Börse Frankfurt-News: "Die Wochen mit den Blicken in die Kristallkug
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Peeters hat eine klare Meinung zu Sinn und Unsinn konkreter Punkteprognosen für Aktienkurse.
13. Dezember 2021. FRANKFURT (pfp Adisory). Der Jahresausklang ist auch an den Börsen wohl die Zeit des Jahres, in der besonders gerne in die Zukunft geschaut wird. Besonders der Blick auf die Entwicklung des kommenden Kalenderjahres hat es vielen Teilnehmern, Beobachtern und auch Kommentatoren angetan. Steigen die Zinsen? Wie entwickelt sich der Euro zum US-Dollar? Wie stark wächst die Wirtschaft? Und dann jedes Jahr aufs Neue die vielleicht populärste Frage hierzulande: "Wo steht der DAX am Ende des kommenden Jahres?"
Fast keine Wirtschafts- oder Börsenzeitschrift kommt in den letzten Wochen des Jahres ohne diese großen Tabellen aus, in denen akkurat aufgelistet wird, welcher Aktienstratege aus welchem Bankhaus den Leitindex zum Ultimo 2022 auf welcher Höhe taxiert. Zeitgleich werden die treffsichersten Auguren aus dem Vorjahr mit einem Lob gewürdigt. Bei dieser Börsen-Folklore will kaum eine Bank fehlen.
Wie kommen diese Prognosen zustande? Nachfolgend eine freundliche und im Anschluss eine etwas boshafte These.
Erstens: Jede Prognose basiert auf einer aggregierten Gewinnschätzung der mittlerweile 40 enthaltenen Unternehmen im DAX und einer nachvollziehbaren Annahme, ob und wie sich die vom Markt gewährten Multiples verändern werden. All das garniert mit vielen weiteren Berechnungen externer Einflussfaktoren auf der Makroebene.
Zweitens: Die jeweiligen Strategen nehmen den aktuellen Stand des Index, packen rund 10 Prozent oben drauf, legen sich ein paar clevere Begründungen zurecht, schauen kurz vor Veröffentlichung der Studie noch mal links und rechts auf bereits veröffentlichte Prognosen und stellen sicher, dass sie sich angenehm in der Herde bewegen.
Aber mal allen Zynismus zur Seite gelegt: Es besteht bei mir kein Zweifel, dass den präsentierten Zahlen zumeist sehr umfangreiche Arbeiten von cleveren Köpfen vorangegangen sind. Gleichwohl halte ich persönlich den Nutzen dieser Zahlenspiele für begrenzt. Dass jemand die relevanten Einflussfaktoren erkennt, auflistet und würdigt, finde ich als Anleger durchaus ansprechend. Aber eine derart verdichtete Schlussfolgerung in Form einer Punktprognose erachte ich als wenig nützlich. Ganz einfach, weil sich Indexstände in zwölf Monaten nicht berechnen lassen, auch nicht indikativ. Und wer hierbei ins Schwarze trifft, braucht eher Glück als Verstand.
Der einfache Grund: Die Komplexität aller möglichen Einflussfaktoren auf einen Indexstand sprengt jede sinnvolle Berechnung. Sie können sich das in etwa so vorstellen: Selbst die besten Meteorologen können auch unterstützt von der stärksten künstlichen Intelligenz nicht prophezeien, ob am 24. Dezemner 2022 in Frankfurt Schnee liegen wird. Es ist zu weit hin und die Vielzahl der noch unbekannten Einflussfaktoren ist immens. Am Aktienmarkt ist es noch extremer, finde ich, weil viele Geschehnisse hier unterjährig auch Gegenreaktionen hervorrufen. Das Beispiel Corona in 2020 illustriert es recht gut: Natürlich hatte niemand diese Pandemie auf der Uhr und genauso wenig die radikalen Gegenmaßnahmen der Notenbanken. Wer am Ende das unspektakuläre Plus von 3,6 Prozent beim DAX richtig "vorhersah", kam doch eher zufällig aufs Treppchen.
Sie erkennen: Ich mag zwar durchaus die analytischen erklärenden Arbeiten von Strategen, kann aber einer zugespitzten Punkt-Indexprognose auf zwölf Monate nicht viel abgewinnen. Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen: Für einen Anleger ist es nahezu irrelevant, wie sich ein Index in solch einer Periode entwickelt. So halte ich eine Fixierung auf einen Leitindex für suboptimal, weil sich ein individuell konzipiertes Portfolio durchaus abweichend entwickeln kann und soll. Noch wichtiger: Aktienanlage ist ein Langfristthema, bei dem man meiner Einschätzung nach mindestens über eine Entwicklung von fünf Jahren, besser noch in Dekaden, denken sollte.
von Roger Peeters, 13. Dezember 2021, © pfp Advisory
Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V.. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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