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Börse Frankfurt-News: Themen-ETFs: Mehr Risiko, als das Portfolio erlaubt?"

20.11.23 13:34 Uhr

Börse Frankfurt-News: Themen-ETFs: Mehr Risiko, als das Portfolio erlaubt?" | finanzen.net

FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Die hohen Verluste, die Anleger in diesem Jahr mit Clean-Energy-ETFs erlitten haben, werfen eine auch in Fachkreisen hitzig diskutierte Frage auf: Sind Themen-ETFs oder oder -Fonds emfehlenswerte Investments. Ali Masarwahs Check-Liste fasst das Pro und Kontra in fünf Punkten zusammen.

20. November 2023. FRANKFURT (envestor). Cyber Security, E-Mobilität, Clean Energy, Robotics oder KI: Anleger stehen heute vor der Frage, ob sie Themen, die Ihnen täglich in den Medien oder auch im persönlichen Alltag begegnen, aufgreifen und in ihrem Wertpapier-Depot umsetzen sollten. Können können sie, denn die ETF- und Fondsanbieter werfen laufend entsprechende Produkte auf den Markt. Natürlich ist das Für und Wider eine individuelle Entscheidung. Einige Denkanstöße:

Prozyklität

Anleger müssen sich zunächst bewusst werden, dass ein Trend nur dann ein Trend ist, wenn ein Konsens darüber besteht, dass es wirklich ein Trend ist. Dann sind aber bereits viele Informationen, Hoffnungen und auch viele Gelder in die Träger des Themas investiert, und die Bewertungen in der Regel hoch. Das erhöht das Anlagerisiko.

Ein Beispiel: Cyberkriminalität ist eine bekannte Bedrohung für Bürger und Unternehmen. Wölfe werden dagegen allenfalls von einzelnen Personengruppen (Schäfer, Forstwirtschaftler) als Problem empfunden. Deshalb ist Anleger naheliegender, in einen Cybersecurity-ETF zu investieren als in einen - hypothetischen - ETF, der sich auf Anbieter von Wolfsfallen konzentriert. Aber das könnte ein Fehler sein: Wolfsfallen-Aktien sind im Zweifel günstiger bewertet als Cybersecurity-Aktien. Letztere haben im Zweifel ihr Kurszenit bereits überschritten, wenn der passende ETF mit viel Marketing-Tam-Tam aufgelegt wird.

Konzentration

Aus dem grundlegenden Problem der Prozyklizität leitet sich ein Konzentrationsrisiko ab. Themen-ETFs sind aus mehreren Gründen davon betroffen. Wie oben skizziert, kann ein Thema bereits am Ende seines Zyklus angekommen sein. Oder dahinter stehen unreife Unternehmen, die eher in einen Venture Capitalist-Fonds gehören und nicht in einen öffentlich handelbaren Fonds oder ETF. Schlimmstenfalls kann ein vermeintlich innovatives Thema sogar eine Eintagsfliege sein.

Dann müssen Anleger sogar mit einem Totalverlust rechnen. Sie müssen also mit Überzeugung die Antwort auf folgende Frage geben: Ist das wirtschaftlich relevante Thema auch ein Investment-Thema? Dazu folgende Beispiele: Clean Energy-ETFs sind ein Thema mit hohen zyklischen Risiken, E-Commerce-Fonds zur Jahrtausendwende waren ein "unreifes" Thema, Krypto-Aktien-ETFs sind meines Erachtens Heiße-Luft-Kandidaten, weil vollkommen unklar ist, ob Krypto-Unternehmen heute ein wirtschaftlich tragfähiges Thema abdecken.

Diversifikation

Weil ETF- und Fonds-Anbieter das Problem des hohen Risikos von Themen-Investments erkannt haben, bemühen sich viele um eine Diversifikation über mehrere Sektoren oder Unterthemen. In manchen Clean Energy-Fonds und ETFs finden sich mitunter RWE oder Iberdrola, die zu den großen Wind- und Solar-Energiebetreibern zählen, aber eben auch "Legacy"-Geschäftsfelder wie Atom oder Gas bewirtschaften. Wer will, kann hier mangelnden Purismus beklagen, ich meine aber, dass Diversifikation Themen-ETFs in positiver Weise von Sektor-ETFs abhebt. Ein "New Food"-Fonds oder ETF wird eben nicht zu 30 Prozent aus Nestle-Aktien bestehen, wie das der Fall in manchen Konsumgüter-ETFs ist. Mitunter enthalten Themen-ETFs interessante Unternehmen, die man in klassischen ETFs kaum vorfindet. Sie geben Anlegern zudem einen Zugang zu Nebenwerten, die in klassischen Portfolios ohnehin unterrepräsentiert sind.

Kosten

ETFs sind in der allgemeinen Wahrnehmung günstig. Ein ETF auf den S&P 500 bekommt man schon für unter 0,1 Prozent an laufenden Kosten pro Jahr. Themen-ETFs können bis zu achtmal so hohe Kosten aufweisen. Ein derartiger Aufschlag ist sachlich nicht zu rechtfertigen, sondern das Ergebnis unseres kapitalistischen Wirtschaftsmodells. Wenn das Angebot knapp und die Nachfrage hoch ist, dann hat der Anbieter eine Preissetzungsmacht. Anleger müssen deshalb die Augen aufhalten; der Vorteil unseres kapitalistischen Modells ist, dass ein Vertriebserfolg des First Mover die Nachahmer auf den Plan ruft. Die müssen aber tiefere Gebühren aufrufen, um Anleger vom First Mover loszueisen. Entsprechend wird die Kopie nicht mehr 0,8 Prozent an Gebühren aufweisen, sondern, sagen wir: 0,5 Prozent pro Jahr.

Timing

Die wohl größte Gefahr, aber auch die größte Chance von Themen-ETFs und -Fonds ist das Timing der Anleger. Investoren zerstören sich bei volatilen Themen-Investments häufig jegliche Rendite-Chance, indem sie zur Unzeit ein- oder aussteigen. Stürzen die Kurse ab, kann es Jahrzehnte dauern, bis Anleger wieder bei ihren Einstandskursen gelandet sind. Spiegelbildlich kann bei einem wirtschaftlich nachhaltigen Thema die zyklische Wende immense Chancen bieten.

Jedes Thema hat einen Zyklus, Anleger müssen also bei einem Investment verstehen, an welcher Stelle sich der Punkt auf der Schweinezyklus-Kurve befindet. Und sie dürfen sich nicht von Gier oder Furcht leiten lassen, sondern nüchtern abwägen.

Auch wenn eine Checkliste nur eine Checkliste ist, schließe ich mit einer klaren Empfehlung: Themen-ETFs sollten allenfalls als Beimischung verstanden werden. Insgesamt sollte ein Einzelthema weniger als 10 Prozent eines Portfolios ausmachen, und die Summe der Themen sollte auf keinen Fall 20 Prozent des Depotwerts übersteigen. Zudem sollte das Geld langfristig veranlagt werden. Leider zeigt die Erfahrung, dass in der Realität, dass die Risiken häufiger aktuell werden und die Chancen eher im Stadium der Latenz verharren.

von: Ali Masarwah, 20. November 2023, © envestor.de

Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)