Anlageperspektiven 2011 - 2012
Im letzten Jahr schrieb ich, dass die Investmentsaison 2009 – 2010 ohne Zweifel ein sehr gutes Jahr ...
... für Abonnenten des PRIVATINVESTORs war. 2010 – 2011 war das leider anders: auf Jahressicht fiel der DAX über 10 Prozent, nachdem er zunächst bis Juli um über 20 Prozent gestiegen war. Der SMI verlor über 12 Prozent, der ATX über 20 Prozent. Auch unser PI Global Value Fonds (WKN: A0NE9G), der im Februar 2011 noch ein Hoch markiert hatte, brach in Folge massiv ein, ebenso viele Kundenportfolios.
Im Sommer 2011 entlud sich die Schuldenkrise, die schon seit Frühjahr 2010 schwelte, mit voller Wucht über Europa. Die Aktienkurse brachen auf breiter Front ein. Die Unsicherheit traf ausgerechnet eine Anlageklasse, der ich langfristig neben Gold und Land am ehesten den Vermögenserhalt zutraue, denn Anleihen und Geldforderungen sind durch Inflation und Zahlungsausfälle bedroht.
Eigentlich ist das paradox. Die Eurozone hat insgesamt ein Staatsdefizit von 4,4 Prozent des Inlandsproduktes, Japan 10,0 Prozent und die USA 10,8 Prozent. Europa geht es also relativ gut! Und dennoch macht die Politik Panik wegen eines angeblichen Flächenbrandes. In meiner aktuellen Streitschrift „Stoppt das Euro-Desaster“ schreibe ich auf den Seiten 24 - 25:
In der Politik wird seither die Abwendung einer griechischen, zuweilen auch irischen oder portugiesischen Staatsinsolvenz als Schicksalsfrage für Europa hochstilisiert. Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker wird nicht müde zu betonen, es gehe um den Erhalt der europäischen Idee. Er schämt sich auch nicht, das Wort „Krieg“ in den Mund zu nehmen und damit absurde Ängste zu wecken. Am 18. März 2011 verkündete er wieder einmal: „Ein Tag Krieg ist teurer, als uns die ganze Rettungsaktion kosten wird.“ Der hochgeachtete Politiker entpuppt sich als Demagoge.
Hier tobt ein Wirtschaftskrieg gegen das relativ solide Europa! Amerika ist nur all-zu froh, dass sich die Europäer selbst zerfleischen. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn beklagt in diesem Zusammenhang die „unerträglich tendenziöse Berichterstattung der angelsächsichen Medien“.
Bereits im Februar 2009 hatte die englische Zeitschrift Economist ein Titelblatt mit der Überschrift „Das neue Argentinien an der Donau“. Hier ging es um die angeblichen Risiken österreichischer Banken in Osteuropa. Und über die völlig marode U.S.-Wirtschaft sowie die 230 Prozent Staatsschulden in Japan wird nicht gesprochen.
Ich schrieb letztes Jahr an dieser Stelle: Die Griechenlandkrise löste im Frühjahr (2010) viel Unruhe aus. Ich habe immer davor gewarnt, das über zu bewerten. Griechenland, Spanien und Irland sind relativ kleine Länder. Europa geht es insgesamt relativ gut, insbesondere den deutschsprachigen Ländern, die noch einen gesunden Mittelstand haben. Die angelsächsische Presse sieht die Probleme in den Randstaaten gerne (M.O. 2011), denn dann kann man von eigenen Problemen ablenken. Solange Deutschland zahlt, kann der Euro noch etliche Jahre stabil sein.
Die Ratingagenturen tun ihr Übriges: kaum beruhigt sich die Lage, stuft Standard & Poors Italien von A+ auf A herab, obwohl Italien ein Defizit von lediglich 40 Prozent des U.S. Defizits hat. Standard & Poors hatte wenige Wochen zuvor den Mut gehabt, die USA von AAA auf AA+ herabzustufen. Drei Wochen danach musste der Chef gehen. Vielleicht wollte man mit der Abstufung Italiens die U.S.-Regierung wieder versöhnlich stimmen.
Ich zitiere noch einmal Hans-Werner Sinn, mit dem ich mich regelmäßig zu diesen Themen austausche:
Die Regierung hat sich von Sarkozy und der angelsächsischen Presse treiben lassen, ohne eine überzeugende Gegenstrategie zu entwickeln. Kaum werden die Anleger auf den Märkten wieder nervös, weil sie fürchten, dass Deutschland nicht genug zahlt, macht Deutschland sein Portemonnaie verschreckt noch weiter auf. Es findet derzeit ein riesiger Vermögenspoker um die Staatspapiere der südlichen Länder statt, die vermutlich großenteils nicht zurück bezahlt werden. Die Inhaber dieser Papiere interessiert nur eines: Wird Deutschland diese Papiere auf dem Weg über das gemeinsame Rettungssystem übernehmen oder nicht? Aber ich sage Ihnen, der deutsche Staat wird der Letzte in Europa sein, der die Staatsschulden der südlichen Länder wird eintreiben können. Wir kaufen uns mit den Staatspapieren keine Sicherheit, sondern dauerhaften Unfrieden mit unseren Nachbarn.
In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung mittlerweile 5 Rechtsbrüche oder Rechtsbeugungen hingenommen: 1. die Verkürzung der Amtszeiten der EZB-Direktoren, die damit weniger unabhängig sind, 2. die Verletzung der Defizitgrenzen des Maastricht-Vertrages, 3. den Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB, 4. die Verletzung der No-Bail-Out-Klausel und 5. die Umgehung der eigenen gesetzlichen Vorschriften durch eine Zweckgesellschaft. Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts sprach mir gegenüber privat von „unerträglichen“ Zuständen.
Ich glaube an Europa
Ich glaube an Europa. Mittlerweile greift das Establishment zu verzweifelten und demagogischen Strategien, um die Meinung der Bürgerinnen und Bürger zu unterdrücken. Frank Schäffler, der soeben einen Mitgliederentscheid zum Rettungsmechanismus in der FDP durchgesetzt hat, wird als Antieuropäer diffamiert. Wir alle wollen Europa, aber wir wollen ein besseres Europa. Dazu gehören eine Stärkung des europäischen Parlaments und eine Vergemeinschaftung der französischen Nuklearstreitmacht. Sonst wird nur die deutsche Wirtschaftskraft vergemeinschaftet. In dieser Hinsicht ist Europa allerdings schon 1954 gescheitert, als die französische Nationalversammlung die europäische Verteidigungsgemeinschaft ablehnte.
Prof. Dr. Max Otte ist Herausgeber des PRIVATINVESTOR (www.privatinvestor.de) und Geschäftsführender Gesellschafter der IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH. Ziel des Instituts ist die Aktienanalyse und die Entwicklung von Aktienstrategien für Privatanleger.Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.