard-Aktie erneut tief im Minus: Finanzausschuss setzt Sondersitzung zum Wirecard-Skandal an - Marsalek in Russland?
Der Finanzausschuss des Bundestages will in einer Sondersitzung am Mittwoch nächster Woche über den milliardenschweren Wirecard-Bilanzskandal beraten.
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Darauf verständigten sich am Montag die Obleute der Bundestagsfraktionen in einer Telefonkonferenz, wie die Nachrichtenagentur Reuters von Teilnehmern erfuhr. Zu der Sitzung werde auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erwartet. Die SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe forderte, auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) solle in der Sondersitzung zum Wirecard-Skandal Stellung nehmen.
"Die parlamentarische Aufklärung des Wirecard-Skandals kann nicht warten", sagte Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus. "Darum haben die Grünen auf eine weitere Sitzung des Finanzausschuss noch in der Sommerpause gedrängt."
Kanzleramt hat sich für Wirecard eingesetzt
Das Kanzleramt hat sich Anfang September 2019 für den mittlerweile insolventen Skandalkonzern Wirecard und seinen damals geplanten Markteintritt in China eingesetzt. Dies habe das Kanzleramt auf Nachfragen des Spiegel bestätigt, berichtet das Magazin. Demnach habe Bundeskanzlerin Angela Merkel am 3. September 2019 mit dem früheren Wirtschaftsminister- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg über die Pläne Wirecards gesprochen, auch auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen. Guttenberg habe Wirecard bei der Expansion nach China mit seiner Firma Spitzberg Partners als "Market Entry Advisor" beraten.
Am gleichen Tag, an dem Guttenberg persönlich bei der Kanzlerin für Wirecard geworben habe, habe er auch eine E-Mail an Lars-Hendrik Röller, den Leiter der Abteilung für Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik des Kanzleramtes und den Persönlichen Beauftragten Merkels für die G7- und G20-Gipfel geschickt. In dieser habe Guttenberg den Merkel-Vertrauten über den "beabsichtigten Markteintritt von Wirecard in China unter Beifügung eines Kurzsachstandes" unterrichtet, wie eine Regierungssprecherin dem Spiegel bestätigt habe.
Guttenberg habe Röller demnach auch um "Flankierung im Rahmen der China-Reise" Merkels am 6. und 7. September 2019 gebeten. Nach der Rückkehr der Bundeskanzlerin und ihrer Delegation aus China habe Röller Guttenberg am 8. September per Mail geantwortet, "dass das Thema bei dem Besuch in China zur Sprache gekommen und weitere Flankierung zugesagt" sei.
Knapp zwei Monate später, am 5. November 2019, habe der DAX-Konzern Wirecard bekannt gegeben, dass er Anteile an der chinesischen Firma AllScore Payment Services erwerben werde.
Das Unternehmen aus Peking sei skandalumwittert, allein 2020 habe es in China eine Rekordstrafe wegen Verflechtungen in die Glücksspielbranche zahlen müssen, berichtet das Magazin weiter.
Regierung gerät in Erklärungsnot
Der mutmassliche Betrugsskandal beim DAX-Konzern Wirecard bringt die Bundesregierung zunehmend in Erklärungsnot. Bei einer Sondersitzung des Finanzausschusses sollen sich Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am 29. Juli im Bundestag Fragen dazu stellen. In der Opposition hiess es, dies sei die letzte Gelegenheit, alle Fakten auf den Tisch zu legen - ansonsten führe an einem Untersuchungsausschuss kein Weg vorbei.
Zentrale Fragen sind, wann genau die Bundesregierung von den Vorgängen bei Wirecard wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat. Der DAX-Konzern aus dem Münchner Vorort Aschheim hatte im Juni zuerst Luftbuchungen in Höhe von mutmasslich 1,9 Milliarden Euro eingeräumt und wenig später Insolvenz angemeldet.
Eine Sprecherin Altmaiers sagte: "Alle beteiligten Stellen sind aufgefordert, die unsäglichen Vorfälle bei Wirecard aufzuklären, das gilt selbstverständlich auch für alle betroffenen Bundesressorts." Dies sei Altmaier sehr wichtig, da es auch um den Ruf des Finanzstandorts Deutschland gehe.
