Aktien sind immer noch billig?!
Emerging Markets 2012: Interview mit Florian Schulz
Mein Kollege Florian Schulz vom Emerging-Markets-Trader hat in der Vergangenheit ein tolles Gespür bei Marktprognosen bewiesen und insgesamt zwölfmal den Investitionsgrad vor crashartigen Verlusten am Gesamtmarkt rechtzeitig nach unten gefahren.
Doch Schulz ist kein Crash-Prophet, sondern ein präziser Analytiker - und für 2012 sieht er sogar große Chancen, speziell in den Emerging Markets, seinem Spezialgebiet.
Lesen Sie nachfolgend mein Interview mit dem Chefredakteur des Emerging-Markets-Trader-Börsenbriefs.
Geldanlage-Report: Florian, die Euro-Krise schwelt weiter, die europäischen Banken wackeln und es drohen Kreditverknappungen. Sind die Risiken zum aktuellen Zeitpunkt nicht zu hoch, um sich am Aktienmarkt zu engagieren?
Florian Schulz: Die Risiken sind Anfang 2012 in der Tat erheblich, und ich sehe sogar noch einige weitere potentiellen Krisenherde abseits der Eurokrise. Vor allem die politischen Risiken sind enorm. Bedenken Sie etwa die Situation im Iran. Dort finden in diesem Jahr Wahlen statt, und das Regime wird nicht davor zurückschrecken, den Konflikt mit den USA weiter zu schüren um von inneren Problemen abzulenken.
Wenn der Iran dann im Extremfall von Israel angegriffen wird, und im Gegenzug die Straße von Hormus blockiert, dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass der Ölpreis auf 200 Dollar pro Barrel klettert. Länder wie Syrien und Ägypten sind ebenfalls Pulverfässer und auch die Lage in Turkmenistan und Kasachstan destabilisiert sich. Daneben wissen wir auch noch nicht, was wir von Nordkoreas neuem Diktator Kim Jong-un zu erwarten haben.
Geldanlage-Report: Im Gegenzug wird aber auch in den Vereinigten Staaten gewählt, und US-Wahljahre sind ja eigentlich immer gute Börsenjahre!?
Florian Schulz: Das ist für mich diesmal kein Argument. Normalerweise vermitteln die US-Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf Zuversicht, und kündigen Zukunftsinitiativen an. Diesmal geht es aber – insbesondere auf republikanischer Seite - fast nur um Zumutungen und radikale Sparanstrengungen, was keinen Börsianer inspirieren dürfte. Außerdem könnte in der heißen Wahlkampfphase nochmals der Streit um die Schuldenobergrenze eskalieren, dann müssten die Börsen erneut die Furcht vor einem bewusst herbeigeführten Staatsbankrott durchleben.
Geldanlage-Report: Das sind ja nicht gerade rosige Aussichten. Und dennoch denkst Du, dass 2012 ein gutes Börsenjahr wird?
Florian Schulz: Ja, ich bin im Grunde sehr zuversichtlich. Man darf nämlich nicht vergessen, dass alle Marktteilnehmer bereits ausgesprochen pessimistisch sind. Im aktuellen Jahresausblick des Emerging-Markets-Trader zitiere ich eine Studie der Credit Suisse. Laut dieser Untersuchung war die Risikoaversion der Anleger Ende 2011 sogar höher als nach dem Untergang von Lehman Brothers im Herbst 2008. Dies ist klassisches Umfeld für den Beginn einer Börsenrallye, denn eine Hausse startet in aller Regel in einem Umfeld maximaler Unsicherheit.
Anschließend klettern die Kurse dann Stück für Stück an einer „Wand aus Sorgen“ empor. Hinzu kommt, dass der Markt regelrecht mit US-Dollar-Liquidität geflutet wird.
Geldanlage-Report: Aber wird diese Liquidität dann auch wieder zurück in die Emerging Markets fließen, wie Du prognostizierst?
Florian Schulz: Die Chancen dafür stehen sehr gut, denn die Schwellenländer sind – von einigen Ausnahmen beispielsweise in Osteuropa abgesehen – strukturell sehr gesund. Die Inflation befindet sich dort seit fast zwei Jahrzehnten auf dem Rückzug, was den Unternehmen die Möglichkeit bietet, sich günstiger zu refinanzieren.
Daneben hat sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor dort in den vergangenen Jahren eine deutliche Entschuldung stattgefunden. Und auch der Bankensektor ist in den Emerging Markets viel gesünder als im Westen. Dementsprechend ist dort auch genug Spielraum vorhanden, um weiterhin das Binnenwachstum der Zukunft zu finanzieren.
