Deutschland – Motor der Eurozone
Deutschland, 2003 noch als „kranker Mann Europas“ betrachtet, ist imletzten Jahrzehnt in die Position des wirtschaftlichen und politischenMotors der Eurozone hineingewachsen.
Seit 2003 liegen deutsche Aktien mehr als 30 % vor gesamteuropäischen Indizes (Stand: November 2012). Dieser Motor dürfte noch einige Jahre rund laufen. Dafür sorgen niedrige Zinsen, eine hervorragende Wettbewerbsfähigkeit und die aufkommende Konsumfreudigkeit in Zeiten hoher Beschäftigung.
In nur einem Jahrzehnt hat sich Deutschland vom „kranken Mann“ zum Vorbild gewandelt. Übervolle Deutschkurse in Südeuropa, Respekt für die geleisteten Reformen vom Nachbarland Frankreich oder der Export des deutschen Ausbildungsmodells in USamerikanische Automobilwerke sind nur einige Beispiele dafür. Heute ist Deutschland der unbestrittene wirtschaftliche Motor der Eurozone. Im Zuge dessen sind politischer Einfluss und Verantwortung gewachsen. Diese Studie will Gründe aufzeigen, warum viele Ampeln für Deutschland weiter auf Grün stehen. Sie beleuchtet dabei auch die Rolle Deutschlands in der Eurozonen-Krise – mit den damit verbundenen Chancen und Risiken.
Warum glauben die Experten von Allianz Global Investors an einen weiter rundlaufenden deutschen Motor?
1) Niedriges Zinsniveau
Als Zentralbank für die Eurozone richtet die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zins- und Geldpolitik nach den Bedürfnissen des gesamten Währungsraumes aus. Ein grober Maßstab dafür, ob ein Leitzins stimulierend oder bremsend wirkt, ist der Vergleich mit der Jahresveränderungsrate des Nominalwachstums. Dieser Vergleich zeigt, dass Deutschland in den ersten sechs Jahren des neuen Jahrtausends als unterdurchschnittlich wachsende Volkswirtschaft von einem für deutsche Verhältnisse zu hohen Leitzins belastet wurde (siehe Schaubild 1). Seit die einschneidende Rezession 2009 überwunden ist, wandelt sich der Trend. Da Deutschland seither stärker als der Eurozonen- Durchschnitt wächst, betrachten die Allianz- Experten den EZB-Leitzins der letzten Jahre um mindestens ein Prozent zu niedrig. Investitionen und Konsum werden in diesem Umfeld gefördert. Die strukturelle Wachstumsschwäche vieler Eurozonen- Mitgliedsstaaten lässt maßgebliche Zinserhöhungen für die nächsten Jahre unwahrscheinlich erscheinen – mit beschleunigender Wirkung für die deutsche Wirtschaft.
Schaubild: Wirkung des EZB-Leitzinses auf Deutschland und die gesamte Eurozone (Vergleich Leitzins mit Jahresveränderungsrate des Nominalwachstums)
2) Hervorragende Wettbewerbsfähigkeit
Durch jahrelange Zurückhaltung bei Lohnsteigerungen hat sich Deutschland eine starke Wettbewerbsposition verschafft, sowohl im Vergleich mit der Eurozone als auch global. Ein Zeichen dafür: Die Industrieproduktion befindet sich wieder in der Nähe des Vorkrisenniveaus von 2008, während sie in vielen Nachbarländern noch deutlich unter diesem Niveau liegt. Seit der Jahrtausendwende sind die Lohnstückkosten kaum gestiegen. Das hat Deutschland regelmäßig den Titel des „Exportweltmeisters“ eingebracht. Neben moderaten Lohnabschlüssen spielten dabei flächendeckend umgesetzte Effizienzsteigerungen eine wichtige Rolle.
