Auch keine Fusion?

thyssenkrupp stoppt geplante Aufspaltung und strebt IPO der Aufzugssparte an - Aktie über 20 Prozent im Plus

10.05.19 17:55 Uhr

thyssenkrupp stoppt geplante Aufspaltung und strebt IPO der Aufzugssparte an - Aktie über 20 Prozent im Plus | finanzen.net

Paukenschlag bei thyssenkrupp: Die geplante Stahlfusion mit dem Konkurrenten Tata Steel wird voraussichtlich nicht zustande kommen.

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Grund sind die Wettbewerbsbedenken der Europäischen Kommission, wie das Unternehmen am Freitag in Essen mitteilte. Man erwarte, dass die EU-Kommission die Fusion untersage. Hinfällig ist damit auch die geplante Aufspaltung des Unternehmens in zwei Teile. Stattdessen erwägt thyssenkrupp nun einen Börsengang seiner Aufzugsparte.

thyssenkrupp und Tata hätten die Bedenken der Wettbewerbskommission trotz Nachbesserungen der geplanten Zugeständnisse nicht ausräumen können, erklärte der Konzern aus Essen. Dabei hätten die Parteien "signifikante" Zusagen gemacht. Weitere Nachbesserungen lehnen thyssenkrupp und Tata ab. Die angestrebten Synergieeffekte des Zusammenschlusses würden sonst in einem Umfang beeinträchtigt, "dass die wirtschaftliche Logik des Joint Ventures nicht mehr gegeben wäre".

thyssenkrupp und Tata Steel hatten bereits im September 2017 die Grundzüge einer Fusion ihrer europäischen Stahlgeschäfte vereinbart. Seitdem steckt das Vorhaben in der Warteschleife fest. Mit der nun bevorstehenden Untersagung durch die EU ist aber auch ein weiterer Baustein der thyssenkrupp-Strategie von Konzernchef Guido Kerkhoff hinfällig: die geplante Aufspaltung in zwei Unternehmen.

Vorgesehen war die Aufteilung in ein Unternehmen mit dem Industriegeschäft und eines, das den Anteil am neuen Stahlunternehmen, den Stahlhandel sowie das Werftengeschäft vereint. Das Management habe die Optionen neu bewertet und werde dem Aufsichtsrat vorschlagen, die Teilung abzusagen, erklärte thyssenkrupp nun.

Die konjunkturelle Eintrübung und deren Auswirkungen auf die geschäftliche Entwicklung sowie das aktuelle Kapitalmarktumfeld führten dazu, dass die Teilung nicht wie vorgesehen dargestellt werden könne, begründete der Konzern den Schritt. Statt dessen strebe thyssenkrupp eine andere Form der Neuausrichtung an.

Im Zuge dessen erwägt das Management, die Aufzugssparte des Konzerns an die Börse zu bringen, um zu Geld zu kommen. Der Bereich gilt als Perle von thyssenkrupp. Man werde dem Aufsichtsgremium einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten, hieß es. Zudem sollen die übrigen Geschäftsbereichen, zu denen etwa Komponenten für die Automobilindustrie und der Anlagenbau gehören, mehr Freiheiten erhalten. Auch soll die Holding schlanker aufgestellt werden. Zudem steht eine Stärkung der Kapitalbasis auf dem Programm.

Das voraussichtliche Scheitern der Stahlfusion führt nun auch dazu, dass thyssenkrupp seine Prognosen anpassen muss. Im dritten Quartal des bis Ende September laufenden Geschäftsjahrs werde thyssenkrupp die Stahlsparte wieder in den Konzern eingliedern. Der Konzern erwartet daher für 2018/19 - inklusive des Stahlbereichs - ein bereinigtes operatives Ergebnis (Ebit) von 1,1 bis 1,2 Milliarden Euro. Der freie Mittelzufluss vor Zu- und Verkäufen werde negativ im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich erwartet. Beim Konzernergebnis erwartet der Konzern einen Verlust.

