Japanisches Geldexperiment

Japan: Warum Finanz-Profis weiter auf Abe setzen

28.11.14 15:00 Uhr

Japan: Warum Finanz-Profis weiter auf Abe setzen | finanzen.net

Die japanische Wirtschaft schrumpft, die Politik von Premierminister Shinzo Abe steht auf dem Prüfstand. Weshalb die Aktienkurse trotzdem gute Chancen haben, weiter zu steigen.

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von Christoph Platt, Euro am Sonntag

Für die einen ist es machtpolitisches Kalkül, für die anderen ein Schritt in Richtung wirtschaftliche Stärke: Am Dienstag verkündete Japans Premierminister Shinzo Abe, das Unterhaus aufzulösen. Am 14. Dezember werden Japans Bürger nun ein neues Parlament wählen.

Welche Gründe hinter Abes Entscheidung stehen, wird heiß diskutiert. Die Optimisten vermuten, er wolle sich durch die Neuwahl Rückhalt bei der Bevölkerung holen, um tief greifende Reformen durchzuführen. Kritiker sagen dagegen, Abes Wirtschaftspolitik sei gescheitert. Mit einer vorgezogenen Neuwahl wolle er sich lediglich Macht für weitere vier Jahre sichern, ehe das Versagen offensichtlich wird.

Denn große Veränderungen bei der Zusammensetzung des neuen Parlaments werden nicht erwartet. Ein Sieg von Abes Liberaldemokratischer Partei (LDP) gilt als sicher. Obwohl die Beliebtheit des Premierministers gelitten hat, ist sie immer noch groß genug, um die zerstrittene und zersplitterte Opposition in Schach zu halten.

Während über die Gründe für die Neuwahl gemutmaßt wird, liegt der Auslöser auf der Hand. Die schlechten Zahlen aus der japanischen Wirtschaft, die am Montag vor einer Woche bekannt wurden, dürften Abe zu diesem Schritt bewogen haben. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) war im dritten Quartal um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Das Gros der Experten hatte hingegen mit einem Plus von 0,5 Prozent gerechnet. Mit dem zweiten Minusquartal in Folge ist das Land erneut in eine Rezession gerutscht. Bereits im zweiten Quartal war die Wirtschaft um 1,9 Prozent geschrumpft. Die Enttäuschung der Anleger war daher groß: Der japanische Leitindex Nikkei verlor am Montag drei Prozent.

Dass die Anleger die schlechten BIP-Zahlen schnell wieder vergessen haben, liegt an Abes Vorpreschen am Dienstag. Zum einen honorierten sie, dass der Premierminister Neuwahlen ankündigte. Die meisten Anleger hoffen, dass Abe vier weitere Jahre als Regierungschef dazu nutzen wird, mit Reformen die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Zum anderen nahmen sie die Verschiebung der für Frühjahr 2015 geplanten Mehrwertsteuererhöhung positiv auf, weil sie sich negativ auf den Konsum ausgewirkt hätte.

Hauptgrund für die schwache wirtschaftliche Entwicklung im zweiten Quartal war gewesen, dass die Mehrwertsteuer zuvor von fünf auf acht Prozent angehoben worden war. Eine weitere Erhöhung auf zehn Prozent ist nun zumindest für 18 Monate vom Tisch. Zudem stellte Abe ein weiteres Konjunkturprogramm in Aussicht. Die Neuigkeiten ließen den Nikkei am Dienstag um 2,2 Prozent steigen.

Abes Kampf gegen die Krise
Seit zwei Jahren durchläuft Japan ein geld- und fiskalpolitisches Experiment. Im Dezember 2012 trat der Premierminister mit einer aggressiven Wirtschaftspolitik an. Diese als "Abenomics" bezeichnete Strategie sollte Japan mit drei Hilfsmitteln aus der jahrzehntelangen wirtschaftlichen Stagnation und Deflation herausholen.

Hilfsmittel Nummer 1 ist eine ul­tralockere Geldpolitik. Dazu pumpt die Bank of Japan Geld in den Wirtschaftskreislauf, indem sie in erster Linie Staatsanleihen aufkauft. Das hat starke Auswirkungen auf die japanische Währung: Der Yen fiel in den vergangenen zwei Jahren gegenüber Euro und US-Dollar um fast 50 Prozent (siehe Investor-Info). Die schwache Währung ist wie ein Jungbrunnen für Japans Exportwirtschaft. Diese kann ihre Waren im Ausland billiger anbieten und erhält dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ausländischen Konkurrenten. Zudem steigen die Unternehmensgewinne in Yen.

Hilfsmittel Nummer 2 ist eine unterstützende Fiskalpolitik. Mithilfe schuldenfinanzierter Konjunkturprogramme will Japan mehr Geld in Infrastruktur, Bildung und den öffentlichen Sektor investieren.

Beim dritten Hilfsmittel, den strukturellen Reformen, ist hingegen noch nicht viel passiert. Obwohl die geldpolitischen Maßnahmen eine deutliche Wirkung zeigen, wurden weitere Reformen bislang nur angekündigt. "Japan hat nach jahrelanger Deflation jetzt eine Chance erhalten, doch dann agiert man so zögerlich - das ist enttäuschend", sagt Ursina Kubli, Ökonomin der Schweizer Bank J. Safra Sarasin.