Geldanlage-Report: Wie sieht es mit den Bewertungen an den Schwellenländer-Börsen aus?
Florian Schulz: Zusammen mit dem Gewinnwachstum der Unternehmen, das weiterhin überdurchschnittlich bleiben wird, sind die niedrigen Bewertungen das eigentliche Argument für eine deutliche Erholung. Nehmen wir etwa die Börsen China und Russland. Dort sind Aktien momentan 40 Prozent günstiger bewertet als im langjährigen Durchschnitt, und zwar sowohl nach KBV als auch nach KGV. (Die Graphik unten zeigt ein KGV von 10,6 für EM-Länder ggü. dem langjährigen Durchschnitt von 14,9!)
Dabei liegen die Anleihen-Renditen und Marktzinsen so tief wie selten zuvor und in Niedrigzins-Zeiten wird Aktien normalerweise ein weit überdurchschnittliches Bewertungsniveau zugestanden.
Geldanlage-Report: Speziell in China befürchten viele Beobachter demnächst aber einen schweren Wirtschaftsabschwung!?
Florian Schulz: Eine solche „harte Landung“ kann nicht ausgeschlossen werden; denn die Investitionsquote Chinas ist viel zu hoch und den Banken stehen aufgrund der ausgesprochen starken Kreditexpansion in den vergangenen Jahren enorme Kreditausfälle bevor.
In meinem Basisszenario erwarte ich in 2012 aber kein Hard Landing. Die chinesische Schuldenkrise beschränkt sich hauptsächlich auf die Lokalregierungen, und Peking verfügt über genug Finanzmittel, um die Provinzen zu unterstützen bzw. die Banken in einem Krisenszenario neu zu kapitalisieren. Da die Fiskaleinnahmen in den ersten 10 Monaten von 2011 um satte 28,1 Prozent auf über 9 Bio. CNY (1,4 Bio. USD!) gestiegen sind, rechne ich in 2012 sogar mit konjunkturbelebenden Steuersenkungen!
Geldanlage-Report: Es wird in der Wirtschaftspresse von dramatisch fallenden Immobilienpreise in China berichtet. Könnte hier nicht ein ähnliches Desaster wie in den USA oder Spanien drohen?
Florian Schulz: Nein, das denke ich nicht. Wohnungskäufe in China basieren viel weniger auf Hypothekenkrediten als im Westen. Nur 10 Prozent der chinesischen Haushalte haben überhaupt einen Immobilienkredit aufgenommen, die Eigenkapitalanforderungen für Hypothekenkreditnehmer sind enorm und der Großteil der Hypothekenkredite wurde vor 2009 aufgenommen, als die Immobilienpreise noch deutlich tiefer lagen.
Selbst nach einem landesweiten Preiseinbruch von über 20 Prozent wird es daher kaum Fälle geben, in denen das Volumen eines Hypothekenkredits den Wert einer Immobilie übersteigt. Den boomenden chinesischen Konsum werden fallende Immobilienpreise entsprechend kaum beinträchtigen. An die jüngst veröffentlichten Wachstumsraten von 17 Prozent dürfen sich chinesische Einzelhändler also gewöhnen.
Geldanlage-Report: Also empfiehlst Du unterm Strich, die Sorgen erst mal beiseite zu lassen, und kräftig in den Emerging Markets zu investieren?
Florian Schulz: Ich bin in den Emerging Markets aktuell ganz klar „Long“ ausgerichtet, denn solch attraktive Preisniveaus werden Anlegern sehr selten geboten und irgendwann im Laufe des Jahres dürfte sich das wirtschaftliche Umfeld wieder stabilisieren.
Da die Börsen der Realwirtschaft in der Regel sechs Monate voraus sind würde ich Investitionen auch nicht zu lange hinauszögern. Anleger sollten aber nach dem sehr starken Start in 2012 nicht zu euphorisch werden. Die Risiken, die ich anfangs genannt habe, kann man nicht wegargumentieren. Es ist sinnvoll, noch etwas Pulver trocken zu halten, um im Fall eines Super-GAUs in Europa oder im Iran handlungsfähig zu bleiben.
Geldanlage-Report: Herzlichen Dank für das interessante Interview, Florian.
Florian Schulz: Ich bedanke mich. Viele Grüße und gute Trades an die Geldanlage-Report-Leser!
Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Reports. Gratis anmelden unter: www.geldanlage-report.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.