Axel Retz-Kolumne

Countdown

09.09.13 12:12 Uhr

Countdown | finanzen.net

Nur noch knapp zwei Wochen - und 59 Prozent der Wähler sind unentschlossen. Ich bin mir sicher, dass diese Bundestagswahl auch die Börse in Atem halten wird.

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Ich meine es ganz ernst: Ist das schön! Jede Woche ließe sich ein neues Meisterwerk des absurden Theaters schreiben, ohne dass man überhaupt die Phantasie bemühen müsste. Eines? Nein, eine ganze Reihe. Und das aller Verrückteste: Viele Zeitgenossen, mittendrin im sonderbaren Geschehen, bemerken von all dem nicht das Geringste geschweige denn rebellieren sie dagegen. In Kurzform die drei neuesten Highlights.

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1. In dreizehn Tagen stehen die Wahlen an. Dass danach von den Gewinnern eine ganz andere Politik gemacht wird als von der obsiegenden Mehrheit gewollt, stört mittlerweile schon niemanden mehr. Sollte es aber. Und:
Vor dem Hintergrund so üppig wie niemals zuvor sprudelnder Steuereinnahmen verspricht die Kanzlerin umfangreiche Wahlgeschenke, während das eigene Finanzministerium diese Wahlgeschenke unter „Finanzierungsvorbehalt“ stellt und das Wirtschaftsministerium schon jetzt warnt, dass damit eine Verdopplung der Neuverschuldung einhergehen werde. Verdopplung der Neuverschuldung bei Steuereinnahmen in Rekordhöhe! Ja, da sind wir genau die Richtigen, um anderen das hohe Lied des soliden Staatshaushaltes vorzuträllern. Egal, einige Wähler werden von den Wahlversprechen angelockt werden. Aber nur die, die nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, dass die Politik nur deshalb so freimütig Wahlgeschenke verteilt, weil sie ja vom Empfänger bezahlt werden müssen.

2. Griechenland. Weniger klar als zuvor ihr Finanzminister hat die die Bundeskanzlerin im TV-Duell ein weiteres „Rettungspaket“ für die Banken Griechenland für möglich gehalten, verwies aber in diesem Zusammenhang auf die bewährte Lösungskompetenz der Troika. Das ist ein wirklicher Schenkelklopfer: Könnten diese Leute das, was sie zu können vorgeben, hätte Athen schon längst über den Berg sein müssen. Stattdessen tun sich, einfachsten ökonomischen Grundregeln folgend, immer neue Löcher auf, die gestopft werden müssen. Hinzu kommt - und die Kanzlerin weiß es: Die Troika ist zerstritten bis zum geht nicht mehr. Die EZB lehnt eine Beteiligung an einem neuen Hilfspaket ab, da sie ja keine Staatsfinanzierung betreiben dürfe (ach was), die EU-Kommission rechnet damit, dass weitere Gelder fließen müssen und der IWF fordert einen weiteren Schuldenschnitt und will kein neues Geld mehr rausrücken. Und diese zerstrittene Truppe soll es richten?

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Richten wird es der Steuerzahler. Und um die schwarz-gelb-rot-grünen deutschen Haftungszusagen einmal aus ihrer Abstraktheit zu holen, ein Bespiel, das AfD-Frontmann und Volkswirt Prof. Bernd Lucke kürzlich vorgestellt hat:
Wenn Sie einen 50-Euro-Schein auf den Boden legen und gleich noch einen darauf und so weiter und so weiter, bis Sie einen Banknotenturm von der Höhe des Mount Everest erreichtet haben, dann entspricht dieses Geld noch nicht einmal einem Zehntel dessen, was den deutschen Steuerzahlern mittlerweile als Eventualrisiko um den Hals gehängt wurde.
Da kann das flächendeckende Wettlächeln von den Wahlplakaten noch so sehr einnehmen, zum Lachen ist das ganz und gar nicht mehr. Alternativlos schon einmal gar nicht. Und ich bin mir absolut sicher, dass der 22. September für viele Parteien ein ganz anderes Ergebnis bringen wird als uns die großen Meinungsforschungsinstitute das derzeit glauben machen wollen. Der Bundesverband deutscher Apotheker beispielsweise veröffentlichte in dieser Woche eine Umfrage, wonach 14 Prozent seiner Mitglieder ihr Kreuzchen bei der AfD machen wollen. Man darf gespannt sein - auch auf die Reaktion des Euro nach der Wahl. Und vorher. Denn wie es aussieht, könnte ein kurz laufender Put eine äußerst lukrative Sache werden.

