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Europäische Unternehmen: Verschlechterung der Kreditqualität trotz günstiger Rahmenbedingungen

15.12.15 15:57 Uhr

Europäische Unternehmen: Verschlechterung der Kreditqualität trotz günstiger Rahmenbedingungen | finanzen.net

Die Kreditausfallrate für europäische Unternehmen mit öffentlichen Ratings im Non-Investment-Grade-Bereich wird 2016 von 1,1% auf 2,4% ansteigen, so die Einschätzung von Standard & Poor’s Ratings Services.

Dies bedeutet eine deutliche Verschlechterung im Vergleich zu 2015, auch wenn der Wert weiterhin unter dem langjährigen Durchschnitt von rund 3,2% liegt. Allerdings wird 2016 für die Unternehmenssektoren sehr unterschiedlich verlaufen. Einerseits ist in Europa eine wirtschaftliche Erholung zu verzeichnen. Andererseits stehen viele Unternehmen durch globale Überkapazitäten, voranschreitende technologische Entwicklungen, verstärkte Regulierung und politische Unsicherheiten vor großen Herausforderungen.

Ratingverschlechterungen in überinvestierten Branchen

So erwartet Standard & Poor’s Ratingverschlechterungen für Unternehmen in den Branchen Öl und Gas, Bergbau, Stahl, Chemiegrundstoffe und Investitionsgüter. Diese leiden weltweit unter einem Überangebot und Überinvestitionen. Aufgrund des niedrigeren Wachstums in China und einer Abschwächung in den wichtigsten Schwellenländern, findet ein längerer Prozess der Rekalibrierung von Angebot und Nachfrage statt. Im Vergleich zu den USA gibt es jedoch in Europa - und vor allem in Deutschland - weniger Unternehmen in diesen überinvestierten Branchen. Deshalb erwartet Standard & Poor’s, dass die Ausfallraten in Europa weniger stark steigen werden, als dies wahrscheinlich in den nächsten 12 Monaten in den USA der Fall sein wird.
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Kreditvergabe für Konsum, Immobilien und Unternehmen zieht an

Die Erholung in Europa wird unter anderem dadurch deutlich, dass sich ein leicht positiver Trend bei der Kreditvergabe in der Eurozone erkennen lässt: hier ist erstmalig seit 2009 ein Anstieg bei den drei wichtigsten Bereichen Konsumenten-, Immobilien- und Unternehmenskredite zu verzeichnen. Gründe hierfür sieht Standard & Poor’s in dem niedrigen Zinsniveau, dem QE-Programm der Europäischen Zentralbank, dem schwachen Euro sowie dem Verfall des Ölpreises. Die Wachstumsraten bleiben zwar noch gering und variieren von Land zu Land, aber die Erholung scheint insgesamt Fahrt aufzunehmen, auch wenn nur wenige Sektoren von den verbesserten makroökonomischen Bedingungen direkt profitieren. Dazu gehören Branchen mit einem starken Standbein in lokalen Märkten, wie zum Beispiel die Konsumgüterhersteller, Baustoffproduzenten und Bauunternehmen oder Anlagenbauer.

Digitalisierung und Regulierung als Risikofaktoren

Störfaktoren, die die positiven wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa konterkarieren, liegen für einige Industriesektoren in der zunehmenden Digitalisierung und damit verbundenen Cyberrisiken. Auch zunehmende Regulierung, z. B. im Zusammenhang mit der Verminderung von CO2-Emissionen, stellt für einige Sektoren ein Risiko dar. Insbesondere ist die Autoindustrie betroffen, aber auch die Energieversorger, die zusätzlich zu hohen Rückstellungen für die Beseitigung atomarer Altlasten und den Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke verpflichtet worden sind.
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Von Tobias Mock, Kreditanalyst und Lead Analytical Manager bei Standard & Poor´s Ratings Services in Frankfurt.

Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de

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