Alstom-Aktie schwächelt: Alstom-Belegschaft ruft Politik zu Hilfe - Großauftrag in Gefahr
Im Alstom-Werk Salzgitter, einem der größten Standorte des französischen Bahntechnikkonzerns, gibt es neue Sorgen um die Zukunft der Jobs und Auslastung der Produktion.
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Das Alstom-Werk Salzgitter, einer der größten Standorte des französischen Bahntechnikkonzerns, kommt weiter nicht zur Ruhe. Erst Anfang Januar war ein Großauftrag aus Norwegen bekanntgegeben worden, in dessen Rahmen die Fabrik den Zuschlag für zahlreiche Regionalzüge erhielt. Jetzt gibt es neue Sorgen um die Jobs und Auslastung. Nach Informationen aus Betriebsratskreisen könnte das Kernprojekt weitgehend ins polnische Breslau abwandern.
Die Belegschaftsvertretung spricht von einem "eklatanten Bruch der Verträge" zur vereinbarten Standortsicherung für Salzgitter. In einem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wandte sie sich an Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): "Bitte unterstützen Sie uns bei der Auseinandersetzung um die Erhaltung." Die Alstom-Geschäftsführung sei "aufgefordert, die abgeschlossenen Verträge einzuhalten und die Maßnahmen zur Verlagerung der Rohbaufertigung zu unterlassen". In Hannover bestätigte die Landesregierung den Eingang des Schreibens.
Das Unternehmen erklärte am Donnerstag: "Wir richten den Standort Salzgitter auf die künftige Marktsituation aus." Man sei insgesamt zuversichtlich, dass eine erweiterte Fertigung des Aluminium-Rohbaus und des Innenausbaus langfristig eine stabilere Auslastung bringen könne. "Der reine Rohbau von Stahlwagenkästen am Standort Salzgitter würde dagegen nur begrenzte Auslastungsmöglichkeiten bieten."
Nach Darstellung von Alstom könnten in dem niedersächsischen Werk künftig vor allem gemischte ein- und zweistöckige Modelle "eine zentrale Rolle" spielen, die für den deutschen Markt ausgelegt sind. Betriebsräte entgegneten: "Für Salzgitter muss eine Perspektive unabhängig von der Art des Rohbaus der Wagen gewährleistet sein."
2019 waren mit den Sozialpartnern ein Sicherungstarifvertrag und eine gesonderte Betriebsvereinbarung für die Alstom Transport Deutschland (ATD) GmbH verhandelt worden - unter anderem in Salzgitter mussten bereits häufiger Auftragsflauten überbrückt werden. Der Betriebsrat beruft sich bei dem Geschäft mit dem norwegischen Staatsunternehmen Norske Tog nun auch auf diese Vereinbarungen. Demnach habe Alstom den Beschäftigten zu gewährleisten, "dass (...) die eingeholten Aufträge in die Auslastungsplanungen des Betriebs eingestellt werden".
Konkret geht es um einen Rahmenvertrag mit einem Gesamtwert von über 1,8 Milliarden Euro. Die erste Bestellung von 30 Zügen vom Typ "Coradia Nordic" beläuft sich auf 380 Millionen Euro, Norske Tog hat außerdem eine Option auf 170 weitere. Geliefert werden soll ab 2025. Es dürfte der größte Einkauf in der norwegischen Bahngeschichte sein.
Der Betriebsrat argumentiert, Salzgitter habe hierfür schon zentrale Entwicklungsarbeiten bei gleichzeitigem Gehaltsverzicht geleistet. Grundlage der erfolgeichen Akquise sei der "durch die Standortsicherung abgesenkte Stundensatz für Rohbau, Farbgebung, Vor- und Endmontage bis zur Inbetriebnahme". Und nach bisheriger Aussage des Managements sei das Projekt dem Standort auch klar zuzuordnen.
Viele befürchteten jetzt: "Wenn der Norske-Tog-Auftrag von uns weggeht, läuft hier die Auslastung leer." Für den Innenausbau seien die vom Management genannten Aussichten noch zu unkonkret, es gebe aber Signale der Gesprächsbereitschaft. Zurzeit arbeiten für Alstom in Salzgitter und an den zugeordneten Standorten gut 2400 Menschen.
Im Dezember hatten Pläne des Konzerns zu weiterem Personalabbau in deutschen Werken - mit parallelem Aufbau neuer Tätigkeitsfelder - Kritik ausgelöst. "In der Gesamtschau ist es zwar richtig, dass Alstom maßgeblich in die Digitalisierung und damit Modernisierung investiert", sagte Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD). Dabei dürfe die Fertigung jedoch nicht hinten runterfallen.
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sah ein "vergiftetes Weihnachtsgeschenk". Außer in Hennigsdorf bei Berlin waren Kürzungen in Görlitz und Bautzen, in Salzgitter und einigen anderen Standorten im Gespräch. Die niedersächsische Politik hielt sich zunächst zurück.
Laut Branchenkreisen sollen bis zu 1200 Jobs wegfallen. Von Alstom hieß es, man müsse eine "Anpassung der Positionen in der Fertigung" vornehmen. Dafür werde eine Spanne von 900 bis 1300 Stellen erwogen. Der Hersteller wies darauf hin, dass in Arbeitsbereichen wie Software und Digitalisierung bis zu 700 neue Stellen geschaffen werden sollen
- etwa in Braunschweig, Berlin und Mannheim. Unabhängig davon komme
man aber nicht um Einsparungen in der klassischen Produktion herum.
Die Geschäftslage bei Alstom war in den vergangenen Jahren wiederholt schwierig. Ende Januar 2021 schlossen die Franzosen ihre Fusion mit der Zugsparte des kanadischen Bombardier (Bombardier B)-Konzerns ab, so entstand die zweitgrößte Firma der Branche. Zuvor war ein Zusammengehen mit der Zugtechnik von Siemens am Widerstand der EU-Kommission gescheitert.
Auch die IG Metall richtete einen Brief an die Alstom-Führung. Darin gab sie "unmissverständlich zu verstehen, dass der eingeschlagene Weg von uns nicht getragen wird und auf größtmöglichen Widerstand stößt". Nötig sei jetzt ein Bekenntnis zum Standort Salzgitter. Bezirkschef Thorsten Gröger sagte: "Die Kolleginnen und Kollegen halten ihre tarifvertraglichen Zusagen ein. Dass die Nachricht für Wut und Ängste sorgt, dürfte keineswegs verwundern." Man frage sich, inwieweit das Management noch als "verlässlicher Akteur" gesehen werden könne.
An der EURONEXT verliert die Alstom-Aktie zeitweise 0,97 Prozent auf 28,60 Euro.
SALZGITTER/PARIS (dpa-AFX)
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