In der Prognose hat der Konzern auch eine Erhöhung der bestehenden Rückstellung um etwas mehr als 100 Millionen Euro für das laufende Kartellverfahren bei Grobblech berücksichtigt. Die Rückstellung werde damit auf den Betrag des erwarteten Bußgelds angehoben. Der freie Mittelzufluss des Konzerns könnte durch eine Bezahlung dieser Buße in diesem Geschäftsjahr zusätzlich belastet werden, hieß es.

thyssenkrupp will 6000 Stellen streichen

thyssenkrupp steht vor einem neuen Restrukturierungsprogramm. So sollen 6000 Stellen in den nächsten drei Jahren gestrichen werden, sagte Vorstandsvorsitzender Guido Kerkhoff am Freitag in einer Telefonkonferenz. Zwei Drittel des Abbaus sollen dabei auf Deutschland entfallen. Die Holding soll schlanker aufgestellt und die Verwaltungskosten deutlich gesenkt werden. Da es sich um "tiefgreifende Einschnitte" handele, könnten betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen werden, sagte Personalvorstand Oliver Burkhard.

Auch die Stahlsparte steht vor einer Umstrukturierung. Die Lage der Branche sei aktuell schlecht, sagte Kerkhoff. Im Zuge des geplanten Zusammenschlusses mit dem europäischen Stahlgeschäft von Tata Steel hatte der Konzern bereits den Abbau von 2000 Stellen angekündigt, die in dem neuen Restrukturierungsplan enthalten seien, so Kerkhoff.

Die Branche brauche eine Konsolidierung. So leide die Stahlindustrie unter erheblichen Überkapazitäten.

Zu der Geschäftslage von thyssenkrupp sagte Kerkhoff, diese liege unter den Erwartungen und sprach von einem "schwachen ersten Halbjahr". thyssenkrupp will seine Zahlen für das zweite Quartal am kommenden Dienstag vorlegen.

thyssenkrupp will Mehrheit an Aufzugssparte behalten

thyssenkrupp will nach den Worten von CEO Guido Kerkhoff beim geplanten Börsengang der Aufzugssparte eine Mehrheit an der margenstärksten Sparte des Konzerns behalten. Die Voraussetzungen für die Börsenfähigkeit würden jetzt "zügig" geschaffen, sagte der Vorstandschef in einer Telefonpressekonferenz. Zu einem möglichen Zeitpunkt für ein IPO oder möglichen Erlösen daraus wollte sich Kerkhoff nicht äußern.

Auf die Frage, ob gegebenenfalls auch ein Verkauf der Sparte denkbar sei, ging Kerkhoff nicht ein. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Vorbereitung eines Elevator-Börsengangs der richtige Schritt. Dass dieser Schritt nicht früher gekommen sei, erklärte Kerkhoff mit der bisherigen Strategie, thyssenkrupp schrittweise zu einem starken Industriekonzern entwickeln zu wollen, "mit Elevator als elementarem und unverzichtbarem Kern".

Investoren hatten schon länger von thyssenkrupp gefordert, die Aufzugssparte zu verkaufen oder an die Börse zu bringen. Im Konzern werde der Wert des Kronjuwels von thyssenkrupp vom Konglomeratsabschlag verdeckt, schreiben die Analysten von Jefferies in einer Schnelleinschätzung. Die Aufzugssparte könnte verglichen mit vergleichbaren Wettbewerbern wie Kone und Schindler an der Börse 14 Milliarden Euro auf die Waage bringen. Derzeit ist der gesamte thyssenkrupp-Konzern ungefähr die Hälfte wert.

Kerkhoff sagte, eine Aufstellung als eigenständiges börsennotiertes Unternehmen erlaube der Sparte Elevator "bessere Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten". Überdies könnte der Börsengang Katalysator "für die bereits angestoßenen Performance-Verbesserungen" sein.

Krupp-Stiftung muss Strategieschwenk noch bewerten

Die Krupp-Stiftung als größter Einzelaktionär von thyssenkrupp hat derzeit noch keine Bewertung für die Pläne zum Börsengang der Aufzugssparte. In einer Mitteilung der Stiftung, die rund 21 Prozent der Aktien an dem Traditionskonzern hält, heißt es: "Die Stiftung möchte, dass das Unternehmen in allen Geschäftsfeldern wettbewerbsfähig aufgestellt ist, mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Dividendenfähigkeit. Vor diesem Hintergrund werden wir die neuen Vorschläge bewerten."

Weiterhin stehe die Stiftung aber "an der Seite des Unternehmens und seiner Mitarbeiter".

