Exotische Handelsplätze

Mini-Börsen: Die Welt der Winzlinge

11.08.15 15:30 Uhr

Mini-Börsen: Die Welt der Winzlinge | finanzen.net

Weltweit gibt es mehr als 200 Aktienbörsen. Viele davon sind klein bis winzig - und folgen ihrem eigenen exotischen Rhythmus.

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von Christoph Platt, Euro am Sonntag

Der Handel beginnt um neun Uhr morgens und endet bereits um zwölf. Nur acht Broker sind an der Börse in Kigali, der Hauptstadt Ruandas, tätig und handeln mit den dort gelisteten Aktien - gerade einmal sieben verschiedene. Zuständig für den Handel ist David Mitali: Er notiert die Gebote mit abwasch­barem Filzstift an einer weißen Tafel. Anfang 2011 hat die Börse in dem ostafrikanischen Land ihren Betrieb aufgenommen. Sie zählt zu den kleinsten Handelsplätzen der Welt.

Noch beschaulicher geht es in Kambodscha zu. Nur zwei Titel sind an der Börse in der Hauptstadt Phnom Penh notiert: der städtische Wasserversorger und ein Bekleidungshersteller aus Taiwan. Die Marktkapitalisierung, also der Wert aller Aktien der gelisteten Unternehmen, beträgt 174 Millionen US-Dollar. Zum Vergleich: Die in Deutschland gehandelten Unternehmen bringen knapp 1,9 Billionen US-Dollar auf die Waage - fast 11.000 Mal so viel.

Der Handel an den Mini-Börsen weltweit folgt einem eigenen Rhythmus. "Die Kurse werden in der Anfangsphase nur ein- oder zweimal pro Woche festgesetzt, um die Liquidität zu bündeln", sagt Xavier Leroy von Exel Consulting, der sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Aufbau von Börsen vor allem in Schwellenländern beschäftigt.

Geht eine neue Börse an den Start, sind die Visionen der Betreiber meist groß. Doch regelmäßig werden die Erwartungen enttäuscht. Wenn Unternehmen den Börsengang scheuen und nur wenige Aktien angeboten werden, gibt es für Investoren wenige Gründe, die Börse zu nutzen. Und wo keine Investoren sind, besteht vonseiten der Unternehmen kaum Lust, sich an der Börse listen zu lassen. Eine Art Teufelskreis.

Belebung der Wirtschaft

Aber es überhaupt nicht zu wagen ist für die jungen Märkte auch keine Option. "Ein florierender Börsenhandel belebt die Wirtschaft", sagt Leroy. Und immerhin gibt es genug Beispiele für kleine Börsen, die gut über die Runden kommen. Auf den Bermudas etwa existiert mittlerweile die größte Offshorebörse der Welt. Mehr als 60 Aktiengesellschaften sind dort gelistet, die Marktkapitalisierung beträgt immerhin fast 1,5 Milliarden US-Dollar.

Auch in den Staaten des früheren Ostblocks mussten die Börsen klein anfangen und haben sich inzwischen zu veritablen Größen entwickelt. Selbst in Lettlands Hauptstadt Riga sind an der kleinsten Börse der baltischen Staaten 27 Titel notiert. Längst werden dort komplexe elektronische Handelssysteme genutzt.

Dabei ist aufwendige Elektronik nicht einmal notwendig, um eine Börse zu betreiben. "Es ist im Prinzip egal, ob hochspezielle Computerprogramme für den Handel eingesetzt werden oder einfache Excel-Tabellen", sagt Leroy. Entscheidend sei vielmehr, dass der Handel transparent sei und die Preisfest­setzung nach klaren und fairen Standards erfolge. "Wichtiger als die Größe der Börse sind die regulatorischen Rahmenbedingungen", sagt Mark Mobius, Altmeister für Aktien aus weniger entwickelten Ländern bei der Fondsgesellschaft Franklin Templeton.

Berater Leroy sieht hier gar einen Hauptgrund, warum manche kleine Börse in der Bedeutungslosigkeit verharrt. "Junge Börsen konzentrieren sich oft auf die technische Seite und wollen eine komplexe IT." Doch das sei nicht wesentlich. "Der Handel muss funktionieren", sagt er. Neben klaren Regeln muss es der Börse gelingen, Unternehmen und Anleger anzulocken. Steuerliche Erleichterungen oder ein einfacherer Zugang zu Krediten könnten vor allem für Firmen Anreize sein.