Wenngleich China inzwischen höhere Exportvolumen aufweist, sollten Produkte „Made in Germany“ – insbesondere aus den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau sowie Chemie – auch weiterhin eine wichtige Rolle bei der voranschreitenden Industrialisierung der Schwellenländer spielen. Auch die deutsche Automobilindustrie konnte ihre starke Marktstellung zuletzt manifestieren. Deutsche Exporte dürften durch die schwache Nachfrage aus den krisengeplagten Nachbarländern leiden. Der Anteil der Eurozone am Exportvolumen Deutschlands nimmt stetig ab und liegt nun leicht unter 40 %, während das aufstrebende Asien und zuletzt auch die USA größere Anteile am deutschen Export einnehmen.
3) Gute Stimmung beim Verbraucher
In jüngerer Vergangenheit begannen deutsche Arbeitnehmer über leicht kräftigere Reallohnsteigerungen die Früchte der erarbeiteten Wettbewerbsposition zu ernten. Dies und ein dynamischer Arbeitsmarkt mit Beschäftigungszahlen auf Rekordniveau heben nach längerer Durststrecke die Konsumlaune der Deutschen. Im Oktober 2012 hat das vom GfK-Institut gemessene Verbrauchervertrauen den höchsten Stand seit Ende 2007 erreicht. Es konnte sich damit merklich von der trüben Stimmung der Verbraucher in den meisten Nachbarländern entkoppeln. Die Anschaffungsneigung befindet sich seit Monaten auf historisch hohem Niveau. Zudem sinkt aufgrund der Niedrigzinsen die traditionell beträchtliche Sparneigung deutscher Haushalte.
4) Anspringender Immobilienmarkt
Ein zunehmender Teil der Ersparnisse der Deutschen fließt seit einigen Jahren vermehrt in den Immobilienmarkt. Über verstärkte Bautätigkeit sowohl bei Neubauten als auch bei Renovierungen wird Wachstum beflügelt. Gründe dafür liegen im soliden Arbeitsmarkt, vor allem aber auch in der niedrigen Verzinsung alternativer Geldanlagen sowie einer latenten Inflationsangst der deutschen Bevölkerung. 2011 stiegen Häuserpreise in Deutschland nominalum mehr als 4 %. Das entspricht dem stärksten Anstieg seit dem Abebben des Wiedervereinigungsbooms Mitte der 1990er Jahre (siehe Schaubild 3). Dennoch liegt das aggregierte Preisniveau kaum über dem Mittel der 1990er. Somit befindet sich Deutschland nicht in einer Preisblase, sondern bisher eher in einem Aufholprozess.
5) Haushalt nahezu ausgeglichen
Durch den erfreulichen Geschäftsverlauf im In- und Ausland sowie den hohen Beschäftigungsstand sprudeln die deutschen Steuereinnahmen und sorgen für einen – nach historischen Maßstäben – nahezu ausgeglichenen Haushalt. Die sogenannte „Schuldenbremse“ verlangt die Rückführung des strukturellen Budgetdefizits bis 2016 auf unter 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts. Dieses Ziel kann vermutlich bereits früher erreicht werden. Deutschland stehen also im Vergleich zu einer Mehrzahl westlicher Industrieländer nur geringe fiskalische Anpassungen mit entsprechend bremsenden Wachstumseffekten bevor. Zudem kann Deutschland aufgrund des Status als „sicherer Hafen“ in der Eurozone derzeit seine Schuldenlast sehr günstig refinanzieren.
Deutschlands Rolle in der Euro-Schuldenkrise – Chancen und Risiken
Als exportstarke Volkswirtschaft in der geografischen Mitte des Währungsgebietes hat Deutschland ein elementares Interesse am Fortbestand und an einer Verbesserung der Währungsunion. An die Führungsrolle bei der „Rettung“ der Eurozone hat sich die politische Landschaft erst gewöhnen müssen. Aber spätestens seit der zielstrebigen Durchsetzung des Fiskalpaktes hat Deutschland seine Führungsrolle und -verantwortung angenommen.