Cevian fordert fundamentale Neuausrichtung bei Thyssenkrupp

Nach der Ankündigung eines Börsengangs für die Aufzugssparte von Thyssenkrupp hat der zweitgrößte Aktionär, Cevian Capital, Konzerchef Guido Kerkhoff aufgefordert, alles auf den Prüfstand zu stellen. "Es ist klar, dass Thyssenkrupp mit seiner bisherigen Strategie gescheitert ist", sagte Cevian-Gründungspartner Lars Förberg. "Alle Beteiligten sind sich bewusst, dass eine fundamentale Neuausrichtung jetzt dringend notwendig ist, um den Geschäftssparten von Thyssenkrupp eine Zukunft zu geben."

Wenn Thyssenkrupp die Geschäfte ernsthaft zurück auf Wachstumskurs bringen wolle, dürfe es "keine historischen oder politischen Tabus mehr geben." Cevian hält rund 18 Prozent an dem Mischkonzern und kritisiert dessen schwache Geschäftsentwicklung schon lange.

So reagiert die thyssenkrupp-Aktie

Eine komplette Kehrtwende in der Strategie von thyssenkrupp haben Anleger am Freitag enthusiastisch aufgenommen. Die in den vergangenen Monaten schwer angeschlagenen Papiere sprangen um mehr als 20 Prozent bis auf 14,47 Euro nach oben. Zum Handelsschluss standen sie 28,17 Prozent im Plus bei 14,40 Euro. Allerdings waren sie am Vortag noch auf den niedrigsten Stand seit fast 16 Jahren abgesackt.

Einen "U-Turn" nannte Analyst Luke Nelson von der Bank JPMorgan das strategische Umdenken. Damit sei der Industriekonzern letztlich wieder zu dem zurückgekehrt, was viele Marktteilnehmer vor einem Jahr schon gehofft hätten. Das gelte besonders für den beabsichtigen Börsengang der Aufzugsparte. Der damit verbundene potenzielle Wertzuwachs für das Unternehmen dürfte den Druck auf den Aktienkurs mildern.

Dieser Druck war zuletzt immer größer geworden: Vom letzten markanten Hoch der Aktie bei 23,50 Euro Ende September war diese bis zum Vortag um mehr als die Hälfte eingebrochen. Es dürfte nicht zuletzt dieser große Börsenwertverlust gewesen sein, der das Management zur Umkehr bewogen habe, vermutete Analyst Christian Obst von der Baader Bank.

Mit einem Börsengang der Aufzugssparte könne thyssenkrupp wieder mehr schaffen, urteilte Alan Spence vom US-Broker Jefferies. Diese sei das "Kronjuwel" im Portfolio der Essener und dürfte folglich bei Investoren auf großes Interesse stoßen. Der Experte wies darauf hin, dass die Aktien anderer Hersteller von Aufzügen wie Kone und Schindler an der Börse deutlich höher bewertet würden als gegenwärtig die Aufzugssparte als Teil des thyssenkrupp-Konzerns.

Die Kurs-Rally der Aktie führte Analyst Dirk Schlamp von der DZ Bank primär darauf zurück, dass nun Klarheit im Hinblick auf die Zukunft von thyssenkrupp geschaffen worden sei. Zudem habe der Markt sowohl das Joint Venture mit Tata Steel als auch eine Aufspaltung des Konzerns kritisch betrachtet. Der Experte sah sich in seiner Kaufempfehlung für die Papiere bestätigt.

Die hohen Kursgewinne könnten indes zumindest zum Teil auch technisch bedingt sein. JPMorgan-Analyst Luke Nelson schätzt den Anteil der aktuell leer verkauften thyssenkrupp-Aktien auf rund elf Prozent aller frei handelbaren Papiere. Anleger setzen mit Leerverkäufen auf fallende Kurse. Steigen diese aber, müssen sie die Papiere am Markt zurückkaufen, um keine Verluste zu erleiden. Das treibt den Kurs weiter nach oben.

Während thyssenkrupp-Aktionäre die Nachrichten feierten, reagierten die Anteilseigner von Tata Steel enttäuscht: Die auch in London notierten Aktien des indischen Stahlherstellers fielen um fünf Prozent. Das europäische Stahlgeschäft von Tata sei in den vergangenen zehn Jahren zumeist eine Belastung für Tata gewesen, merkte Analyst Pinakin Parekh von JPMorgan an. Eine grundlegende Neubewertung des Tata-Konzerns würde bei einem Scheitern des Joint Venture mit thyssenkrupp weitgehend ausfallen.

FRANKFURT/ESSEN (dpa)/(Dow Jones)

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Bildquellen: thyssenkrupp AG

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