Die Obleute des Finanzausschusses beschlossen am Montag eine Sondersitzung für den 29. Juli. "Die parlamentarische Aufklärung des Wirecard-Skandals auf die lange Bank zu schieben ist keine Option", sagte Grünen-Obfrau Lisa Paus. Der Bundestagspräsident müsse die Sondersitzung noch genehmigen. Neben Scholz und Altmaier sollen auch Vertreter der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung sowie der Finanzaufsicht Bafin geladen werden.
Aus Regierungskreisen hiess es, Scholz habe schon vergangene Woche angeboten, an einer Sondersitzung in der Sommerpause teilzunehmen. Er werde also voraussichtlich dabei sein.
Es geht unter anderem darum, ob es Fehler bei der Finanzaufsicht gab, ob Scholz Verantwortung trägt und ob die Bundesregierung - das Kanzleramt eingeschlossen - womöglich Wirecard unterstützten, obwohl der Verdacht von Unregelmässigkeiten bereits im Raum stand.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) thematisierte nach Angaben einer Regierungssprecherin bei einer China-Reise im Herbst 2019 das Thema Wirecard. "Sie hat es angesprochen", sagte die Sprecherin. Merkel habe aber zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von Unregelmässigkeiten bei Wirecard gehabt. Es ging damals um einen beabsichtigten Markteintritt von Wirecard in China.
Die Regierungssprecherin nannte den Fall "besorgniserregend", er bedürfe einer umfassenden Aufklärung. Sie sagte ausserdem, die Bundesregierung setze sich im Rahmen bilateraler Kontakte regelmässig für wirtschaftliche Interessen ein, die Kanzlerin werde daher häufig von hochrangigen Wirtschaftsdelegationen begleitet.
"Millionen geschädigter Anleger haben ein Anrecht darauf, dass Regierung und Parlament jetzt jeden Stein umdrehen, jeden Prozess hinterfragen, jeden Verantwortlichen des Wirecard-Skandals zur Rechenschaft ziehen", sagte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Florian Toncar. Der Versuch, nur scheibchenweise Informationen preiszugeben und sich ansonsten selbst zu bescheinigen, es seien keine Fehler gemacht worden, sei krachend gescheitert. "Sollte es nächste Woche keine Klarheit geben, führt kein Weg mehr an einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorbei."
Die mutmasslichen Scheingeschäfte bei Wirecard liefen grossenteils über angebliche Subunternehmer im Mittleren Osten und in Südostasien. Kerngeschäft von Wirecard ist das Abwickeln von Kartenzahlungen als Schaltstelle zwischen Kreditkartenfirmen und und Händlern.
"Die skandalösen Vorgänge rund um Wirecard gehören restlos und gründlich aufgeklärt", sagte SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. "Es ist erschreckend, dass namhafte Wirtschaftsprüfungsunternehmen seit über einem Jahrzehnt die Bilanzen von Wirecard durchleuchtet haben und jedes Mal nichts zu beanstanden hatten."
Die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer liege beim Bundeswirtschaftsministerium. Während Scholz für Aufklärung und Verbesserungen bei der Finanzaufsicht sorge, ducke sich Wirtschaftsminister Altmaier weg, so Bartol. Altmaier solle sich an der Aufklärung beteiligen und Massnahmen ergreifen, um die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer funktionsfähig zu machen.
Eine Sprecherin Altmaiers sagte: "Dort, wo es gegebenenfalls Lücken, Nachbesserungsbedarf oder Effizienzsteigerungspotenziale in der Aufsicht über solche Finanzdienstleistungen gibt, sollten diese zügig in Angriff genommen werden." Die Abschlussprüferaufsichtsstelle sei eine unabhängige berufsrechtliche Aufsicht über Wirtschaftsprüfer.
Flüchtiger Wirecard-Manager in Russland? Kreml: 'Nichts bekannt'
Im Wirecard-Betrugsskandal ist das spurlos verschwundene frühere Vorstandsmitglied des Konzerns einem Medienbericht zufolge möglicherweise in Russland untergetaucht - doch der Kreml weiß nach eigenen Angaben von nichts. "Nein, es ist nichts bekannt", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag zu einem Bericht des "Handelsblatts", demzufolge sich der österreichische Manager Jan Marsalek nach Russland abgesetzt haben soll.