Goldgräberstimmung

Ob sich kleine Märkte als Rohrkrepierer erweisen oder eine glänzende Zukunft vor sich haben, lässt sich beim Start einer Börse nicht vorhersagen. Trotzdem wecken exotische Märkte bei Anlegern eine gewisse Goldgräberstimmung: Sie wollen dabei sein, wenn ein Land wirtschaftlich Fahrt aufnimmt.

Das Problem: Ein Einstieg in Länder, deren Aktienmarkt sich gerade erst entwickelt, ist für Privatanleger faktisch nicht möglich. Der Kauf einzelner ­Aktien an diesen Börsen ist entweder umständlich und teuer oder unzulässig. Ganz zu schweigen vom Risiko, in ein einzelnes Unternehmen aus einem Entwicklungsland zu investieren, dessen Aktien nur selten gehandelt werden.

Auch über ETFs sind solche Länder noch nicht zugänglich - obwohl sich Anleger längst daran gewöhnt haben, viele Winkel der Erde über passive Indexfonds abdecken zu können. Gelegentlich werden Zertifikate angeboten, die einen Einstieg in einen Zwergmarkt ermöglichen sollen. Sie enthalten allerdings meist Aktien von ausländischen Unternehmen, die einen Teil ihres Umsatzes in dem jeweiligen Mini-Markt erzielen.

Wer auf den Aufstieg wenig entwickelter Länder setzen möchte, nutzt am besten Fonds, die in Frontier Markets inves­tieren (siehe Investor-Info). Da­runter sind Staaten zu verstehen, die kurz davorstehen, als Schwellenland wie Brasilien, Indien oder Südafrika angesehen zu werden. Doch noch hinken sie diesen in ihrer Wirtschaftskraft hinterher.

In Mini-Märkte wie Ruanda, Myanmar oder die Mongolei steigen diese Produkte jedoch kaum ein - selbst für sie sind diese Länder zu klein. "Wir schauen aber nach Möglichkeiten, um indirekt in diese und andere nicht zugängliche Märkte zu investieren", sagt Templeton-Manager Mobius. "Zum Beispiel gibt es thailändische Unternehmen, die in den letzten Jahren verstärkt in Myanmar investiert haben."

Trotz aller regulatorischen Herausforderungen, denen sich junge Börsen gegenübersehen: Der Elan und der Optimismus der am Aufbau beteiligten Menschen ist durch nichts zu ersetzen. In Ruanda etwa mag der Handel noch immer auf einem Whiteboard stattfinden. "Doch die Abwicklung der Geschäfte erfolgt elektronisch", sagt Handelsleiter Mitali. Der Stolz, der mitschwingt, als er auf diese Tatsache hinweist, ist deutlich zu spüren.

Investor-Info

HSBC GIF Frontier Markets
Aktiver Einstieg

Investitionen in Grenzmärkte sind eine heikle Sache - auch weil die Länder stark vom Zuspruch ausländischer Anleger abhängen. Der HSBC GIF Frontier Markets hat sich dennoch gut geschlagen. Sein Fokus liegt auf Finanzwerten, die die Hälfte des Portfolios ausmachen. Die meisten Titel kommen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Pakistan.

db X-Tr. S & P Select Frontier
Passive Alternative

Der db X-trackers S & P Select Frontier ent­wickelt sich parallel zum Standard-&-Poor’s-­Index für Grenzmärkte. Dieser enthält die 40 größten Titel aus Ländern wie Argentinien, Pakistan, Kuwait oder Nigeria. Auch weil der zuletzt schwache Energiesektor ein hohes Gewicht hat, liegt der ETF auf Jahressicht im Minus. Ein Investment nur für Mutige.

Mini-Börsen
Überschaubare Aktienzahl

An den kleinsten Börsen der Welt sind nicht einmal fünf Titel gelistet. Die Marktkapitalisierung, also der Wert aller Aktien der dort notierten Unternehmen, ist im Vergleich zu Deutschland oder gar den USA winzig. Auch in Europa gibt es kleine Börsen: Die lettische ist weniger als eine Milliarde Dollar wert.

Land Aktienanzahl Marktwert
Kambodscha 2 174 in Mio. US-$
Myanmar 2 k. A.
Kamerun 3 288 in Mio. US-$
Kapverden 4 273 in Mio. US-$
Laos 4 1.261 in Mio. US-$
Mosambik 4 1.334 in Mio. US-$
Seychellen 5 36 in Mio. US-$
Ruanda 7 4.200 in Mio. US-$
Malawi 14 1.319 in Mio. US-$
Lettland 27 975 in Mio. US-$

Quellen: Börsen, Bloomberg, World Fed. of Exchanges

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