3. Der syrische Machthaber soll Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt haben. Warum sollte er? Militärisch ist die syrische Armee den sgn. Rebellen mittlerweile haushoch überlegen. Und die Folgen eines solchen Angriffs dürften Assad bekannt sein. Wer also könnte ein Interesse am Giftgaseinsatz gehabt haben? Die „Rebellen“? Vielleicht. Ganz sicher aber die internationale Rüstungsindustrie, vor allem die der USA und Russlands. Beweise für eine Täterschaft Assads? Hat man angeblich, aber warum legt man sie dann nicht auf den Tisch? Ich nehme an, dass wir sie vermutlich nie zu sehen bekommen. Oder aber sie werden in ein paar Jahren selbst vom US-Kongress offiziell als Lügen bezeichnet werden. Traurigerweise hatten wir all das vor über zehn Jahren ja schon einmal, ohne dass es für die Verantwortlichen Folgen gehabt hätte.

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Auch mit diesen drei Themenkomplexen und ihren Konsequenzen haben wir uns als Anleger herumzuschlagen, ob es uns gefällt oder nicht. Aber wenn man es nicht allzu dumm anstellt, sollten sich mit wachem Auge frühzeitig die richtigen Weichenstellungen erkennen lassen.

US-Arbeitsmarkt: Nebelkerzen

Soso, von 7,4 Prozent im Vormonat auf 7,3 Prozent ist die amerikanische Arbeitslosenquote im August gefallen.
Sieht man ein wenig genauer hin, fällt allerdings auf, dass sich die Anzahl der (Langzeit-)Arbeitslosen, die die Suche nach einem neuen Job aufgegeben haben, seit Monaten geradezu sprunghaft nach oben bewegt. Und diese Menschen, Sie ahnen es, werden in der Statistik nicht mehr erfasst. Und das schon seit 1994 nicht mehr.
Teilzeit- oder Minijobber, die zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gleich mehrere Arbeitsstellen haben, werden hingegen auch mehrfach gezählt. Und die Liste der statistischen Tricks, um zu einer möglichst niedrigen offiziellen Arbeitslosenquote zu kommen, ist noch unendlich viel länger.

Quelle: www.shadowstats.com

Sieht man statt ein wenig sogar viel genauer hin, kommt man am abgebildeten Chart von www.shadowstats.com nicht vorbei. Denn John Williams, der Herausgeber dieser Seite „alternativer“ Statistiken, berechnet die Arbeitslosenquote einfach ohne all die schönen Tricks und Winkelzüge des Bureau of Labor Statistics. Und kommt so statt der im Chart abgebildeten roten Kurve, die den offiziellen Zahlen entspricht, auf die blaue Linie. Und damit auf eine tatsächliche Arbeitslosenquote von 23 Prozent.
Der makabre Witz dabei: Genau von der Entwicklung der offiziellen Arbeitslosenquote will die US-Notenbank es erklärtermaßen abhängig machen, wann Sie mit dem Ausstieg aus ihrer extrem lockeren Geldpolitik beginnt. Das heißt, man tut einfach so, als ob man nichts von der desolaten Qualität der Arbeitsmarktdaten wüsste und macht tatsächlich die Zinspolitik von ihnen abhängig. So als ob der „Erfolg“ am Arbeitsmarkt auf das Konto der FED ginge. Wie dieser Erfolg der Füllhornpolitik tatsächlich ausgefallen ist, das unterstreicht der Blick auf die blaue Kurve im Chart. Die Zinswende ist derweil aus technischer Sicht bereits klipp und klar eingetütet. Und wer glaubt, dass das am Aktienmarkt diesmal spurlos vorbei gehen werde, der hat vermutlich noch zu wenige „diesmals“ erlebt.

