Abschlussbericht

Viel Kritik für Scholz in Wirecard-Abschlussdebatte

25.06.21 17:55 Uhr

Viel Kritik für Scholz in Wirecard-Abschlussdebatte | finanzen.net

Redner aus der Union und von der Opposition haben in der Debatte über den Abschlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschuss erneut Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) eine politische Verantwortung in dem Bilanzskandal gegeben.

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"Die politische Dimension ist dramatisch, der Fall Wirecard offenbart ein eklatantes Versagen der Behörden", sagte der Unions-Obmann in dem Ausschuss, Matthias Hauer (CDU). "Der Ausschuss hat vor allem auch die Frage nach der politischen Verantwortung zu beantworten."

Die Finanzaufsicht Bafin habe mit dem Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien offen Partei für Wirecard ergriffen, und darin sei des Büro des Finanzministers eingebunden gewesen. "Herr Scholz, Sie wollen als zuständiger Minister von all dem nichts mitbekommen haben?", fragte Hauer an die Adresse des SPD-Kanzlerkandidaten, der die Debatte verfolgte, ohne das Wort zu ergreifen. "Herrn Scholz zu schützen, das war der oberste Auftrag der Sozialdemokraten in diesem Untersuchungsausschuss", meinte Hauer. Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Hans Michelbach (CSU) nannte es " unabstreitbar", dass die politische Verantwortung im Finanzministerium liege.

Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD) forderte Scholz zum Rücktritt auf. "Herr Scholz, treten Sie als Minister endlich zurück und schlagen Sie sich aus dem Kopf, Kanzler dieser Republik zu werden", sagte er. "Das Fass ist übergelaufen, und das bei ausgeschlagenem Boden." Trete Scholz nicht zurück, müsse Bundeslkanzlerin Angela Merkel (CDU) ihn umgehend freistellen. Gottschalk monierte eine fehlende Selbstkritik in den Ministerien und im Kanzleramt. Der Fall Wirecard sei auch "ein Staatsversagen auf allen politischen Ebenen" gewesen.

Der FDP-Finanzsprecher Florian Toncar sagte, der Betrug sei zwar groß angelegt, aber nicht perfekt angelegt gewesen. "Er war zu entdecken", betonte er. "Dieser Betrug hätte frühzeitig verhindert werden müssen." Auch Toncar gab Scholz die politische Verantwortung. Es verärgere die Menschen, dass die Verantwortlichen auf der politischen Ebene immer noch dort seien, wo sie seien. "Ändern Sie das, machen Sie das Nötige, ansonsten wird Sie dieser Fall Wirecard sowieso nicht mehr loslassen, Herr Minister Scholz." Kritik kam auch von Grünen und Linker.

SPD moniert Kampf mit harten Bandagen

Die SPD-Fraktion kritisierte aber die Anwürfe gegen Scholz. "Dass wir heute hier... ein großes politisches Gepolter haben, das wird dem Ausschuss nicht so richtig gerecht", sagte der SPD-Obmann in dem Ausschuss, Jens Zimmermann. Nun werde in der Plenardebatte mit "harten Bandagen" gekämpft, während es im Ausschuss häufig ganz anders gewesen und Sachaufklärung betrieben worden sei, erklärte er. Die Union fordere jetzt "immer wieder den Rücktritt von Gott und der Welt". Zimmermann kritisierte seinerseits Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wegen Versäumnissen bei der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer, die in dem Fall versagt hätten.

Auch die SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe sprach von "haltlosen Vorwürfen" gegenüber Scholz. In dem mehr als 2.000 Seiten starken Abschlussbericht selber wird keine politische Verantwortung für die Versäumnisse in Fall Wirecard benannt. Darin wird ein "kollektives Aufsichtsversagen" festgestellt, die Fraktionen konnten sich aber nicht auf gemeinsame Empfehlungen einigen.

Der Bundestag hatte die Einsetzung des Untersuchungsausschusses am 1. Oktober 2020 beschlossen, um das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard zu untersuchen. Die Koalitionsfraktionen betonen in ihrem Votum laut Bundestag, die überwiegende Anzahl der vernommenen Zeugen habe die "Bilanzmanipulationsvorwürfe ab der Berichterstattung der Financial Times im Oktober 2019 als ernst zu nehmend eingestuft".

Die vom Wirtschaftsprüfer EY jahrelang erteilten "lupenreinen Testate" hätten aufgrund des durch sie geschaffenen Vertrauenstatbestands jedoch regelmäßig zu einer Zerstreuung der Vorwürfe geführt. "Die Beweisaufnahme ergab unmissverständlich, dass es sich bei Wirecard um einen kollektiv ausgeführten Bilanzbetrug handelt", so der Bericht weiter. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe das Kanzleramt aber zum Zeitpunkt der Kontakte zu Wirecard keinerlei eigene Informationen und Erkenntnisse gehabt, auch nicht über einen möglichen Bilanzbetrug. "Ein besonderes Interesse für Wirecard im Bundeskanzleramt oder eine Sonderbehandlung des Unternehmens sind nicht erkennbar."

Erkenntnisse können in Sammelklagen einfließen

Die Oppositionsfraktionen von FDP, Linker und Grüner wiesen in einem Sondervotum aber Scholz die Verantwortung zu: "Olaf Scholz trägt als Finanzminister die politische Verantwortung für das Versagen der Bafin." Die im Ausschuss gewonnenen Erkenntnisse könnten "nun in die Sammelklagen von Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern einfließen". Es gehe "um den größten Börsen- und Finanzskandal der Nachkriegszeit, der durch kollektives Aufsichtsversagen, deutsche Wagenburgmentalität gegenüber Nichtdeutschen sowie ein politisches Netzwerk und die Sehnsucht nach einem digitalen nationalen Champion und dessen Markteintritt in China ermöglicht wurde."

Der Ausschuss hatte zwischen dem 19. November 2020 und dem 9. Juni 2021 insgesamt 110 Personen mündlich oder schriftlich befragt - darunter neben ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern der Wirecard AG, Wirtschaftsprüfern, Politikern und Angehörigen von Aufsichtsinstitutionen auch den Journalisten Dan McCrum sowie die Shortseller Matthew Earl und Fahmi Quadir.

Scholz hatte bei seiner Anhörung in dem Ausschuss Ende April den gegen ihn gerichteten Vorwurf eigener Verantwortung aber zurückgewiesen. "Die Verantwortung für diesen groß angelegten kriminellen Betrug trägt nicht die Bundesregierung", hatte er erklärt. Auch Merkel war in dem Ausschuss angehört worden. Dabei ging es um ihre Rolle wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise im Jahr 2019, vor der sich Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als Berater bei ihr persönlich für Wirecard eingesetzt hatte.

Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni 2020 Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden, es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Ex-CEO Markus Braun sitzt inzwischen in Haft, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist flüchtig. Braun hatte bei seiner Vernehmung in dem Ausschuss ein Statement verlesen und keinerlei weiterführende Fragen beantwortet. Guttenberg hatte sich seinerseits als Opfer einer Täuschung dargestellt.

BERLIN (Dow Jones)

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Bildquellen: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

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