Jahresendrallye in vollem Gang - Aber die Fragezeichen bleiben

Keine gesunde Entwicklung in den vergangenen Wochen. Die letzten Bären haben das Handtuch geworfen. Fundamentale Faktoren mit Licht, aber auch sehr viel Schatten. Vorsicht vor der Jahresend-Falle!
"Wenn ich mich hier so umhöre, dann klingt alles so, als seien die Weichen für eine Jahresendrallye an der Börse gestellt", so lautete die Einleitung der n-tv-Moderatorin Katja Dofel zu meinem Interview an der Frankfurter Börse. Das bestätigt auch mein täglicher Blick in andere Wirtschaftsmedien und in die Kommentare der meisten Marktanalysten, sorgt aber bei mir weiterhin für die notwendige Zurückhaltung und das Gefühl, das Pulver für zukünftige Kursgewinne könnte jetzt erst einmal verschossen worden sein.
Keine gesunde Entwicklung in den vergangenen Wochen#
Der tiefe Fall des Deutschen Aktienindex im Oktober auf 8.354 Punkte kam nicht überraschend, umso überraschender allerdings war die dann gestartete Erholungsbewegung zurück auf das aktuelle Niveau von rund 9.900 Punkten. Eine solche Entwicklung, die wie auch die Kurse an der Wall Street einer "V"-Bewegung entsprachen, ist kein Zeichen für eine gesunde Verfassung der Aktienmärkte. Normalerweise hätte sich auf einem tieferen Niveau eine Konsolidierung anschließen müssen, die dann die Basis für die Fortsetzung der Aufwärtsbewegung bildet. So aber haben viele "schwache" Hände schnell bei billigeren Kursen zugegriffen. Deren Enttäuschung, sollte es jetzt nicht weiter nach oben gehen, könnte bald in wieder schlagartige Verkäufe umschlagen.
Die letzten Bären haben das Handtuch geworfen
Es bleibt dabei, wir befinden uns in der meistgehassten Rallye aller Zeiten und Freunde hat die Börse in den vergangenen Wochen nur wenige dazu gewonnen. Der Zwang, wieder nicht dabei zu sein, sollte der DAX in naher Zukunft erneut die Marke von 10.000 Punkten in Angriff zu nehmen, treibt auch die letzten Skeptiker, darunter auch die Manager großer Aktienfonds jetzt in den Markt. Da es aktuell so aussieht, als würde der DAX das Börsenjahr 2014 doch noch mit einem Plus beenden, wandern zum Jahresende Aktien in die Bücher, obwohl viele doch lieber weiter an der Seitenlinie verharrt hätten. Absicherungen derjenigen, die sich gegen fallende Kurse schützen wollten, müssen bei stark steigenden Kursen ebenfalls aufgelöst werden, was den Trend nach oben noch einmal verstärkt, wie wir es jetzt erleben.
Fundamentale Faktoren mit Licht, aber auch sehr viel Schatten
Der gestern vom ifo-Institut veröffentlichte Geschäftsklimaindex stieg nach sechs Monaten erstmals wieder an und zeigt damit den wieder aufkeimenden Optimismus zumindest in den Chefetagen der deutschen Unternehmen. Allerdings werden auch hier noch immer die mittel- bis langfristigen Auswirkungen des aus der Ukraine-Krise hervorgerufenen Konflikts des Westens mit Russland unterschätzt. Der verschobene Fokus auf das immer billigere Geld der Europäischen Zentralbank und den schwachen Euro ist zwar nachzuvollziehen, allerdings sollten die Ursachen für diese Entwicklung nicht außer Acht gelassen werden. Vor allem die Sorgenkinder in der südlichen Eurozone schleppen sich von Quartal zu Quartal und es wird nur eine Frage der Zeit sein, wann von dort neue Hilferufe zu vernehmen sein werden. Denn die positiven Effekte der geldpolitischen Maßnahmen gerade in diesen Ländern sind weiter anzuzweifeln. Und nicht nur, aber auch gerade Deutschland, ist auf ein wirtschaftlich gesundes Europa angewiesen.
Jenseits des Atlantiks sieht die Situation zwar weitaus besser aus, allerdings reagiert hier auch die Notenbank in den kommenden Monaten eher mit restriktiveren geldpolitischen Schritten. Deren Auswirkungen auf die Aktienmärkte waren beim Auslaufen der vergangenen beiden "quantitativen Easing"-Maßnahmen zu spüren und werden auch jetzt ihre Spuren an den Börsen hinterlassen. Der Blick nach China hinterlässt nach der jüngsten Zinssenkung auch mehr Fragezeichen, als dass er Antworten auf die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft geben kann. Ist die Konjunktur im Reich der Mitte auch nur noch mit der Droge Liquidität am Leben zu erhalten, wäre dies ebenfalls keine gesunde, sondern eine gefährliche Entwicklung, die in den kommenden Monaten auf die Börse durchschlagen dürfte.
Vorsicht vor der Jahresend-Falle!
Gerade die Wall Street bewegt sich aus stimmungstechnischer Sicht auf einem gefährlich hohen Niveau. Die US-Privatanleger sind so optimistisch wie nie zuvor. Die pessimistischen US-Börsenbriefe erreichen in diesen Tagen rekordtiefe Prozentsätze. Die kurzfristigen Börsenbriefe geben Verkaufssignale, die Put/Call-Ratios sinken und zeigen weniger Absicherungsaktivitäten. Der größte US-Indexfonds, der den S&P 500 Index nachbildet, verzeichnet Rekordzuflüsse. Das alles sind Indikationen, die kurz- bis mittelfristig kein gutes Chance/Risiko-Verhältnis für Aktien darstellen. Aber auch hierzulande, wie oben schon erwähnt, können sich nur noch wenige vorstellen, dass die Kurse noch einmal fallen können. Zinsen nahe Null für risikolose Papiere locken immer mehr Käufer an den Aktienmarkt, was zwar einerseits positiv ist, dennoch sollte der Grund für diese niedrige Zinsen auch zur Vorsicht mahnen, jetzt nicht gleich ins volle Risiko zu gehen. Aktien bleiben langfristig alternativlos. Das heißt aber nicht, dass Kurse nicht auch mal wieder fallen können. Mein Kursziel für den Deutschen Aktienindex in den kommenden Monaten bleibt weiterhin bei 8.500 Punkten. Ich habe als Bär das Handtuch noch nicht geworfen.
Mehr von und über Stefan Riße erfahren Sie unter www.rissesblog.de
Stefan Riße, ist Fondsmanager des Investmentfonds „Riße Inflation Opportunities UI“ bei der HPM Hanseatischen Portfoliomanagement in Hamburg. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, belegte 2010 erste und zweite Plätze auf den bekannten Wirtschaftsbuch-Bestsellerlisten.
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