DAX abgeschminkt

So kurz vor der Bundestagswahl steht der DAX vor einem wichtigen Widerstand. Klar doch, wir hatten ein neues Allzeithoch, ebenso wie der Dow Jones. Pustekuchen. Denn hier werden ja ein Kurs- und ein Performance-Index miteinander verglichen, also Äpfel mit Birnen. Der DAX ohne Dividenden und andere Ausschüttungen berechnet – also so wie der Dow Jones – ist von einem Allzeithoch noch ein wenig entfernt. Richtiger, gut 21 Prozent. Und vom Allzeithoch des DAX als Kursindex aus lässt sich eine wunderschöne Abwärtstrendlinie ziehen, die über das Zwischenhoch von Ende 2007 verläuft.

Mit dem Schlusskurs vom Freitag lag der DAX noch knapp drei Prozent unterhalb dieser widerstandswirksamen Abwärtstrendgeraden, während sich im Momentum (nicht abgebildet) eine geradezu erdrückende negative Divergenz zeigt. Die Chance, dass der DAX bis zur Wahl noch an die Abwärtstrendgerade heranläuft, ist hoch. Und die Chance, dass er genau dort nach unten abdreht, noch höher.

Am 22. September die Wahlen. Mit dabei die von den Medien aufs Übelste diffarmierte oder gleich ganz totgeschwiegene AfD. Zwei Tage zuvor der große Hexensabbat der Terminbörsen. Und noch einmal zwei Tage davor die nächste Sitzung des FOMC der US-Notenbank. Eine wirklich ereignisreiche Woche.
Ob man da mit Indextradings unterwegs sein muss, sei einmal dahingestellt. Aber mit meiner Trefferquote von (am Freitag) 87 Prozent beim Traden der 30 DAX-Titel am Freitag (19 Abwärts- und elf Aufwärtssignale) lässt sich das Risiko optimal steuern. Genau das ist es, was technische Analyse kann und warum meine Leser das seit vielen Jahren schätzen.

BRIC bröckelt

Brasilien, Russland, Indien, China, die sgn BRIC-Staaten halt: Sie sollten die Weltwirtschaft retten und konjunkturellen Bremsspuren der westlichen Industriestaaten auffangen bzw. sogar überkompensieren.

Sieht man sich die Aktienindizes dieser Länder an, sollten die Anleger so langsam einmal wach werden.

Chinas Wirtschaftsdaten haben in etwa den gleichen Verlässlichkeitswert wie die der USA, Russlands RTX liegt fast 50 Prozent unterhalb seines Allzeithochs. Und in Indien (s. Chart) steht der BSE Sensex charttechnisch auf der Kippe, der MACD hat bereits nach unten eingedreht. Bleibt Brasilien. Von deutlich über 73.000 Punkten des Index dort sind aber zum Wochenende auch nur noch hauchdünn über 50.000 übrig geblieben.

Die BRIC-Staaten als Kompensationskraft der schwächelnden Wirtschaft Europas, der USA und Japans – das ist ein Auslaufmodell. Erst recht wenn die Notenbanken ihren Pfad der Untugend verlassen. Anleger, die sich darauf vorbereiten und den technischen Einstiegssignalen folgen, dürften in diesem Herbst einen grandiosen Fischzug machen. Vorausgesetzt, sie lassen sich nicht vom bullishen Gesäusel einlullen. Denn die Märkte werden den Weg nach unten wählen.

Der Verfasser ist seit über 30 Jahren an der Börse tätig und hat sich nach langen Jahren als Chefredakteur verschiedener Verlage 2007 mit den Webseiten www.private-profits.de und (neu) www.moneyversum.de selbständig gemacht. Motto: Selbst denken, nicht wiederkäuen. Machen, nicht quatschen.

Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

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