Innerhalb des Krisengebiets Eurozone wird die Bundesrepublik als Stabilitätsanker wahrgenommen. Dadurch fließt derzeit viel Anlegerkapital aus den europäischen Krisenstaaten nach Deutschland. Während diese Entwicklung für die Systemstabilität der Eurozone als Ganzes eher schädlich ist, verringert sie die Kapitalkosten sowohl für deutsche Unternehmen als auch für den öffentlichen Sektor. Das sollte für die nächsten Jahre – beispielsweise über positive Vermögenseffekte durch Wertsteigerungen und hohe Investitionsbereitschaft – einen Schub für das Wachstum bedeuten. Längerfristig gilt es dabei, sich nicht zu Fehlinvestition oder Überkonsum aufgrund der niedrigen Kapitalkosten verleiten zu lassen – derzeit sind solche Tendenzen aber nicht auszumachen. Nicht zuletzt hat die traditionell konservative Aufsicht durch die Bundesbank bereits Wachsamkeit signalisiert.
Politisch besteht die Chance, dass Deutschland seine wirtschaftliche PS-Leistung auch als „politischer Motor“ auf die Straße bringt. Im Gegenzug für finanzielle Garantien konnte Deutschland als eine der treibenden Kräfte das Tempo bei strukturellen Reformen in der Eurozone deutlich erhöhen. Das dürfte mittel- bis langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Eurozone erhöhen.
Zweifellos machen sowohl einzelne Länder als auch die Institution Währungsunion den Eindruck einer riesigen Baustelle. Dennoch können Experten anerkennen, dass nach der zähen Anlaufphase inzwischen einige Schritte in die richtige Richtung gemacht wurden.
Schaubild: Jährliche Veränderungsrate deutsche Häuserpreise (nominal) in %
Schaubild: Zyklusbereinigtes KGV – MSCI Deutschland
Die Kehrseite dieser Medaille sind die hohen aufgehäuften Garantien und Eventualverbindlichkeiten, die sich Deutschland im Laufe der Krisenbewältigung aufgebürdet hat. Unter der Extrem-Annahme eines Zusammenbruchs der Eurozone mit kompletten Zahlungsausfällen der Mitgliedsstaaten steht die Bundesrepublik mit circa 600 Milliarden Euro im Risiko. Dies entspricht grob etwa einem Viertel des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland Ausfälle in dieser enormen Höhe erleiden wird, werten die Experten von Allianz Global Investors aus heutiger Sicht als sehr unwahrscheinlich. Aus deutscher Perspektive lohnt es sich vielmehr, beträchtliche politische und wirtschaftliche Energien aufzuwenden, um einen Komplettzusammenbruch der Eurozone zu verhindern.
Ein weiteres Risiko stellt ein länger anhaltender Nachfragerückgang bei wichtigen Handelspartnern in der Eurozone dar. Dieser dürfte das Wachstum in Deutschland in den nächsten Quartalen merklich belasten. Aber die Chancen auf eine deutliche Abmilderung dieser Lücke stehen gut – aufgrund einer starken Binnenkonjunktur sowie der Nachfrage aus den globalen Wachstumsregionen. Mittel- bis langfristig betrachtet sollten die verminderten Handelsbilanzüberschüsse mit den Eurozonen-Partnerländern ein wichtiger Baustein einer ausbalancierteren, stabileren Eurozone werden.
Ampeln weiter auf Grün
Im Vergleich von Treibern und Risiken des deutschen Wachstumsmotors stehen die Ampeln für die deutsche Wirtschaft weiter auf grün. Davon können deutsche Aktien profitieren. Für die mittelbis langfristigen Perspektiven einer Aktienanlage ist vor allem die Bewertung entscheidend. Auch hier gilt: Gemäß dem von Allianz Global Inverstors bevorzugten Bewertungsmaßstab, dem zyklusbereinigten Kurs-Gewinn-Verhältnis, sind deutsche Aktien attraktiv bewertet. Mit einem Wert von 16 unterschreitet diese Kennzahl den historischen Durchschnitt von circa 21 (seit 1980) deutlich. Und auch im globalen Vergleich liegt Deutschland trotz vielversprechender fundamentaler Situation nur im Mittelfeld der derzeitigen Bewertungsskala.
Autor: Stefan Rondorf, CFA ist Kapitalmarktstratege in der Abteilung Global Economics & Strategy bei Allianz Global Investors.
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