Die Nachrichtenagentur Interfax meldete, Marsalek werde von den russischen Behörden nicht verfolgt. Demnach gibt es weder ein Strafverfahren gegen den Manager in Russland noch eine Auslieferungsanfrage. Russland habe auch keine Erkenntnisse über seinen Aufenthaltsort.
Der 1980 geborene Marsalek ist die Schlüsselfigur der Affäre. Bis der Manager im Juni fristlos gefeuert wurde, war er bei Wirecard weltweit für das Tagesgeschäft zuständig. Er war ursprünglich auf den Philippinen vermutet worden, laut philippinischer Regierung ist er dort verheiratet - wovon den Kollegen in der Aschheimer Konzernzentrale nichts bekannt war. Später hatte die Regierung in Manila eingeräumt, dass die Daten zu Ein- und Ausreise im Computersystem der nationalen Einwanderungsbehörde gefälscht waren. Marsalek soll nach verschiedenen - sämtlich unbestätigten - Medienberichten Kontakte zu russischen Geheimdiensten haben.
Von deutscher oder österreichischer Seite gab es am Montag keinerlei offizielle Angaben zu Marsaleks Aufenthaltsort. In der Bundespressekonferenz erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts lediglich, man habe die Medienberichte zur Kenntnis genommen und äußere sich nicht zu Spekulationen oder laufenden Ermittlungen.
BaFin-Chef weist Vorwurf von Versäumnissen im Wirecard-Skandal zurück
Der Präsident der Finanzaufsicht BaFin, Felix Hufeld, weist den Vorwurf schwerer Versäumnisse im Skandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard zurück: "Wir erfüllen genau die Aufgaben, die uns der Gesetzgeber vorgibt - alles andere ist in einer Demokratie nicht zulässig", sagte Hufeld gegenüber Welt am Sonntag. "Wir können nicht einfach machen, was wir wollen. Menschen, die behaupten, dass so ein Betrug mit einer anderen Aufsicht nicht möglich gewesen wäre, streuen den Bürgern Sand in die Augen."
Hufeld sieht vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht, bei der Regulierung von Techunternehmen nachzubessern. "Es entsprach dem Geist der europäischen Regulierung, insbesondere der PSD II, dass man Technologieunternehmen und Innovation fördert. Es gibt da aktuell zu viele Grauzonen", meint Hufeld. So wurden nur kleine Teile der Wirecard von der BaFin direkt beaufsichtigt. "Der aufsichtliche Werkzeugkasten muss hier nachgeschärft werden", sagte Hufeld.
Die Forderung einiger Parlamentarier, die BaFin nach dem Vorbild der US-Börsenaufsicht SEC zu reformieren, sieht Hufeld kritisch: "Natürlich können wir von dem SEC-Modell etwas lernen. Aber auch in den USA kam es zu Betrugsfällen. Zudem haben die Vereinigten Staaten ein anderes Rechtssystem, das nicht so einfach auf Europa übertragbar ist."
Wirecard-Skandal wird verfilmt
Die Pleite des DAX-Konzerns Wirecard soll verfilmt werden. Dies kündigte Produzent Nico Hofmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an. "Der Fall Wirecard liefert nicht nur die Vorlage zu einem einzigartigen Wirtschaftskrimi, er ist auch ein Drama unter Königen; zwischen gerissener Kriminalität und Technologiegläubigkeit", sagt Nico Hofmann, Chef der Filmgesellschaft Ufa. Die Fallhöhe des Stoffs sei immens: "Es gibt kaum eine Facette unseres wirtschaftlichen Zusammenlebens, das nicht berührt wäre: gravierende Fehler bei der Aufsicht, politische Blauäugigkeit, um den Technologie-Standort Deutschland brillieren zu lassen, geprellte Anleger und Machtphantasien, die den internationalen Börsenmarkt wie einen Bürgerkrieg sehen." Genau darum solle es in der "90-minütigen dokufiktionalen Aufarbeitung" gehen, sagt Hofmann, der gegenwärtig auch an Filmen über die Magier Siegfried & Roy sowie den Porsche-Clan arbeitet.
Die Wirecard-Aktie knickte am Montag im XETRA-Handel letztlich um 21,57 Prozent auf 1,55 Euro ein.
(Dow Jones) / (dpa-AFX) / (Reuters)
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