Jetzt müssen Reformen folgen
Die nächste Legislaturperiode soll nun den Durchbruch bringen. Vor allem in zwei Projekte setzen die Märkte große Hoffnungen: den Abbau von Handelsrestriktionen, insbesondere mit den asiatischen Nachbarländern, und eine Reform der Unternehmensbesteuerung, die zu einer niedrigeren Belastung der Firmen führen soll. "Beide Maßnahmen dürften sehr schnell nach Abes Wiederwahl umgesetzt werden", hofft Richard Kaye. Der Manager des Aktienfonds Comgest Growth Japan erwartet vor allem von einer Steuerreform viel. "Sollten die Unternehmensteuern von derzeit 35 auf 25 Prozent sinken, steigen die Gewinne pro Aktie allein dadurch um 20 Prozent", sagt er. Das würde die Kurse japanischer Titel stark antreiben.

Doch ob dieser Durchbruch kommen wird, ist offen. Bisher hat Abe aus seiner Zweidrittelmehrheit im Parlament nichts gemacht. "Warum also sollte er das nach Neuwahlen schaffen, die seine Mehrheit eher reduzieren dürften", fragen sich etwa die Analysten der LBBW in einer aktuellen Analyse. Kaye sieht Abe bislang eingeengt vom Establishment seiner Partei. "Durch die Neuwahlen will Abe seine persönliche Macht vergrößern, um sich gegen die Traditionalisten in seiner Partei durchzusetzen", sagt er. Gelingt ihm dies, könnte Abe künftig größere Reformen anpacken.

Die Chancen, dass die Aktienrally in Japan weitergeht, sind also vorhanden. "Wir sehen ein Potenzial von 40 bis 60 Prozent in den kommenden zwei bis drei Jahren", sagt Kaye. Das klingt sehr optimistisch. Doch Kaye ist mit seiner Zuversicht nicht allein: Weltweit sind die Erwartungen von Fondsmanagern an japanische Aktien Anfang November auf den höchsten Wert seit neun Jahren geklettert, wie eine Umfrage der Bank of America Merrill Lynch zeigt.

Die Hoffnung auf steigende Börsenkurse ist allerdings eng verzahnt mit der Umsetzung der strukturellen Reformen. "Kommen diese Reformen nicht, verpufft der Effekt der lockeren Geldpolitik", sagt Kubli. Die Kraft der Bank of Japan, den Yen noch weiter zu drücken, sieht die Ökonomin als begrenzt an. "Unser Kursziel für die japanische Währung liegt bei 120 Yen für einen US-Dollar", sagt sie. Davon ist der Wechselkurs nicht mehr weit entfernt. Am Donnerstag markierte er ein Siebenjahrestief bei 118 Yen.

Die Trümpfe der Notenbank sind also weitgehend ausgespielt. Ob Abe weitere Trümpfe ziehen wird oder ob er nur blufft, wird sich im kommenden Jahr zeigen. Bis dahin brauchen Japan-Anleger Geduld und ­Risikobereitschaft.

Investor-Info

Nikkei & Yen
Gleichlauf par excellence

Die lockere Geldpolitik der Bank of Japan hat zu ­einem Verfall des Yen geführt. Vor zwei Jahren gab es für einen Dollar nur rund 80 Yen, inzwischen sind es knapp 120. Mit der Schwäche der japanischen Währung stiegen die Aktienkurse. Der Leitindex Nikkei kletterte von 9.000 auf mehr als 17.000 Punkte.

Yen-Zertifikat
Heiße Wette auf den Verfall

Die Abwertung des Yen in den vergangenen zwei Jahren ist beispiellos. Wenn es für die Währung nicht weiter abwärts zu gehen schien, legte die Bank of Japan noch einmal eine Schippe drauf. Spekulative Anleger setzen mit einem fünffach gehebelten ETC darauf, dass die Yen-Schwäche weitergeht.

Nikkei-Bonus-Zertifikat
Ist-Zustand sichern

Mit dem währungsgesicherten Bonuszertifikat der Deutschen Bank auf den Nikkei 225 profitieren Anleger von steigenden Kursen des japanischen Leitindex. Fällt der Nikkei bis zum Ende der Laufzeit im Dezember 2015 nicht unter 13.500 Punkte, erhalten sie einen Betrag zurück, der ungefähr dem aktuellen Indexstand von 17.300 Punkten entspricht.

Comgest Growth Japan
Qualitätswachstum gesucht

Der Comgest Growth Japan ist einer der erfolgreichsten Fonds für japanische Aktien. Die Fondslenker Richard Kaye und Chantana Ward investieren in qualitativ hochwertige Unternehmen, deren Gewinne mit hoher Wahrscheinlichkeit stabil wachsen. Diese finden sie zurzeit vor allem in den Sektoren zyklische Konsumgüter, IT und Industrie.

Bildquellen: WH CHOW / Shutterstock.com, Antony McAulay / Shutterstock.com

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